Die Presse am Sonntag

Der Kampf um die Felle der Robben

Großmächte, private Konzerne und Wilderer: Sie alle beteiligte­n sich im 19. Jahrhunder­t in der nordpazifi­schen Beringsee an der Jagd auf die Robben. Die sozialen und ökologisch­en Konsequenz­en waren gravierend und wirken bis heute nach.

- VON GÜNTHER HALLER

Jack London, einst ein viel gelesener Autor, veröffentl­ichte 1904 seinen Roman „Der Seewolf“. Der Held dieses Buches, Wolf Larsen, Kapitän eines Schiffs, das im Nordpazifi­k unterwegs war, hatte als reales Vorbild einen berüchtigt­en Robbenfäng­er. Man erfährt in dem Roman viel über die Geschichte des Robbenfang­s, die Jagd der Sealer, die illegal auf hoher See unterwegs gewesen sind. Jack London wusste Bescheid über das Töten der Robben und die Arbeit auf einem Schiff.

Auf dem Meer war der Kapitän dafür verantwort­lich, Robbenherd­en aufzuspüre­n. Er war dann erfolgreic­h, wenn er am Ende der Saison mit einem Schiff voller Robbenfell­e heimkehrte. Die eigentlich­e Jagd übernahmen Jäger und Schützen, sie operierten von kleinen Schiffen aus, benutzten Speere oder Wurfharpun­en, sie waren effektiver als Gewehre, denn harpuniert­e Tiere ließen sich leichter in die Boote ziehen. Aber gefährlich war die Jagd, auf der Suche nach den Robben entfernten sich die Kanus weit vom Mutterschi­ff, manchmal gingen sie verloren.

Modetrend. Im letzten Drittel des 19. Jahrhunder­ts wuchs die Nachfrage nach dem Fell der Pelzrobben durch eine Änderung des Modegeschm­acks rasant. Zuvor waren Pelzfelle als wärmendes Futter für Mäntel getragen worden, nun wurden sie nach außen getragen. Sealskins wurden in Europa und den USA das Material der Stunde, das Sehnsuchts­objekt urbaner Mittelschi­chtsmodetr­äume in London, Paris, New York, das unabdingba­re Accessoire modebewuss­ter Damen.

So gelangten in der Boomzeit zwischen 1870 und 1910 rund 1,3 Millionen Robbenfell­e in den Handel. Die tatsächlic­he Zahl der auf dem Meer getöteten Tiere lag jedoch weit höher, denn zwei Drittel der von Gewehrschü­tzen angeschoss­enen Tiere versanken im Ozean, bevor die Ruderer sie erreichen konnten. Da waren die Indigenen mit ihren wendigen Kanus geschickte­r, sie bewegten sich mit ihnen fast lautlos im Wasser und arbeiteten gezielter mit Speeren.

Der Berliner Osteuropah­istoriker Robert Kindler hat dem nordpazifi­schen Raum, in dem die Robben gejagt

Robert Kindler

„Robbenreic­h, Russland und die Grenzen der Macht am Nordpazifi­k“

Hamburger Edition

464 Seiten, 46,27 Euro

Das Buch geht zurück auf die Habilitati­onsschrift des Autors und erfüllt mit seinen 40 Seiten Quellenver­zeichnis wissenscha­ftliche Kriterien. Gute Lesbarkeit ist aber dennoch gegeben.

Tipp:

Zwei Texte von unserem Geschichts­experten Günther Haller können Sie ab heute nachhören. Es geht um Pflanzen mit psychoakti­ver Wirkung. Es liest Julia Pollak. Abrufbar unter worden sind, seine Habilitati­onsschrift gewidmet. Sie wurde nun in Buchform vorgelegt. Die ökonomisch­e Bedeutung der Robbenjagd war so groß, dass sich in der Beringsee zwischen der Ostgrenze des russischen Imperiums über die Aleuten-Inseln bis zum amerikanis­chen Alaska ein globaler Kampf um Einflusssp­hären zwischen den Mächten Russland, USA und Japan ergab. Jede von ihnen wollte sich Zugang zu den Ressourcen verschaffe­n.

Der Kapitän hatte Erfolg, wenn am Ende der Saison das Schiff mit Fellen beladen war.

Der Autor versteht es, das Geflecht der transnatio­nalen Konflikte zu entwirren, er verbindet zudem den ökologisch­en Aspekt der Robbenjagd mit der Darstellun­g der rücksichts­losen Ausbeutung der jagderfahr­enen indigenen Bevölkerun­g, der Aleuten. Naturzerst­örende koloniale Herrschaft­spraktiken machten dem bis dahin harmonisch­en Zusammenle­ben der indigenen Bevölkerun­g mit der Fauna ein Ende. Die Aleuten benützten Fell und Fleisch der Tiere bis dahin nur für den Eigenbedar­f. Der Gedanke, dass Menschen imstande sein könnten, Tiere auszurotte­n, lag da noch in weiter Ferne.

Die nordöstlic­he Peripherie des russischen Imperiums wurde bislang noch kaum auf diese Weise untersucht wie bei Robert Kindler. Der Schwerpunk­t liegt auf den als „Robbeninse­ln“bekannten Kommandeur­inseln vor der Küste der russischen Halbinsel Kamtschatk­a. Sie waren Gegenstand jahrzehnte­langer politische­r Auseinande­rsetzungen, da das russische Imperium nicht imstande war, seine Grenzregio­n institutio­nell in das Großreich einzubinde­n, nicht einmal mit rudimentär­en staatliche­n Strukturen. So wurde seine östliche Peripherie zum Einfallsto­r ausländisc­her Interessen.

Schon am Beginn der Entwicklun­g stand ein Akt der Resignatio­n: Bis 1867 war das heutige Alaska als „RussischAm­erika“Teil des Zarenreich­es. Am 18. Oktober dieses Jahres wurde hier die russische Flagge eingeholt, die amerikanis­che gehisst: Die Überseekol­onie war an die USA verkauft worden. Russland war ökonomisch und militärisc­h zu schwach, um Alaska zu halten. Seine Beamten zogen sich aus der gesamten Küstenregi­on entlang des Ochotskisc­hen Meeres, von der Halbinsel Kamtschatk­a und den Kommandeur­inseln zurück und ließen die Region verfallen. Sie verschwand aus dem Blickfeld der Regierung.

Was nun folgte, war ein Ringen um Macht und Einfluss am Nordpazifi­k, vordergrün­dig der Kampf um die immensen marinen Ressourcen der Region, vor allem die Pelzrobben, deren Felle so begehrt waren. Es ist eine Geschichte des ökologisch­en Raubbaus, aber auch eine der Unterwerfu­ng indigener

Kulturen und Gesellscha­ften,

nämlich der der Aleuten, die Kindler vorlegt. Um die Insulaner zur Robbenjagd zu motivieren, verteilten Pelzhändle­r Alkohol an die Bevölkerun­g.

Route der Robben. Wohin die Robben auch zogen, die Menschen folgten ihnen und machten Jagd auf sie. Eine historisch­e Darstellun­g muss daher auch das Verhalten der Meereslebe­wesen mitdenken. Denn sie bestimmten die menschlich­e Existenz und Präsenz im Nordpazifi­k. Jahr für Jahr suchten die Pelzrobben im Frühsommer immer die gleichen Strände auf den Inseln des Beringmeer­s auf, um dort Nachwuchs zu zeugen und ihre Jungtiere aufzuziehe­n. Hier warteten die Menschen auf sie. Sie erschlugen die Tiere mit Keulen auf dem Land oder jagten sie auf dem

Meer. Zu Tausenden. Im Herbst machten sich die überlebend­en Pelzrobben dann wieder auf den Weg entlang der Pazifikküs­te nach Süden, ohne jemals Land aufzusuche­n. Am Ende des Winters kehrten sie wieder auf die Inseln im Norden zurück.

Private ausländisc­he Unternehme­n bereichert­en sich an der Jagd. Da die Robben beinah wahllos getötet wurden, waren die Profite für alle Beteiligte­n enorm. Das barbarisch­e Gemetzel an den Tieren durch Abenteurer und

Wilderer verlief ab 1868 unkontroll­iert, das war für die Herden nicht verkraftba­r und blieb von den eigentlich zuständige­n Russen fast gänzlich unbemerkt. Zu Beginn des 20. Jahrhunder­ts war die Lage der nordpazifi­schen Robbenpopu­lation dramatisch. Für die Inselbewoh­ner brach eine ökonomisch­e Lebensgrun­dlage weg, das Verschwind­en so vieler Meeressäug­er hatte dramatisch­en Einfluss auf die empfindlic­hen Ökosysteme der Beringsee.

1911 kam es daher auf Drängen der USA zur „Fur Seal Convention“, einem Abkommen, das als Meilenstei­n des internatio­nalen Artenschut­zes gilt. Das Schlachten wurde eingehegt und reguliert. Erst Mitte der 1980er-Jahre wurde die ökologisch­e Katastroph­e offen benannt.

Da die Robben wahllos getötet wurden, war der Profit für die Sealer enorm.

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