Wie viel Altersunterschied
Sie ging in die Schule, er heiratete das erste Mal – heute sind die beiden ein Paar. 20 bis 30 Jahre Altersdifferenz sind keine Seltenheit. Was sagt das über Beziehungen aus, und was bedeutet es biologisch?
Keine Glatze, kein Bart, kein Waschbärbauch, keine Kinder. Vor allem: kein großer Altersunterschied. Das waren die Kriterien, nach denen Angela Schmid bei der Partnerwahl vorging. „Gekommen ist es dann völlig anders“, erzählt die 32-Jährige. Ihr Lebensgefährte, Florian Reich, brachte nicht nur eine Tochter mit in die Beziehung, sondern auch neun Jahre Vorsprung. „Der Altersunterschied war anfangs kein Thema, nach fünf gemeinsamen Jahren lässt sich aber sagen: Man bemerkt ihn da und dort.“Im positiven, „teilweise aber auch im gewöhnungsbedürftigen Sinn“.
Damit sind die beiden nicht allein. Tatsächlich sind Paare mit einem mehr oder weniger großen Altersunterschied längst keine Seltenheit. In den seltensten Fällen aber ist das Alter der ausschlaggebende Grund für die Beziehung – heißt es seitens der Betroffenen. Nicht nur in Illustrierten werden daran aber immer wieder Zweifel laut. Es müsse etwas anderes dahinterstecken, so die Mutmaßungen, etwa im Fall von Modeschöpferin Vivienne Westwood, die mit einem 25 Jahre Jüngeren lebt. Auch die Kombination älterer Mann und jüngere Frau bleibt von Vorwürfen nicht verschont, obgleich sie kein Novum mehr darstellt. Aber was sagen Betroffene dazu? Und wie wirkt sich ein Altersunterschied biologisch aus?
Kinder als Knackpunkt. Zurück zu Angela und Florian. Kennengelernt haben sich die beiden am Arbeitsplatz. „Er kam rein mit Vollbart, bunten Sneakers und guter Laune“, sagt Angela über Florians ersten Auftritt. „Ich sollte ihn einschulen.“Es folgten gemeinsame Projekte sowie mal kürzere, mal längere Gespräche in der Kaffeeküche. „Sie war ein Blickfang“, meint der 41-Jährige. Doch erst, als Angela den Arbeitgeber wechselte, begannen die privaten Treffen. Er half ihr beim Umzug ins 200 Kilometer entfernte Stuttgart und holte sie ein Jahr später von dort wieder zurück. „Als klar war: Wir haben da etwas Exklusives.“Uneingeschränkte Zweisamkeit bedeutete das dennoch nicht.
„Weder in der Familie noch im Freundeskreis war je Thema, dass er älter ist als ich, wohl aber, ob ich das mit seinem Kind geregelt bekomme“, sagt Angela. Zum Zeitpunkt des Bekanntwerdens war Florian bereits Vater einer Achtjährigen, die an drei Wochenenden pro Monat bei ihm wohnte und teilweise die Schulferien bei ihm verbrachte. „Für mich steht fest, dass ich eigene Kinder möchte, da galt es abzuklären, ob er dafür noch bereit ist“, sagt die gebürtige Freiburgerin. „Nachdem er das ist, beruhigt es mich sogar, dass er schon Erfahrungen hat – sollten wir ein Baby bekommen, ist es in erprobten Händen.“Gleiches gelte beim Autofahren oder bei beruflichem Stress: „Wenn ich rotiere, hält er mir den Rücken frei und gibt mir Sicherheit – einem gleichaltrigen Partner könnte dafür zuweilen das Einschätzungsvermögen fehlen.“
Gene weitergeben. Die eigenen Gene weiterzugeben ist „das oberste Ziel aller Lebewesen“, sagt Evolutionsanthropologe Martin Fieder. Dies zu erreichen, verlangt unterschiedlich viel Aufwand. „Um die Überlebenschancen des Nachwuchses zu vergrößern, muss die Frau in der Regel mehr Aufwand betreiben“, erläutert Fieder. „Während die Zahl ihrer Eizellen begrenzt ist, sie neun Monate der Schwangerschaft und in der folgenden Stillzeit gebunden ist, kann beim Mann die biologische Verantwortung schon nach der Befruchtung enden – moralisch ist das freilich eine andere Kategorie.“
Fest steht: Diese Aussichten beeinflussen die Wahl der Partner enorm. „Weltweit tendieren Frauen zu finanziell erfolgreichen Männern, die gewillt sind, die erwirtschafteten Ressourcen mit ihnen zu teilen, und oft einen höheren gesellschaftlichen Status haben“, sagt Fieder. Männer jeden Alters wählen indes „verstärkt Frauen, die ihnen eine lange Fruchtbarkeit signalisieren“.
2,6 Jahre. Erste Versuche, den Altersabstand soziobiologisch zu erklären, gehen auf David Buss und den Anfang der 1990er-Jahre zurück. Der US-Psychologe befragte 10.047 Personen im Alter zwischen 14 und 70 Jahren aus 37 Kulturen auf sechs Kontinenten und fünf Inseln von Australien bis Sambia. Das Ergebnis: Männer wählen tendenziell jüngere Frauen, Frauen ältere Männer – durchschnittlich trennen die Geschlechter 2,6 Jahre.
„Die Frau hat ihr fertiles Fenster bis zum Alter von 45; wählt ein Mann eine deutlich ältere Partnerin, steigt sein Risiko, kinderlos zu bleiben“, sagt Fieder. Werde er selbst zu alt, laufe er Gefahr, dass es bei seinen Spermien zu Mutationen kommt, die die Fortpflanzung per se erschweren können, wie auch das Leben seiner Nachkommen. So weisen Forscher der Universität Indiana und des Karolinska-Instituts in Schweden darauf hin, dass Kinder, deren Väter bei ihrer Geburt älter als 45 Jahre waren, ein 25 Mal so hohes Risiko für eine bipolare Störung mitbrachten wie Kinder, deren Väter zwischen 20 und 24 Jahre alt waren.
Weitere Tendenzen: Männer mit jüngeren Ehefrauen werden im Schnitt älter als jene mit gleichaltrigen Partnerinnen. Und je früher eine Frau heiratet, desto größer fällt die Differenz aus: „Entscheidet sich die Frau sehr jung für eine Ehe, sind es meist um die vier Jahre Altersunterschied, später pendelt sich die Differenz bei zwei bis zweieinhalb Jahren ein“, sagt Fieder.
»Bis zu ihrem Tod wussten meine Eltern nicht genau, wie viel jünger als ich er war.«
Apropos Heiratspolitik. Insbesondere im Mittelalter trafen weniger die Eheleute selbst, sondern deren Eltern die Entscheidung für eine gemeinsame Zukunft. Die Folge waren zuweilen große Altersunterschiede. Vor allem, so Fieder, wenn die Väter bei der Partnerauswahl politisch motiviert vorgingen, resultierte das mitunter in „beziehungstechnischen Katastrophen“. Wie sie etwa bei Beatrix von Burgund im 12. Jahrhundert eintrat. Sie soll zwölf oder 14 Jahre alt gewesen sein, als sie den 34-jährigen Friedrich Barbarossa heiratete. Welf V. von Bayern wiederum wurde als 17-Jähriger dazu verpflichtet, die 42- oder 43-jährige Markgräfin Mathilde von Tuszien zu ehelichen.
Freie Wahl. Heute gelten arrangierte Ehen in europäischen Breiten als Ausnahme, gewählt wird nach eigenem Gutdünken. „Wir Menschen haben das Glück, nicht auf ein Kriterium angewiesen zu sein, sondern aus einem Bündel von Faktoren wählen zu können“, sagt Sonja Windhager vom Department für Evolutionäre Anthropologie an der Universität Wien. Passten Interessen oder das Werteverständnis zusammen, stünden die Chancen für die Liebe gut – das Alter sei oft erst im Nachhinein Thema.
So auch bei Elisabeth, die anonym bleiben möchte. „Ich war 27, als ich in Griechenland meinen späteren Mann kennengelernt habe“, erzählt die heute 66-Jährige. „Es war von beiden Seiten die große Liebe; dass er acht Jahre jünger war, hat uns nicht gestört.“Ihr Umfeld machte es stutzig: „Meine Freunde fürchteten, er könnte jünger als 19 sein und ich ins Kriminal kommen.“Als sie ihm davon erzählte, knallte er ihr seinen Personalausweis hin und setzte den Spekulationen ein Ende.
Auf den Urlaub folgte der Umzug: „Er kam nach Österreich; manche unken, er setzte sich ins gemachte Nest – immerhin arbeitete ich schon in einer Bank, konnte die Sprache und alle Behördenwege erledigen“, erzählt sie. „Aber das stimmt nicht, er war nur flexibler als ich.“In Wien wurde der Grieche sodann herzlich empfangen. „Der Altersgap fiel nicht auf, ich war eine fesche Endzwanzigerin, unser Anblick alles andere als peinlich.“Lediglich gegenüber ihren Eltern hielt sich Elisabeths Scham: „Ich kann nicht sagen, weshalb, aber bis zu ihrem Tod wussten sie nicht genau, wie viel jünger als ich er tatsächlich war.“
Ein Vorgehen, das Soziologin Brigitte Brandstötter nicht wundert. Vielfach würde Frauen mit jüngerem Partner Häme entgegengebracht, schreibt sie in ihrem Buch „Wo die Liebe hinfällt“, dabei begegne man ihnen immer häufiger. Das liege wiederum an der gesellschaftlichen und beruflichen Besserstellung der Frau. War sie früher abhängig vom Einkommen des Mannes, sorge sie nun für sich selbst und wähle ihren Partner verstärkt nach den Kriterien Zuneigung, Zuwendung und sexueller Erfüllung aus. Vor allem Letztere sei mit Jüngeren oft leichter zu erreichen, denn: Bei Frauen ab 40 steige der Testosteron-Spiegel, was sie aktiver, aggressiver und sexuell offener mache – und damit äußerst kompatibel mit dem Hormonhaushalt und Verhalten junger Männer. Zudem ergab Brandstötters Studie, dass ältere Frauen oft gar nicht auf der Suche nach einem neuen Partner seien, was ein ungezwungeneres Kennenlernen begünstige.
Auch Elisabeth lebt derzeit allein. „Nach 17 Jahren kam die Scheidung, nicht wegen des Alters, sondern
weil das Geschäft, das sich mein Mann aufgebaut hatte, in Konkurs ging und er Hals über Kopf nach Griechenland verschwand.“Mittlerweile ist der gelernte Installateur wieder in Wien – verheiratet mit einer rund acht Jahre Jüngeren. Für Elisabeth kommt eine neue Zweisamkeit vorerst nicht infrage: „Ich flirte mit alten Gspusis auf platonische Weise – mehr will ich nicht mehr.“
Höheres Trennungsrisiko. Statistisch betrachtet ist die Pensionistin damit keine Ausnahme. Einer Studie der Michigan State University von 2014 zufolge führt eine große Altersdifferenz öfter zu Trennungen, während Gleichaltrige eher zusammenbleiben. Bei einem Unterschied
von fünf Jahren sei das Risiko für eine Scheidung demnach um 18 Prozent höher als bei einem Jahr (drei Prozent). Liegen zehn Jahre zwischen den Partnern, sei eine Scheidung um 39 Prozent wahrscheinlicher, bei 20 Jahren um rund 95 Prozent. Wer die „Special Effects“des anderen „lang genug“aushalte, werde jedoch belohnt, stellen die Forscher fest. So sei das Trennungsrisiko nach zwei gemeinsam verbrachten Jahren um 43 Prozent geringer, nach zehn Jahren gar um 94 Prozent.
Zahlen, mit denen Rosa wenig anfangen kann. Die 33-Jährige hat sich vor fünf Jahren in Peter, der wie sie anonym bleiben möchte, verliebt. Nach zwei Jahren zogen sie zusammen, ein Jahr darauf gaben sie sich das Jawort – obwohl 22 Jahre zwischen ihnen liegen. „Wir reden über unser Alter nur, wenn es einen Anlass von außen gibt“, sagt sie. „Es ist lustig zu sehen, wie es in den Köpfen der anderen rattert, wenn wir unsere Jahrgänge nennen.“Sie selbst verschwendete an Peters Geburtsdatum nie einen Gedanken: „Für ihn war das Alter aber sehr wohl ein Thema, vor allem die Frage, wie wir auf andere wirken.“Zudem fürchtete er, dass eine womöglich schwindende Fitness der Liebe einen Strich durch die Rechnung machen könnte.
Konversation statt Katalog. Ängste, denen Rosa keinen Nährboden gibt: „Erstens