Die Wahrheit über Doppelbegabungen
Von Brad Pitt über Helmut Lang bis Lars Eidinger: Es ist (männliche) Hybris zu glauben, auf zwei künstlerischen Gebieten außerordentlich zu sein. Und dennoch haben viele damit Erfolg.
Shockingly“, titelte vorige Woche der Kunstkritiker des britischen „Guardian“, „stellt sich Brad Pitt als wirklich guter Bildhauer heraus.“Und so unrecht hat er damit nicht. Erstens mit „shocking“, zweitens mit „wirklich gut“. Im finnischen Privatmuseum Sara Hilden präsentierte der 58-jährige Hollywoodstar erstmals seine Objekte und Skulpturen, die in den vergangenen Jahren, eigentlich in der Coronazeit, entstanden sind. Das Interesse Pitts für zeitgenössische Kunst, vor allem aber für Architektur war bisher zwar schon bekannt. Aber dass er selbst tätig werden würde, überraschte dann doch.
Stilisierte Häuser sind es denn auch, die Pitt am meisten in seiner Bildhauerei zu interessieren scheinen: Ein Hausmodell aus transparentem Kunststoff zeigt sich von Patronen durchdrungen. Ein anderes, sein erstes Werk überhaupt, wie angegeben wird, hat er mit Klebeband aus gefundenen Holzbrettern oder Schwemmholz zusammengebaut. Ein großes gipsernes Wandrelief fällt aus dieser Reihe: Menschengestalten scheinen sich aus einem tieferen Grund heraus an die weiße Oberfläche durchzudrücken. Von zwei Seiten kommen sie aufeinander zu und sinken wieder zurück, es ist ein Kampf mit Pistolen, den sie gegeneinander führen, eine Tarantino-Szene aus Pompeji sozusagen, hat aber auch etwas in der unablässig dargestellten Bewegung von Futurismus und in der Lapidarität der Gewaltszene etwas von Bruce Nauman.
Heidi Klum malt im Tanga. Den Vergleichen kommt nicht aus, wer sich in das breite Feld der bildenden Kunst begibt. Auch nicht jemand wie Brad Pitt, der in der Filmszene auf seine Einzigartigkeit vertrauen kann. Was bewog ihn nur dazu, diese aufs Spiel zu setzen? Und sich der Lächerlichkeit auszusetzen, die „Promi-Kunst“immer in sich birgt? Pierce Brosnan? Ist zwar ausgebildeter Illustrator. Aber ein unglaublich schlechter Künstler. Dessen Gemälde es am Markt trotzdem auf über eine Million Dollar bringen. Das ist bitter.
Aber hat man einmal die Filmchen gesehen, mit denen Britney Spears sich beim Pinseln von Blumenstillleben – Staffelei, Palette und heruntergerutschtes Hemdchen inklusive – inszenierte. Hat man einmal Heidi Klum im Stringtanga vor der Leinwand stehen sehen. Oder Ed Sheeran auf Knien die Farbe spritzen, als sei er Jackson Pollock („It was really fun“). Dann schüttelt es einen. Vor Lachen weniger als vor schlichtem Klischeegrauen.
Und Brad Pitt? Auch er bewältigte mit der Kunst erst einmal, natürlich, eine Lebenskrise. Dazu nimmt man die Hände und macht sie schmutzig, eine alte Weisheit, auch unter Künstlern selbst. Töpfern erdet. Das weiß auch ein Erwin Wurm, der nach vieler Studioarbeit durch neue Arbeiten im Ton wieder weiterkam, wie er erzählt. Das wussten auch die Wiener Aktionisten – retardierendes Wühlen in Farbe, Schlamm oder noch Ärgerem führt zurück hinaus in eine Zukunft. Brad Pitt verbrachte also bis zu 15 Stunden beim Töpfern im Atelier des befreundeten Künstlers Thomas Houseago in Los Angeles. Und schuf Werke, in denen er einmal „brutal ehrlich“mit sich selbst sein konnte.
Promi-Kunst setzt sich meist zwangsläufig einer gewissen Lächerlichkeit aus.
Die Stunde des Hollywoodkollektivs. In diesem Moment muss der englische Bildhauer Houseago, der sich gleichzeitig von der Bildhauerei in Richtung Malerei verabschiedete, gewusst haben, dass seiner Karriere die große Stunde schlagen wird. Und das tat sie jetzt im finnischen Privatmuseum. Wohin er seine zwei Freunde Brad Pitt und Nick Cave einlud, mit ihm auszustellen. „Ich bin nicht ein Ich. Ich bin ein Wir!“, erklärte Houseago dort bei der Eröffnung. Gemeinsam, im Dialog haben diese drei die Werke geschaffen, ein Kollektiv sozusagen und damit wieder sehr nahe am grassierenden Kunstzeitgeist.
Ein nicht unkluger Schachzug, wirken Malerei und Skulptur des sozusagen professionellen Künstlers im Vergleich zu denen der zwei Amateure doch erstaunlich blass (siehe Abb.). Auch die Serie von 17 diabolischen Keramikfigürchen, die Nick Cave ausstellt, ist überzeugender. Sie sind eine Hommage Caves an die viktorianischen Nippesfiguren, die er sammelt. Erstmals auch stellt Cave seine Keramiken aus. Bevor er sich ganz der Musik gewidmet hat, studierte er Mitte der Siebzigerjahre allerdings Malerei am Caulfield Institute of Technology in Melbourne.
Die Querverbindungen zwischen Musik und bildender Kunst, muss man aus der Geschichte heraus erkennen, sind jedenfalls um einiges dichter und komplexer als die zwischen Schauspielerei und bildender Kunst. Mit Ausnahme von Lars Eidinger vielleicht, der dieser Jahre und Tage eine erstaunliche Karriere als Fotokünstler hinlegte und mit gleich zwei Ausstellungen etwa in Salzburg diesen Sommer vertreten war. Und durch die, auf der Suche nach den etwas außerhalb gelegenen Standorten wie der Alba Pop-Up-Galerie, sich seine (sehr jungen) Fans die Stadt ein wenig eroberten.
Phänomen Lars Eidinger. Eidinger ist ein schwieriges Phänomenen, das illustriert, was etwa Superkurator Hans Ulrich Obrist einer jungen Künstlergeneration konstatierte: Diese gehe wieder in Richtung Universalkünstler, man schreibt ein bisschen, macht Musik, Fotografie, DJ sowieso, neben den traditionellen Disziplinen Malerei, Zeichnung, Bildhauerei, Installation. „Bücher,
Ausstellungen, Livekonzerte oder Theater spielen parallel zueinander eine wichtige Rolle. Die oft unsichtbaren Mauern zwischen den Bereichen Musikindustrie und Kunstindustrie sind im digitalen Zeitalter poröser geworden“, so Obrist.
Eidinger tut all das (bis auf Malen, soweit man weiß), nur kommt damit eben aus der Schauspielecke selbst. Das ist das Interessanteste an seinem bildnerischen Werk allerdings, sonst ist er der klassische Instagram-Ästhet, überbelichteter oder schwarz-weißer Schnappschuss-Trash mit ein wenig provokanter Sozialpornografie garniert.
Johnny Depps Bilder wirken wie Warhol für Arme und bringen trotzdem Millionen.
Das Erstaunlichste auf der Suche nach diesen Doppelbegabungen im Künstlerischen ist eigentlich die Frage, warum sie in hoher Qualität eigentlich so wahnsinnig selten sind. Woran sich die logische Frage anschließt, warum dann heute trotzdem so viele Prominente daran glauben, dass sie die Ausnahme dieser fast schon historischen Regel sind. Die in Wahrheit nicht einmal der Komponist Arnold Schönberg wirklich stellt – er war zwar als Komponist außerordentlich für die Malerei begabt. Aber als Maler selbst war er das nicht. Zu Recht war ihm das allerdings egal, es ging ihm dabei auch um das Grenzüberschreitende an sich, er wollte antreten gegen diesen „kurzen Sinn,
der sich ein Gebiet absteckt, um es überblicken zu können.“Auf Schönberg können sich also all diese theoretisch berufen, die bei diesem Blick rundum doch sehen, doch wahrnehmen müssten, dass es ihr in einem anderem Bereich gewonnener prominente Name ist, der ihnen die Türen in die großen Galerien öffnet. Dass es so ist, als wäre man das Kind berühmter Eltern. Nur, dass man in diesem Fall sein eigenes Kind ist.
Brad Pitt ist, auch wenn seine Skulpturen nicht schlecht sind, sogar erstaunlich gut, sicher ein Beispiel dafür. Johnny Depp ein besonders heftiges: Seine Bilder wirken wie Warhol für Arme, dennoch konnte er 780 seiner Drucke bei einer Galerie in London um 3,6 Millionen Pfund ausverkaufen. In wenigen Stunden.
Einen erstaunlichen Rekordpreis brachte zuletzt auch ein Gemälde von David Bowie, ein klassischer Dachbodenfund: Das kanadische Auktionshaus Cowley Abbott versteigerte das gesichtslose, wie ausgewaschen wirkende Selbstporträt, das in einem Second-Hand-Geschäft in Ontario für nur fünf kanadische Dollar gekauft wurde. Auf der Rückseite fand sich aber die Signatur Bowies, es stammt aus der Serie „Dead Heads“. Auktionsergebnis: 70.000 Euro. Alles gut für die persönliche Eitelkeit – aber die künstlerische?
Helmut Lang als Künstler. Der österreichische Modeschöpfer Helmut Lang ist ein weiteres Beispiel dafür. Er hat sein Mode-Archiv verbrannt und das als Material einer neuen Karriere als Objektund Installationskünstler benutzt. Das ist eine tolle Geschichte, die aber wenig neu ist, falls man das als Qualitätskriterium gelten lässt. Wie auch die dabei entstandenen Objekte ästhetisch nicht unbedingt herausstechend sind. Trotzdem ist er bei einer anerkannten Galerie und stellt in Museum weltweit aus. Fotos seiner Werke zu bekommen, vor allem in diesem Zusammenhang, ist gar nicht einfach. Und man versteht es. Es ist bis zu einem gewissen Grad auch unfair, wenn man die eigene Vergangenheit, den eigenen Stardom nicht los bekommt.
Regisseur David Lynch, der anfangs Malerei studierte, kann davon ein weiteres Lied singen, auch seine magisch-dunklen Bilder würden nicht diese strahlende Öffentlichkeit bekommen, würde er, zum Beispiel, Daniel Lynch heißen. Wirklich großartig ist der Kultregisseur („Twin Peaks“) aber als Konzeptkünstler: Jeden Tag veröffentlicht er auf Youtube seinen „Weather Report“, bei dem er frontal in die Kamera blickend das Wetter in Los Angeles beschreibt und einen Song nennt, an den er gerade gedacht hat – „Don’t let me down“von den Beatles etwa zuletzt. „Have a great day!“wünscht er uns am Ende. Das ist wie On Kawara, der japanische Künstler, der jeden Tag das Datum malte.
Sucht man ein verbindendes Element all dieser künstlerischen Äußerungen, fällt eines auf: Das meiste ist düster und dunkel, Gothic Art. Was aus diesem Krisenhaften kommen könnte, in dem sich viele überhaupt erst einer anderen Art der künstlerischen Äußerung zuwenden. Und was diese Celebrity-Sub-Szene außerdem mit der klassischen marktaffinen Kunstszene verbindet? Cherchez la femme.