Heile Welt der Instagram-Mamas
Influencerinnen präsentieren sich und ihre Familie in den sozialen Medien gern makellos und rundum glücklich. Was junge Mütter stattdessen brauchen würden, ist Authentizität.
Selbst der wohl intimste Moment im Leben wird effektvoll in Szene gesetzt. Bei der Hausgeburt ist die ganze Familie dabei, die sechs Geschwisterkinder streicheln zärtlich Mamas Bauch während der Wehen, tanzen in freudiger Erwartung durch den Raum. Das Baby erblickt in der Badewanne das Licht der Welt. Die Mutter lässt sich die Erschöpfung nicht anmerken. Wer wünscht sich das nicht, eine solch problemlose Geburt im Kreise seiner Liebsten?
Die Realität jedoch sieht – das wissen Eltern nur zu gut – in den allermeisten Fällen ganz anders aus als auf dem Instagram-Profil „ballerinafarm“der US-Amerikanerin Hannah Neeleman, die sich gemeinsam mit ihrem Ehemann Daniel den Traum von einer eigenen Farm in Utah erfüllt hat. Trotz ihrer sieben Kinder findet Hannah in ihrer ländlich-durchgestylten Küche scheinbar nebenbei – und mit dem Baby im Tragetuch – Zeit für komplizierte Backanleitungen und Zubereitungsideen für das auf der Farm gezüchtete, in alle Welt exportierte „mountain grown beef“. Der Alltag der Familie mutet völlig aus der Zeit gefallen an: Während die Burschen das Westernreiten trainieren, flicht Hannah den Mädchen Blumenkränze fürs Haar. Dennoch – oder gerade deshalb – ist die Influencerin mit ihren 1,3 Millionen Followern so erfolgreich.
Auch Johanna Pinkepank alias „pinkepanki“zeigt auf Instagram gern bunte Bilder aus ihrem Leben mit Kindern – von Geburtstagspartys mit selbst produziertem Schmetterlingskuchen, unterwegs im lässigen Freizeitlook mit Lastenfahrrad, in der Kunstgalerie oder beim Zubereiten gesunder Gerichte wie Quinoa-Salat mit Spargel, Feta, gerösteten Mandeln und Granatapfelkernen.
Die scheinbar makellose Welt zigtausender Instagram-Mamis rund um den Globus übt auf deren Follower eine Faszination aus, die durchaus gefährlich sein kann. „Es ist ja bekannt, dass soziale Medien uns mitunter negativ beeinflussen und auch Depressionen fördern“, sagt Psychologin und Coach Laura Stoiber im Gespräch mit der „Presse am Sonntag“. Junge Mütter als Zielgruppe von Influencerinnen sind besonders labil: „Wenn eine Frau zur Mutter wird, sinkt zunächst meist ihr Selbstwert“, erklärt Stoiber. Das hat vor allem damit zu tun, dass sie in den Monaten oder Jahren nach der Geburt im Normalfall keine „Leistung“im Sinne einer Erwerbstätigkeit erbringt. Zudem ist der Ton unter jungen Müttern oftmals rau, man kritisiert einander, statt sich zu unterstützen.
Fataler Trugschluss. Viele flüchten sich deshalb in die sozialen Medien und stoßen dort auf Mütter, denen alles mit der größten Leichtigkeit zu gelingen scheint – ein fataler Trugschluss. „Jedes Leben ist authentisch, keines perfekt“, sagt Stoiber. Mütter sollten aufhören, danach zu streben, alles richtig zu machen, und sich Fehler leichter verzeihen. Das Problem: Wer mit Babys oder kleinen Kindern viel Zeit allein im häuslichen Chaos verbringt, lässt die Gedanken um das eigene Unvermögen kreisen und gerät so in eine Negativspirale – die sich beim Betrachten der dauerlächelnden Mütter in den sozialen Medien noch verstärkt.
Instagram sei aber nicht per se schlecht für das Selbstbewusstsein, sondern auch eine Plattform, auf der Alltagsprobleme mit kleinen Kindern und die Ängste und Bedürfnisse ihrer Erziehungsberechtigten sichtbar gemacht und geteilt werden können. Wichtig sei, täglich nicht länger als 60 Minuten mit Social Media Apps zu verbringen und sich bewusst zu überlegen, wem man folgt, mahnt die Psychologin. „Es gibt ja zum Glück zahlreiche Accounts, die eben dieses reale Leben abbilden – und die sind ohnehin viel interessanter.“
Nicht umsonst hat die in Österreich lebende Wiebke den Hashtag |ehrlicheelternschaft an ihr Profil „piepmadame“gepinnt: Die Mutter von Pia (7) und Fritz (2) zeigt den Alltag mit ihren Kindern erfrischend ungeschönt. „Fremdbestimmung ist real. Und am schwersten zu ertragen, wenn es Nacht ist“, steht da unter einem ihrer Posts. Oder: „Ich bin wirklich nicht perfekt in diesem Mama-Ding. Ich bin egoistisch. Ich schimpfe. Ich bin genervt. Mensch(lich) sein ist kein Fehler.“Für ihre Ehrlichkeit erhält Wiebke viele Tausend Likes und große Zustimmung in den Kommentaren. Sie präsentiert sich ungeschminkt und völlig erschöpft und gesteht: „Ich möchte keine perfekte ,Hausfrau‘ sein, hab keine Lust auf Spielen, kann nicht backen oder basteln. (. . .) Mutterschaft, so wie sie in der Gesellschaft gelebt werden soll, ist scheiße.“
Trotz ihrer sieben Kinder findet Hannah problemlos Zeit für komplizierte Backrezepte. »Mutterschaft, so wie sie in der Gesellschaft gelebt werden soll, ist scheiße.«
Auch Victoria will auf ihrem Account „victorypug“mit dem Mythos der perfekten Elternschaft aufräumen – jedenfalls lässt das der erste Blick auf ihren Account vermuten: „Perfect parents exist – but they don’t have kids yet“, steht da. Was man dann zu sehen bekommt, ist aber doch eher ein beinahe unwirklich schönes Familienidyll.
Die Bilder ernten Anerkennung, etwas, wonach Influencer berufsbedingt streben. „Die beliebtesten Menschen“, sagt Psychologin Stoiber, „sind aber in der realen wie in der digitalen Welt jene, die ihre Schwächen zugeben, sich echt und ungeschönt zeigen. Junge, oft verunsicherte Eltern brauchen Authentizität.“Wenn sie die Wirklichkeit schonungslos abbilden, können soziale Medien also sogar entlastend wirken, weil wir dort vielen anderen Menschen mit den gleichen Alltagsproblemen begegnen.