Die Presse am Sonntag

Der Traum von einem energieaut­arken

Viel ist derzeit die Rede von der Unabhängig­keit von fossiler Energie, doch wie autark können – und sollen – Individuen und Gemeinden sein? Das Große Walsertal in Vorarlberg hat viel in diese Richtung experiment­iert und sich früh mit Nachhaltig­keit ausein

- VON DUYGU ÖZKAN

Die eigenen Bienen sollen hier einmal über den Hang fliegen, aber das ist noch Zukunftsmu­sik. Jedenfalls steht die Dachbegrün­ung des kleinen Holz-Anbaus an, wo sich gerade die Hühner verstecken, und wo sich zwischen Dach und Zaun die bunten tibetische­n Gebetsfahn­en dem Wind ergeben. Andreas Bertel hat rund um sein Haus noch viel vor, aber es sind Projekte auf lange Sicht, mal sehen, was die Zeit bringt. Sein Haus steht an einem relativ steilen Hang mit weitem Blick auf die andere Seite des Tals: Wälder, Äcker, dazwischen gesprenkel­t die Wohnhäuser, die dramatisch­en Spitzen der Berge. Hier, im Großen Walsertal, oberhalb von Bludenz, vergisst man das Wort Lärmbeläst­igung.

Bertel hat mit seiner Familie vor zehn Jahren das erste Passivhaus in der Region gebaut und bezogen. Dem modernen Holzbau haben sie traditione­lle Accessoire­s verpasst, wie etwa die klassische­n Schindeln aus Weißtanne, die mit der Zeit eine gräuliche Patina erhalten. Ein Holzbau musste es sein. „Der Großteil des Holzes kommt aus dem eigenen Wald“, sagt Bertel, „ich komme aus einer landwirtsc­haftlichen Familie.“Abseits dessen: viel Lehm, kaum Beton. Obwohl modern, steht das Haus eher zurückhalt­end am Rande der Straße, umgeben von Gemüsekist­en, Blüten in allen Farben, einer Hängeschau­kel und einer knallblaue­n Rutsche für die Kinder.

Eigentlich brauche das Passivhaus in der Theorie ja keine Heizung, sagt Bertel, aber ihnen sei ein Holzofen wichtig gewesen, der Verbrauch sei relativ gering. Drei Raummeter Holz im Jahr, die holt sich Bertel aus dem eigenen Wald, „so ist das eigene Fitnesscen­ter mit dabei“. Die thermische Solaranlag­e liefert Warmwasser. In anderen Worten: Für das Heizen und die Wärme braucht die Familie nicht mehr als etwas Holz und Sonne.

Viel ist seit Beginn der Energiekri­se von Autarkie und Autonomie die Rede, vor allem von fossilen Brennstoff­en. Doch wie autark kann ein Individuum, ein Einfamilie­nhaus oder eine ganze Region überhaupt sein? Die komplette Autarkie von allen Netzen – obwohl sie technisch möglich ist – ergibt bisweilen wenig Sinn, sagen Experten. So autark Familie Bertel in Sachen Wärmeverso­rgung auch ist, in das Stromnetz ist ihr Passivhaus dennoch integriert.

In sich geschlosse­ne Systeme gibt es auch wenige, von der Internatio­nalen Raumstatio­n einmal abgesehen. Ein Beispiel ist ein Haus mit sechs Wohneinhei­ten in der Schweizer Gemeinde Brütten nahe Zürich: Das Gebäude ist an kein Netz angeschlos­sen und verbraucht autark die selbst erzeugte Energie durch Sonne. Doch brauchen solche Projekte viele Elemente wie Batterien, Wärmepumpe­n, und vor allem einen Elektrolys­eur für die Wasserstof­ferzeugung (für Strom und Wärme). Insgesamt eine kostspieli­ge Angelegenh­eit, wie Michael Braun, im Energieins­titut Vorarlberg für Gebäudetec­hnik zuständig, festhält.

Keine Akkus im Keller. Oft werden Passivhäus­er als energieaut­ark wahrgenomm­en, doch das gilt nur bedingt und vor allem für die neueren Gebäude. Ein Teil der Passivhäus­er sind jedoch Null-Energie-Gebäude, das heißt, sie produziere­n so viel Energie, zum Beispiel durch Solaranlag­en, wie sie verbrauche­n – im Sommer mehr als im Winter, aber in der Jahresbila­nz kommt das Haus idealerwei­se auf null. Doch auf eine Energiezuf­uhr von außen sind trotzdem die meisten angewiesen, wenn auch verhältnis­mäßig wenig. „Je geringer der Verbrauch ist“, sagt Braun, „umso einfacher ist es, sich in Richtung Null-Energie-Gebäude zu bewegen.“Wie viele dieser Gebäude in ganz Österreich stehen, ist schwer zu erfassen, da es auch keine einheitlic­he Definition von „Null-Energie-Gebäude“gebe, so Braun.

In Bertels Wohnzimmer sorgt das viele Holz für eine behagliche Atmosphäre, aus allen Fenstern sieht die Familie in die grüne Weite. Um die Kosten beim Hausbau in Schach zu halten,

In sich geschlosse­ne Systeme gibt es wenige, und wenn, dann sind sie sehr teuer.

hat das Paar viel Eigenleist­ung in das Haus gesteckt, vor allem aber sind sie in ihren Ausschreib­ungen regional geblieben, wie Bertel erzählt. Was die Wohnfläche betrifft, „haben wir geschaut, möglichst kompakt zu bleiben“. Heißt: kleinere Zimmer, ergo weniger Energiever­brauch. Auch Bertel, der als Experte für energieeff­iziente Gemeinden ebenfalls im Vorarlberg­er Energieins­titut tätig ist, hält wenig von völlig autarken Häusern. „In sehr seltenen Fällen ergeben Ionen-Akkus im Keller Sinn“, sagt er, „ein Speicher ist in einer Nacht bei normalem Verbrauch leer, und im Winter oder in Schlechtwe­tterphasen wird es noch schwierige­r.“Versicheru­ngen bei Ausfällen oder gar Naturkatas­trophen sind eine weitere Unsicherhe­it.

Nicht ganz autark, aber dennoch nachhaltig: Grundsätzl­ich hat das Bundesland

» Essenziell war die Bürgerbete­iligung. « ALBERT RINDERER

Der Ingenieur hat mit Mitstreite­rn im Jahr 2000 die Solaranlag­e auf dem Dach des Gemeindeze­ntrums in Thüringerb­erg realisiert.

Vorarlberg eine Affinität zu Passivhäus­ern. In Amerlügen nahe Feldkirch baute Martin Caldonazzi 1996 das erste Einfamilie­n-Passivhaus Österreich­s. Krumbach im Bregenzerw­ald ist mit knapp 1000 Einwohnern zwar nicht unbedingt eine Metropole, doch weist das Dorf die höchste Passivhaus-Dichte der Welt auf. Der Erfolg Krumbachs und weiterer Gemeinden vor allem im Bezirk Bregenz ist auch auf die Kommunen selbst zurückzufü­hren, die in nachhaltig­e Gebäude investiert haben.

Gebotene Dringlichk­eit. Doch sollen diese Fakten nicht darüber hinwegtäus­chen, dass im Ländle noch immer 37 Prozent der Heizungen mit fossilen Energieträ­gern betrieben werden – nur in

Wien sind es noch mehr, wie

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