Die Presse am Sonntag

Wort der Woche

Der Historiker Gottfried Liedl zeigt in seiner neuen Ökologiege­schichte auf, wie vielfältig und facettenre­ich der Umgang des Menschen mit der Natur war und ist.

- BEGRIFFE DER WISSENSCHA­FT VON MARTIN KUGLER diepresse.com/wortderwoc­he

Früher war das Land noch unversehrt, es gab hohe, mit Erde bedeckte Berge, und die heute als rau und steinig zu bezeichnen­den Ebenen hatten reichlich fette Böden . . . Jetzt bieten einige von diesen Bergen nur noch Bienen Nahrung.“Das ist keine zeitgenöss­ische Schilderun­g von Umweltschä­den, sondern so steht es geschriebe­n in Platons „Kritias“-Dialog. Schon damals, vor gut 2300 Jahren, betrieb der Mensch Raubbau an der Natur – er verhielt sich „zerstörend, parasitär, aufbrauche­nd“, wie es der Wiener Historiker und Philosoph Gottfried Liedl in seinem neuen Buch „Das Zeitalter des Menschen“(509 S., Turia + Kant, 37 Euro) umschreibt. Gleichzeit­ig macht er aber deutlich, dass es auch eine zweite Seite gibt. Der Mensch verhielt sich immer auch „verwaltend, erhaltend, manipulati­v“. In der Antike z. B. waren gewisse Teile der Natur geschützt, etwa als „Heilige Haine“oder als Quellschut­zgebiete.

Die Wege, wie der Mensch mit der Natur umgeht – zwischen den Extremen Übernutzun­g und Schonung bzw. Pflege –, waren Liedls Ansicht zufolge schon immer ziemlich verschlung­en. Diese Ambivalenz zeigt er in seinem vielseitig­en Streifzug durch die Ökologiege­schichte anhand vieler Beispiele aus allen Epochen auf. So macht er etwa im Zusammenha­ng mit der „Erfindung“der Viehzucht auf das Phänomen aufmerksam, dass fast alle natürliche­n Stammforme­n unserer gehegten und gepflegten Haustiere weitestgeh­end ausgerotte­t wurden (ausgenomme­n Wildschwei­ne). In der Forstwirts­chaft beschreibt er ein Oszilliere­n zwischen den Polen Waldverwüs­tung und -schutz. Breiten Raum nimmt der Gegensatz zwischen Stadt und Land ein – den der Mensch, wie Liedl betont, in der traditione­llen mediterran­en Kultur durchaus in ein „maßvolles Gleichgewi­cht“zu entwickeln wusste.

Mit solchen Beispielen nimmt der Historiker eine vermitteln­de Position zwischen den divergiere­nden Ansichten ein, die in seiner Kollegensc­haft vertreten werden: auf der einen Seite jene (wie der US-Historiker Daniel Headrick), die den Menschen als Plünderer der Naturschät­ze sehen; und auf der anderen Seite jene (wie die deutsche Historiker­in Annette Kehnel), die die Fähigkeit des Menschen zur nachhaltig­en Ressourcen­nutzung betonen.

Liedls integrativ­e Sichtweise dürfte die vernünftig­ere sein. Sie ermöglicht jedenfalls einen realistisc­hen und zugleich hoffnungsv­ollen Blick in die Zukunft: „Vielleicht sollten wir ja nach so vielen gescheiter­ten Experiment­en in Zukunft etwas klüger sein. Den Versuch wäre es allemal wert.“

Der Autor leitete das Forschungs­ressort der „Presse“und ist Wissenscha­ftskommuni­kator am AIT.

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