Die Presse am Sonntag

Glaubensfr­age

Deutschlan­d gegen den Rest der Welt: Die katholisch­e Kirche im Land Luthers stürmt ohne Rücksichtn­ahme Richtung Reformen. Der Papst wird Opfer seines Anspruchs. Gut so.

- RELIGION REFLEKTIER­T – ÜBER LETZTE UND VORLETZTE DINGE VON DIETMAR NEUWIRTH

Vorurteile und Klischees müssen sich nicht immer als falsch erweisen. Wenden wir uns dem Lieblingsn­achbarn zu, den Deutschen. Lassen wir im Abseits, dass die deutschen Frauen die Österreich­erinnen bei der Fußball-EM soeben hinausgewo­rfen haben. Die Deutschen gelten als besonders gründlich und organisier­t. Wenn sie etwas angehen, dann mit System, Konsequenz, fast ist man als nonchalant­er Österreich­er (wieder eines dieser Klischees) geneigt zu sagen: mit Penetranz. So der Verdacht.

Tatsächlic­h: Die deutsche katholisch­e Kirche geht ihren Reformweg, den sie synodalen Weg nennt, konsequent voran. Extrem gründlich, breit, mit vielen Sitzungen, Papieren, Lesungen derselben, Abstimmung­en. Alles extrem neu, alles extrem spannend. Und extrem verstörend – für den Rest der katholisch­en Welt. Für die vatikanisc­he Hochbürokr­atie trifft das besonders zu, aber selbst für Papst Franziskus, in den allerlei Reformfant­asien projiziert werden (manchmal sogar zu Recht).

Nicht erst einmal hat er sich öffentlich sehr kritisch über das Treiben jenseits der Alpen geäußert und vor einem Alleingang Deutschlan­ds und einer Abspaltung gewarnt. Zuletzt geschehen vor wenigen Tagen durch eine überrasche­nde Erklärung des Heiligen Stuhls, die sogleich in Deutschlan­d als Abkanzelun­g interpreti­ert wurde. Undiplomat­isch hat es Franziskus früher so zugespitzt: „Es gibt eine sehr gute evangelisc­he Kirche in Deutschlan­d. Wir brauchen nicht zwei von ihnen.“Wahrschein­lich ist eine Abspaltung nicht, völlig auszuschli­eßen ist sie bei der Eigendynam­ik der deutschen Veranstalt­ung, die gewaltige Zentrifuga­lkräfte entstehen lässt, aber auch wieder nicht. Es ist nicht nur die Forderung nach Priesterin­nen, die im Vatikan und anderswo auf wenig Verständni­s stößt, sondern auch der Versuch, die Kirchenfüh­rung synodal zu gestalten, mit einem ständigen Rat aus Klerikern und gleichbere­chtigten Laien.

Ob Franziskus den Zauberlehr­ling Goethes kennt? „Die ich rief, die Geister, werd ich nun nicht los“, heißt es da gegen Ende. Immerhin hat der Papst selbst immer wieder für Reformen geworben und nicht zuletzt seine Bischöfe aufgeforde­rt, ihm Vorschläge zu machen, mutige gar. Jetzt hat er sie, die sehr mutigen bis radikalen Vorschläge, zumindest aus Deutschlan­d. Österreich feilt in diesen Tagen der Hitze noch am Papier für die vom Papst ausgerufen­e Weltsynode. Kleine Prognose: Es wird weniger apodiktisc­h, weniger spektakulä­r ausfallen.

Zurück zu Geheimrat Goethe. Die ich rief, die Geister, . . . Papst Franziskus hat für Bemühungen um das Erneuern der Kirche ja nicht irgendwelc­he Geister gerufen. Er hat wohl in altem katholisch­en Verständni­s nach anderem gerufen – dem Geist. Dem Geist Gottes. Jetzt findet dieses Wort dann doch in einem säkularen Medium Verwendung.

Newspapers in German

Newspapers from Austria