Um ihren Sieg betrogen
Seit April protestiert die Bevölkerung in Sri Lanka für eine bessere Zukunft ohne die alte politische Elite. Auf die muss sie wohl noch eine Weile warten.
Das neue Fast-Food-Restaurant in Colombos Innenstadt ist verwaist. Die Leuchttafel strahlt in Gelb, laute Musik legt sich über die Leere. Die Gäste bleiben aus, und zum Essen gibt es heute nur Snacks. Das Gas sei ausgegangen, sagt Tuan, der Koch. Morgen soll die neue Lieferung kommen, erklärt der 26-Jährige. Neu ist diese Situation für ihn nicht. Es ist bereits das zweite Mal passiert, seitdem Sri Lanka eine schwere wirtschaftliche wie politische Krise durchlebt. Tuans Mutter breitet schon seit Wochen die Mahlzeiten im elektrischen Reiskocher zu, manchmal esse er auch einfach am Arbeitsplatz. Kochgas ist für alle auf der Insel knapp geworden. Dennoch kehrt für Tuan dieser Tage etwas Normalität zurück.
Seit Kurzem geht er wieder zur Arbeit. Über Wochen hielt er sich meist im nahegelegen Protestcamp auf, das sich „Gota Go Gama“nennt. Seit über 100 Tagen leben dort schon Menschen, die einen Regimewechsel in Sri Lanka fordern. Angelehnt ist der Name der provisorischen Zeltstadt an den mittlerweile geflüchteten Ex-Präsidenten Gotabaya Rajapaksa. Viele geben seiner Regierung, die erst Steuergeschenke machte und dann die Einfuhr von Kunstdünger stoppte, nachdem Sri Lanka die Devisen ausgingen, Mitschuld an der Wirtschaftskrise. Tägliche Stromausfälle sind die Regel. Der Bevölkerung fehlt es neben Kochgas und Treibstoff an Medikamenten und Lebensmitteln, die bezahlbar sind.
»Ranil go home.« Viele Geschäfte sind derzeit geschlossen. In manchen Einkaufszentren wird noch angeboten, was vor dem massiven Verfall der Landeswährung importiert wurde. Auch das Restaurant, in dem Tuan arbeitet, war eine Zeit lang dicht. Es befindet sich in der Nähe zu Regierungsgebäuden im alten holländischen Viertel. Die engen Straßen in der Umgebung seien vorübergehend von Sicherheitskräften und durch Barrikaden abgesperrt gewesen, erzählt er. Anfang Juli setzte ein Sturm von Demonstranten auf öffentliche Gebäude ein. Tagelang besetzten sie den Präsidentenpalast. Sie waren erstaunt über den Luxus des Staatschefs, der indessen flüchten konnte und über einen Zwischenstopp auf den Malediven in Singapur landete.
»Es ist ein schwarzer Tag für das Land. Eine Schande am ersten Amtstag.«
Doch dieser Tage herrscht Katerstimmung unter den Demonstranten. Am Mittwoch wählte das Parlament einen neuen Interimspräsidenten: Ranil Wickremesinghe. Der 73-Jährige konnte sich zwar die Mehrheit der Abgeordnetenstimmen sichern, nicht aber jene der Bevölkerung. Verschiedene Gruppierungen nehmen ihn schon ins Visier. Der Slogan „Ranil, go home“hat „Gota, go home“ersetzt. Noch am Vorabend der Abstimmung hatten Gegner vis-a`-vis vom Präsidentensitz in Colombos prächtiger Strandpromenade Galle Face Green in weißen Lettern auf schwarze Transparente den Slogan gemalt: „Abgeordnete, lasst euch nicht von Ranil kaufen“.
Sie sehen den Altpolitiker als Verbündeten der Familie Rajapaksa, der sie schützt und abschirmt. Ex-Präsident Gotabaya Rajapaksa hatte Wickremesinghe
im Mai zum Premier ernannt. Nachdem es ihm gelungen war, sich abzusetzen, schlug er ihn als Präsidenten vor. Auch darum ist das Misstrauen gegenüber Wickremesinghe groß.
„Was ist mit unseren Träumen? Kochgas, Benzin, die Familie ernähren zu können, das sind unsere Träume geworden“, sagt Varie Cally Balthazar bei einer Kundgebung. „Diese 134 gierigen, egoistischen Politiker, sie vertreten uns nicht“, fügt sie hinzu. Sie spricht aus, was viele in der Bevölkerung denken. Sie fühlen sich betrogen. Weder das Parlament noch der Interimspräsident Wickremesinghe würden sie vertreten, betont Balthazar.
Dass die Polizei und das Militär unter seiner Führung am Freitag gegen die zahlenmäßig unterlegenen Demonstranten rund um das Protestcamp Gota Go Gama eingesetzt wurden, dürfte die Situation kaum entspannen. Medienberichten zufolge wurden über 40 Personen verletzt und mehr als 10 Personen ins Krankenhaus eingeliefert. Die Anwaltskammer von Sri Lanka verurteilte die Anschläge. „Es ist ein schwarzer Tag für das Land. Es ist eine Schande, dass die Angriffe am ersten Amtstag des neuen Präsidenten geschehen“, sagte Saliya Pieris, die Vorsitzende.
„Wir lassen uns nicht einschüchtern“, sagte eine Transfrau verärgert in einem Interview mit dem lokalen Fernsehsender News 1st. „Das war ein Angriff auf friedliche Demonstranten, und sie machten auch nicht Halt vor Journalisten“, kritisiert sie. Die Zeltstadt Gota Go Gama steht noch. Doch einige Köpfe der Protestbewegung „Aragalaya“– was auf Singhalesisch Kampf heißt – sind verhaftet worden.
Die Bewegung sieht die Krise als Chance für Reformen, damit die politische Macht nicht länger in den Händen des Präsidenten konzentriert ist. Ihr
» Kochgas, Benzin, die Familie ernähren zu können – das sind unsere Träume geworden. « VARIE CALLY BALTHAZAR
Demonstrantin