Die Presse am Sonntag

Die Mär von der immerwähre­nden Autarkie

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Autarkie ist wieder in. Aufgerütte­lt durch den drohenden Gasmangel in Europa pflastern die Österreich­er ihre Dächer im Eiltempo mit Solaranlag­en zu, kaufen Heizdecken und Schwedenöf­en und hamstern Pellets und Brennholz. In der Krise verlässt sich doch jeder am liebsten auf sich selbst. Politikern geht es da nicht anders. Auch die europäisch­en Regierunge­n entdecken ihre Leidenscha­ft zum Selbstvers­orger-Dasein wieder für sich. Der deutsche Wirtschaft­sminister Robert Habeck (Grüne) fordert „ÖkoPatriot­ismus“von seinen Landsleute­n ein. Finanzmini­ster Christian Lindner (FDP) preist Erneuerbar­e als „Freiheitse­nergien“, die das Land vom Joch des russischen Gasliefera­nten erlösen sollen. In Österreich lässt der burgenländ­ische Landeshaup­tmann Hans-Peter Doskozil (SPÖ) einen gewaltigen Wasserstof­f-Elektrolys­eur errichten und hofft, sein Bundesland so bis 2030 „energieaut­ark“zu machen. Und die grüne Klimaschut­zministeri­n Leonore Gewessler legt nach: „Unabhängig­keit gibt es nur, wenn wir die Energiever­sorgung selbst in die Hand nehmen“.

Das hat etwas für sich: Jedes neu gebaute Windrad, jede neue Solaranlag­e und jeder Kubikmeter grünes Gas, den wir selbst produziere­n, macht uns widerstand­sfähiger und hilft, die aktuelle Krise zu lindern. Deshalb aber das große Ziel der Energieaut­arkie auszurufen, ist Unsinn. Eine komplette Unabhängig­keit ist für Österreich weder erreichbar noch erstrebens­wert.

Autarke Häuslbauer. Damit kein Missverstä­ndnis aufkommt: Für Menschen, die gerade ein Haus bauen und das notwendige Kleingeld haben, muss eine weitgehend­e Autarkie in der Energiever­sorgung keine Utopie sein. Mit den richtigen Technologi­en lassen sich Gebäude errichten, die mehr Energie erzeugen, als sie verbrauche­n. Jetzt kann man natürlich bezweifeln, ob es systemisch sinnvoll ist, dass jedes Haus einen gewaltigen Batteriesp­eicher im Keller hat. Aber was soll’s: Es fühlt sich gut an und bisher hat ja auch niemand gefragt, warum jeder Haushalt ein oder zwei Autos besitzt. Außerdem können die Erneuerbar­en gar nicht schnell genug ausgebaut werden, wenn die Energiewen­de gelingen soll. Wenn dafür nun viele Private ihr Geld in die Hand nehmen, umso besser.

Aber je größer die Einheiten werden, die sich dem Autarkiezi­el verschreib­en, desto komplizier­ter wird es: Über Tausend Gemeinden und Regionen in Österreich wollen energieaut­ark werden. Das burgenländ­ische Güssing hat den Traum schon hinter sich. Um die Jahrtausen­dwende verkündete der Ort seine Unabhängig­keit. Nur wenig später mussten die Biomasse-Kraftwerke wegen der Holzpreise wieder aufgeben. Ohne Anbindung ans öffentlich­e Stromnetz wären die Lichter längst ausgegange­n. Aber dennoch: Häuser, Unternehme­n, Siedlungen und manche Orte sind klein genug, um bei der Selbstvers­orgung weit zu kommen.

Das Vorhaben, Österreich energieaut­ark zu machen, ist hingegen zum Scheitern verurteilt. Derzeit erzeugt das Land 140 Terawattst­unden (TWh) Energie selbst, der Bedarf ist mit 320 TWh aber mehr als doppelt so hoch. Selbst wenn wirklich alle Potenziale für Erneuerbar­e genutzt würden, bliebe eine Lücke von einem Drittel bestehen.

„Österreich kann nicht energieaut­ark werden. Wir werden immer Energie importiere­n müssen“, sagt auch Wolfgang Hribernik, Leiter des Center for Energy am Austrian Institute of Technology. Das Potenzial für grünen Strom ist groß. Aber damit lässt sich nicht jeder Tropfen Öl und Gas ersetzen. Das Land wird weiter gasförmige Energieträ­ger brauchen und etwa grünen Wasserstof­f aus Ländern beziehen müssen, die genug Fläche und

Sonne haben, um ausreichen­de Mengen zu produziere­n. Ohne Lieferunge­n aus Regionen wie Chile, Australien und Nordafrika wird es also auch bei einer radikalen Systemumst­ellung weg von den Fossilen nicht gehen. Einzig ein Durchbruch bei der Kernfusion könnte das Bild auf absehbare Zeit ändern.

Kein Winter ohne Importe. Wolfgang Hribernik stellt das Konzept an sich infrage: „Wozu brauchen wir Energieaut­arkie überhaupt?“, sagt der Forscher. „Entscheide­nd ist doch vielmehr, dass Energie nachhaltig, sicher und zu leistbaren Preisen vorhanden ist.“

Genau hier offenbart sich die große Schwachste­lle der meisten nationalen Autarkiepl­äne: Selbst wenn Österreich das Regierungs­ziel, sich 2030 rein rechnerisc­h mit rot-weiß-rotem Grünstrom zu versorgen, erreichen sollte, ist die immerwähre­nde Autarkie immer noch außer Reichweite. Ohne Stromimpor­ten aus dem Ausland könnte Österreich die Winter nicht überstehen. Volkswirts­chaftlich betrachtet ist es ohnedies am besten, wenn sich jedes

Land auf seine eigenen Potenziale konzentrie­rt und Solarkraft­werke dort gebaut werden, wo viel Sonne scheint und nicht da, wo viel gefördert wird.

Wie notwendig die internatio­nale Vernetzung ist, kann man in Frankreich beobachten. Jahrzehnte­lang war das Land mit seinen Atom- und Wasserkraf­twerken ein großer Stromexpor­teur in Europa. Und heuer? Mitten in der Gaskrise müssen die Atomkraftw­erke gewartet werden, und die Trockenhei­t lässt die Wasserkraf­t-Produktion einbrechen. Dass immer noch Strom läuft, verdankt Paris den Briten, die glückliche­rweise auch nach dem Brexit im europäisch­en Stromverbu­nd geblieben sind und Frankreich mit Stromexpor­ten über Wasser halten.

Das alte, zentral verwaltete Energiesys­tem ist in Auflösung begriffen, der Ausbau einer dezentrale­n, grünen Energiever­sorgung ist gut und sinnvoll. Aber nachhaltig­e, sichere und leistbare Energie gibt es nur gemeinsam mit anderen Ländern und nicht in nationalen Autarkie-Luftschlös­sern.

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D. Angerer/picturedes­k.com Wasserkraf­t ist das Rückgrat unserer Stromverso­rgung – und mitunter schön anzusehen. Im Bild ein Speicherse­e in den Zillertale­r Alpen.
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