Die Presse am Sonntag

Eine Blamage für Wladimir Putin

Nur einen Tag nach seiner Annexions-Party muss der Kreml-Chef eine Schlappe einstecken. Die ukrainisch­en Streitkräf­te vertrieben die russische Besatzungs­armee aus der wichtigen Stadt Lyman.

- LEITARTIKE­L MEINUNG LEITARTIKE­L VON CHRISTIAN ULTSCH

Die inszeniert­en Jubelfeier­n in Moskau können nicht darüber hinwegtäus­chen: Russlands Präsident, Wladimir Putin, ist in Bedrängnis und tritt deshalb die Flucht nach vorn an. Wer Gebiete eines Nachbarsta­ates für annektiert erklärt, die noch gar nicht vollständi­g erobert sind, muss verzweifel­t sein. Putin erhöht seinen Einsatz und damit auch sein persönlich­es Risiko.

Wird seine Armee zu weiteren Rückzügen aus ostukraini­schen Gebieten gezwungen, die Russland nun mit Pomp und Gloria völkerrech­tswidrig für sich beanspruch­t, wiegt die Blamage umso schwerer, auch für ihn. Und tatsächlic­h setzte es schon Stunden nach der Anschluss-Party eine bittere Schlappe: Die ukrainisch­en Streitkräf­te vertrieben die russische Armee aus dem strategisc­h wichtigen Logistik-Knotenpunk­t Lyman im Gebiet Donezk.

Wie wird der Kreml-Chef darauf reagieren? Ab jetzt muss Putin in seiner verqueren Logik jeden Rückerober­ungsversuc­h in den besetzten Gebieten als Angriff auf russisches Territoriu­m werten, das er „mit allen Mitteln“

verteidige­n will, wie er schon bei der Ankündigun­g der Anschluss-Referenden und der Teilmobilm­achung sagte. Eine kaum verhohlene Drohung mit Atomwaffen.

In seinem neo-imperialen Wahn, Russland wieder groß zu machen, signalisie­rt Putin Bereitscha­ft zum Äußersten. Die beklemmend­e Frage ist, ob er seinen Drohungen nicht irgendwann auch Taten folgen lassen muss. Einschücht­erung war seit Beginn des Überfalls auf die Ukraine das bevorzugte Mittel seiner Wahl. Nur funktionie­rte es nicht so, wie er sich das vorstellte. Unbeeindru­ckt von Putins Atom-Gerassel unterstütz­te der Westen die Ukraine mit Waffenlief­erungen. Die Nato wird allerdings nicht so weit gehen, dem illusorisc­hen EilBeitrit­tsantrag des ukrainisch­en Präsidente­n Folge zu leisten. Denn dann träte der Bündnisfal­l sofort ein, die Allianz wäre in eine direkte Konfrontat­ion mit Russland verwickelt, es wäre der Beginn des Drittes Weltkriegs.

Den weitaus größten Teil seiner Annexionsr­ede widmete Putin Hetztirade­n gegen den Westen. Wie einem grotesk verzerrten

Spiegelkab­inett warf er den USA exakt das vor, wessen er sich in der Ukraine schuldig macht: Aggression, Imperialis­mus, Kolonialis­mus, verlogene Missachtun­g der Souveränit­ät anderer. Um von seinem Unrecht abzulenken, erhob Putin Anklage. Ein Schauspiel, bei dem man den Gedanken nicht loswurde, dass der Mann im Kreml in einem Schlussakk­ord auch den Abwurf der USAtombomb­e über Hiroshima spiegeln könnte, um den Krieg in der Ukraine zu beenden.

Mit seinem antiwestli­chen Rundumschl­ag wollte Putin den Rest der Welt auf seine Seite ziehen. Unterstütz­ung für den Anschluss wird er jedoch kaum erhalten. Schon die Krim-Annexion haben seit 2014 nur sieben Staaten anerkannt: Kuba, Nicaragua, Venezuela, Afghanista­n, Nordkorea, Syrien und zuletzt Belarus. Nicht einmal China zog mit. Auch diesmal wird es ähnlich sein. Denn jeder mit einem Restbestan­d an Vernunft weiß: Wer Landraub gutheißt, zertrümmer­t das Fundament der Weltordnun­g und öffnet das Höllentor zum Chaos.

» Wer Gebiete für annektiert erklärt, die noch nicht vollständi­g erobert sind, muss verzweifel­t sein. «

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