»Meine Füße waren kaputt«
George Ezra stellte sein Album »Gold Rush Kid« vor 40.000 Fans in London vor: Ein Gespräch über Zensur bei der Queen, fröhliche Begräbnisse und sein Vagabundieren (auch nach Wien).
Der Finsbury Park steht eigentlich für etwas ganz anderes als das, was an diesem Sommernachmittag stattfand. Die britische Cabaret-Band Tiger Lillies hat die dunkle Seite dieses Parks in ihrem gleichnamigen Song sehr detailreich ausgebreitet. Es geht darin um Prostitution, Kriminalität und einen Abschiedskuss nahe einer Pisslache. Am 17. Juli, einen Tag vor dem mit Rekordtemperaturen peinigenden „Meltdown Monday“, lud George Ezra, der wohl familienfreundlichste Entertainer des britischen Popbusiness, in diese an sich finstere Ecke Londons.
Und siehe da, 40.000 Menschen kamen. Junge und alte, reiche und arme, weiße und schwarze. Sie alle kamen, um den 29-Jährigen zu hören. Seine sonore Sprechstimme ist beinah schöner als sein gutturaler Bariton, mit dem er in seinen Liedern lockt. Sachte gestikulierend erklärt der 29-Jährige sich immer wieder zwischen seinen Songs. Es ist sein bislang größtes Konzert als Headliner. Ein Jahr lang haben er und sein Team darauf hingearbeitet.
In den USA konnte er nie Fuß fassen – umso mehr in Festlandeuropa.
Der riesige, leere Rasen hatte Ezra bei den Proben so nervös gemacht, dass er noch für ein paar Stunden nach Hause fuhr. Jetzt, vor den Massen an Fans, konsolidiert sich seine psychische Schieflage rasch. Ein fröhlicher, an Elton John gemahnender Klavierlauf, ein trockener Rhythmus, und dann entrollt Ezra das erste von 18 Songszenarien. Kurioserweise gilt sein erster Song einer gewissen „Tiger Lilly“, die so gar nichts mit der sinisteren Welt der zitierten Cabaret-Band zu tun hat. Sie ist Projektionsfläche für Ezras Liebesfantasien. „Tiger Lily moved to the city, she’d just turned twenty-one, and I said: Here´s my number, hit me up, if you’re needing anyone.“Dieses schwungvolle Lied ist auf dem im Juni veröffentlichten, dritten Album „Gold Rush Kid“zu finden.
Es ist Ezras drittes Nummer-1-Album in den britischen Charts. Anders als etwa ein Harry Styles konnte Ezra, dessen Karriere 2014 anhob, nie in den USA Fuß fassen. Dafür umso beeindruckender in Festlandeuropa. 2014 eroberte er mit seiner Hitsingle „Budapest“auch Österreich.
Seither glückten ihm immer wieder neue Gassenhauer. Von „Shotgun“bis hin zum brandneuen „Green Green Grass“, das in seiner unbändigen Fröhlichkeit stark an Paul Simon in dessen Weltmusikphase erinnert. „Wir waren Weihnachten 2018 auf der karibischen Insel St. Lucia, als wir in eine fröhliche Straßenparade gerieten. Da wurde gekocht und getrunken, gerufen und gesungen. Ich wollte wissen, was da gefeiert wurde und fragte nach. Die Antwort verblüffte mich. ,Wir haben drei Leben verloren, die wir jetzt feiern.‘ So eine Art von Begräbnis, das überstieg meine Fantasie. Und war perfekter Stoff für einen Song.“
Die Queen darf vom Tod nichts hören. Im Gespräch mit der „Presse am Sonntag“sprudelt es nur so aus ihm heraus. Der an sich Introvertierte birgt überraschend viel Leidenschaft in sich. Natürlich auch, wenn er sich an die Zensur erinnert, die waltete, als er für die Queen beim Platinum Jubilee Concert auftrat. Aus dem recht unschuldigen Refrain „Green, green grass, blue, blue sky, you better throw a party on the day I die“musste das Wörtchen „die“gestrichen werden. „Das fand ich kurios, denn das Lied feiert ja das Leben. Ich weiß auch nicht, inwieweit die Royals selbst damit zu tun hatten. Aber ich wollte nicht streiten.“
In Finsbury Park wurde diese Hymne ans Leben jedenfalls ordentlich gefeiert. Obwohl Ezra gern die US-Folklegende Woody Guthrie als Vorbild nennt, ist er in seiner Kunst konsequent unpolitisch. Während Guthrie mit einer Gitarre auftrat, auf der „This machine kills fascists“geschrieben stand, bleibt der Brite lieber unverbindlich. „Meine Lieder handeln meist nicht von mir. Sie sind fiktional. Wichtig ist mir nur, dass sie eine gute Story transportieren.“
„Musik muss nichts sollen!“Sollte diese nicht auch von Zeit zu Zeit soziale Ungerechtigkeiten thematisieren? „Nein. Das sollen die Menschen schon selbst artikulieren. Musik ist ein Medium, dass man dafür verwenden kann, aber nicht muss. Musik muss alles dürfen, aber ja nichts sollen. Nur keinen Druck auf die Musik!“, sagt er fast flehentlich.
Weil bei einer so großen Karriere wie jener von Ezra letztlich doch auch immer Zwänge walten, ließ er sich wieder etwas einfallen, um Stoff für griffige Songs zu bekommen. Vor seinem Debüt reiste er via Interrail allein mit Gitarre durch Europa. Die Lieder seines zweiten Albums „Staying At Tamara’s“entstanden dann in Barcelona. Für den dritten Streich stand etwas Neues an. Gemeinsam mit Freunden und einem Videoregisseur durchwanderte er