Eine Blamage für Wladimir Putin
Nur einen Tag nach seiner Annexions-Party muss der Kreml-Chef eine Schlappe einstecken. Die ukrainischen Streitkräfte vertrieben die russische Besatzungsarmee aus der wichtigen Stadt Lyman.
Die inszenierten Jubelfeiern in Moskau können nicht darüber hinwegtäuschen: Russlands Präsident, Wladimir Putin, ist in Bedrängnis und tritt deshalb die Flucht nach vorn an. Wer Gebiete eines Nachbarstaates für annektiert erklärt, die noch gar nicht vollständig erobert sind, muss verzweifelt sein. Putin erhöht seinen Einsatz und damit auch sein persönliches Risiko.
Wird seine Armee zu weiteren Rückzügen aus ostukrainischen Gebieten gezwungen, die Russland nun mit Pomp und Gloria völkerrechtswidrig für sich beansprucht, wiegt die Blamage umso schwerer, auch für ihn. Und tatsächlich setzte es schon Stunden nach der Anschluss-Party eine bittere Schlappe: Die ukrainischen Streitkräfte vertrieben die russische Armee aus dem strategisch wichtigen Logistik-Knotenpunkt Lyman im Gebiet Donezk.
Wie wird der Kreml-Chef darauf reagieren? Ab jetzt muss Putin in seiner verqueren Logik jeden Rückeroberungsversuch in den besetzten Gebieten als Angriff auf russisches Territorium werten, das er „mit allen Mitteln“
verteidigen will, wie er schon bei der Ankündigung der Anschluss-Referenden und der Teilmobilmachung sagte. Eine kaum verhohlene Drohung mit Atomwaffen.
In seinem neo-imperialen Wahn, Russland wieder groß zu machen, signalisiert Putin Bereitschaft zum Äußersten. Die beklemmende Frage ist, ob er seinen Drohungen nicht irgendwann auch Taten folgen lassen muss. Einschüchterung war seit Beginn des Überfalls auf die Ukraine das bevorzugte Mittel seiner Wahl. Nur funktionierte es nicht so, wie er sich das vorstellte. Unbeeindruckt von Putins Atom-Gerassel unterstützte der Westen die Ukraine mit Waffenlieferungen. Die Nato wird allerdings nicht so weit gehen, dem illusorischen EilBeitrittsantrag des ukrainischen Präsidenten Folge zu leisten. Denn dann träte der Bündnisfall sofort ein, die Allianz wäre in eine direkte Konfrontation mit Russland verwickelt, es wäre der Beginn des Drittes Weltkriegs.
Den weitaus größten Teil seiner Annexionsrede widmete Putin Hetztiraden gegen den Westen. Wie einem grotesk verzerrten
Spiegelkabinett warf er den USA exakt das vor, wessen er sich in der Ukraine schuldig macht: Aggression, Imperialismus, Kolonialismus, verlogene Missachtung der Souveränität anderer. Um von seinem Unrecht abzulenken, erhob Putin Anklage. Ein Schauspiel, bei dem man den Gedanken nicht loswurde, dass der Mann im Kreml in einem Schlussakkord auch den Abwurf der USAtombombe über Hiroshima spiegeln könnte, um den Krieg in der Ukraine zu beenden.
Mit seinem antiwestlichen Rundumschlag wollte Putin den Rest der Welt auf seine Seite ziehen. Unterstützung für den Anschluss wird er jedoch kaum erhalten. Schon die Krim-Annexion haben seit 2014 nur sieben Staaten anerkannt: Kuba, Nicaragua, Venezuela, Afghanistan, Nordkorea, Syrien und zuletzt Belarus. Nicht einmal China zog mit. Auch diesmal wird es ähnlich sein. Denn jeder mit einem Restbestand an Vernunft weiß: Wer Landraub gutheißt, zertrümmert das Fundament der Weltordnung und öffnet das Höllentor zum Chaos.
» Wer Gebiete für annektiert erklärt, die noch nicht vollständig erobert sind, muss verzweifelt sein. «