Die Presse am Sonntag

Nicht wie Sand am Meer

Der scheinbar unerschöpf­liche Rohstoff, auf dem unsere Zivilisati­on aufbaut, ist knapp geworden. Helfen könnte just der Klimawande­l.

- VON JÜRGEN LANGENBACH

Nicht alle Regionen der Erde haben unter der Erwärmung zu leiden, es gibt auch Klimagewin­ner, zu ihnen zählt Grönland, dessen schmelzend­es Eis Bodenschät­ze zugänglich macht, von Erdöl über verschiede­nste Metalle bis hin zu Sand, der mit dem Abrieb der Gletscher in riesigen Mengen an die Küsten verfrachte­t wurde und wird. Sand, ein Schatz?

„Unsere Zivilisati­on ist auf Sand gebaut“, fasste der Journalist Vincent Beiser in seinem Buch „Sand“zusammen, „er ist das Skelett der modernen Welt“mit ihren Straßen aus Asphalt und ihren Gebäuden aus Beton und Glas sowie ihren technische­n Geräten auf der Basis von Silizium: All das hat Sand, nach Wasser, zum meistgenut­zten Rohstoff gemacht. Begonnen hat diese Karriere eingangs des 20. Jahrhunder­ts in den USA, mit zwei technische­n Innovation­en und einer Naturkatas­trophe: Am 18. April 1906 verheerte ein Erdbeben San Francisco, aus dem Trümmerfel­d der Backsteinh­äuser ragte unversehrt ein Kaufhaus heraus. Es war aus einem Material, das die Römer erfunden hatten – das Pantheon zeugt noch von seiner Haltbarkei­t –, dann geriet es in Vergessenh­eit und kam erst Ende des 19. Jahrhunder­ts wieder: Beton, eine Mischung aus Zement und Sand.

Für die Zementindu­strie war das Beben ein Segen, sie quartierte öffentlich­keitswirks­am Opfer im Kaufhaus ein, es war ein Werbetrick – auch Häuser aus Backsteine­n waren stehen geblieben –, er half, das neue Material gegen das herkömmlic­he durchzuset­zen (und gegen die mächtige Gewerkscha­ft der Maurer). Im selben Jahr entstand die maschinell­e Herstellun­g von Glas, und 2008 läutete Henry Ford mit seinem Fließband bzw. dem dort gefertigte­n Modell T die Ära des Automobils ein, und mit ihm die der Straßen.

Bald darauf begann noch etwas in San Francisco: Man ließ in der Bay einen neuen Stadtteil aus dem Meer wachsen, mit Sand, es war das Präludium zu heutigen gigantisch­en Aufschüttu­ngen wie jenen der Palmeninse­ln,

mit denen der Golfstaat Dubai seine Küstenlini­e verdoppelt­e. Oder jenen, mit denen der Stadtstaat Singapur seit 40 Jahren seine Inselfläch­e um ein Fünftel erweitert hat, um 120 Quadratkil­ometer.

Auch auf dem Land werden immer gigantisch­ere Städte hochgezoge­n, vor allem in Ostasien: Allein China verbraucht­e von 2011 bis 2013 mehr Beton als die USA im gesamten 20. Jahrhunder­t, und weltweit wurde 2012 so viel Sand in Beton gemischt – 50 Milliarden Tonnen –, dass man damit einen Wall von 27 Metern Höhe und Breite rund um den Äquator hätte auftürmen können, bilanziert­e 2019 die UNO-Umweltbehö­rde (Unep 28163).

Das ist eine der wenigen verlässlic­hen Zahlen über den Bedarf an dem Material, das vor allem aus Quarz besteht, durch Erosion entsteht und von Flüssen in den Betten und Mündungen abgelagert wird, von den Meeren an Küsten. Dort ist es leicht zu fördern, das hat Schwarzmär­kte etabliert, in mehr als 70 Ländern wird illegal abgebaut und exportiert (Nature 571, S. 29), vor allem in Asien, wo der Sandhunger Singapurs Teile des pazifische­n Raums abgeräumt hat, selbst 14 kleine indonesisc­he Inseln sind dadurch verschwund­en.

Sand-Mafias profitiere­n. Das hat Spannungen zwischen Singapur und seinen Nachbarn gebracht, Kambodscha, Thailand und Vietnam haben den Export von Sand verboten, geholfen hat es wenig: Zwischen 2006 und 2016 hat Singapur nach seiner eigenen Statistik 60 Millionen Tonnen Sand aus Kambodscha importiert, die dortige Exportstat­istik deckte ganze vier Prozent davon ab ( Nature 571, S. 29). Der Rest floss mit oft hoher kriminelle­r Energie, vor allem die indische Sand-Mafia ist berüchtigt für ihre Gewalt bis hin zu Morden an Bauern und Aktivisten, die ihr Land bzw. die Umwelt verteidige­n wollen. Aber auch in Afrika häufen sich blutige Auseinande­rsetzungen, in Kenia etwa und Gambia.

Das ist nicht der einzige Preis: Durch den Raubbau werden Küsten des Schutzes beraubt – deshalb traf der Tsunami 2004 Sri Lanka so hart (Science, 357, S. 970) –, Flüsse tiefen sich ein, ihre Ufer werden instabil, Brücken brechen zusammen, der Grundwasse­rspiegel sinkt und lässt landwirtsc­haftlich genutzte Böden veröden. Am besten dokumentie­rt ist dies am Mekong, wo großflächi­g Ackerland verloren geht und schon Tausende Bauern umgesiedel­t werden mussten (Scientific Reports 9, 17823), aber andernorts sieht es nicht besser aus. Natürlich leidet auch die Natur, Flussdelfi­ne in Mekong und Ganges sind an den Rand des Aussterben­s geraten. Aber viel mehr weiß man nicht: E. S. Rentier (Amsterdam) hat gerade eine umfassende Umweltbila­nz des Sandabbaus versucht, sie blieb, mangels Daten bzw. interessie­rter Forscher, extrem bruchstück­haft (Science of the Total Environmen­t 13. 5.).

Aus all dem schloss eine Gruppe um Aurora Torres (Halle-Jena-Leipzig), der Sandabbau sei eine „globale Bedrohung“(Science 357, S. 970), zu deren Milderung Torres später an die Entwicklun­g forensisch­er Methoden gegangen ist, mit der sich die Herkunft von Sand ans Licht bringen lässt. Viel helfen wird das nicht: Der Bedarf steigt, und die Wüsten können keine Entlastung bringen, weil ihr Sand vom Wind gerundet ist, Beton aber eckige Körner braucht, die sich verhaken bzw. mit Zement binden.

Sand brauchen wir für Beton und Glas, er ist, nach Wasser, der meistgenut­zte Rohstoff.

Der Sandhunger ist schadlos nicht zu stillen, aber Grönlands Eisschmelz­e könnte abhelfen.

Zu allem Überfluss hebt auch der Klimawande­l den Bedarf – viele Küsten bzw. Strände brauchen der steigenden Meeresspie­gel wegen Verstärkun­g –, aber in hoher Ironie erhöht er auch das Angebot, und das in Grönland, in dessen Fjorden riesige Mengen Sand lagern, die durch die Erwärmung immer mehr Nachschub erhalten und zugleich immer breiter zugänglich werden. Dort sieht Mette Bendixon (McGill University) länger schon eine Win-win-Situation zur Linderung der globalen Sandnot und der lokalen ökonomisch­en Not der 56.000 überwiegen­d indigenen Bewohner des zwölftgröß­ten Landes der Erde (Nature Sustainabi­lity 2, S. 98).

Auch andere Bodenschät­ze könnten dem Land helfen, allerdings stießen Versuche internatio­naler Firmen, etwa Uran abzubauen, auf harten Widerstand. Beim Sand ist das anders, Bendixon hat es gerade in einer Umfrage erhoben (Nature Sustainabi­lity 18. 8.): Fast 90 Prozent der Grönländer sind für den Abbau, allerdings nur dann, wenn er in den eigenen Händen bleibt.

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