Die alte Tante BBC in der Midlife-Crisis
»Digital First« lautet die Devise der British Broadcasting Corporation. Also wird beim BBC World Service radikal gespart. Für den Abbau von fast 400 Jobs gibt es auch politische Gründe. Die Regierung hat die Rundfunkgebühr eingefroren.
Der Zeitpunkt könnte kaum ungünstiger sein. Seit Jahresbeginn feiert die British Broadcasting Corporation ihr 100. Jubiläum, mit Ausstellungen, Reminiszenzen in Radio und TV, einer Wundertüte von Spielereien im Internet. Just vor dem Jahrestag der Gründung der Company in London (18. 10. 1922) und der ersten Ausstrahlung eines Programms (14. 11. 1922) gibt es Unbill.
Die BBC hat angekündigt, dass sie 382 Stellen ihres World Service streichen muss. Jeder fünfte Job in diesem Dienst, der auch schon 90 Jahre alt ist und anfangs noch Empire Service hieß, geht verloren. Die neue Strategie favorisiert „Digital First“. Der Onlinesektor boomt, er hat sich in nur vier Jahren mit einen Anteil von nunmehr 43 Prozent mehr als verdoppelt.
„Feindsender“. Dieser Offensive werden analog viele Programme zum Opfer fallen. Und zehn Sprachen, zum Beispiel Arabisch, Persisch, Chinesisch, Hindi . . . Zwar soll es wie bisher 41 fremdsprachige Angebote geben, doch fast die Hälfte davon wird bald nur noch im Internet verfügbar sein. Das hat, meint der Mediator, etwas Tragisches. Die BBC ist eine verlässliche Nachrichtenquelle für jene, die in Diktaturen leben. Streng verboten wurde einst der „Feindsender“vom NS-Regime.
Welcher Despot will schon dulden, dass das Volk Alternativen zu seiner Propaganda konsumiert? An Unterdrückern mangelt es auch heute nicht, weder im globalen Süden noch Osten, nicht einmal in Europa. Für ambitionierte Rundfunkanstalten war die BBC stets Vorbild, in Österreich zum Beispiel erklärtermaßen für Gerd Bacher, den bisher besten General des ORF.
In London müssen umgerechnet 560 Mio. Euro eingespart werden. Die proportional stärksten Kürzungen betreffen das World Service. Laut BBC erreicht man mit ihm pro Woche weltweit an die 364 Millionen Menschen. Traditionell via Radio sind es immerhin auch noch beachtliche 148 Millionen. Auf Englisch werde das Service weiterhin 24 Stunden am Tag „on air“sein, versicherte die Rundfunkanstalt.
Ein Hauptgrund fürs Sanierungspaket ist politisch. Die konservative Regierung erachtet die Anstalt als linkslastig. Bereits der jüngst ausgeschiedene Premierminister Boris Johnson baute ein Szenario wilder Drohungen auf. Abschaffen! Seine Nachfolgerin Liz Truss will den Konfrontationskurs offenbar fortsetzen. Bis 2010 wurde das World Service komplett von der Regierung finanziert, seither vor allem durch die Gebühren. Es werde noch immer als ein Pfeiler britischer „Soft Power“angesehen, schreibt die Wirtschaftszeitung „Financial Times“. 2016 war es sogar noch ausgebaut worden.
2300 Menschen arbeiten derzeit für diesen Dienst. Im Jänner 2022 aber hat die Tory-Regierung die Rundfunkbeiträge bis 2024 eingefroren – bei umgerechnet 178 Euro pro Haushalt (recht preiswert im Vergleich zu den Gebühren in Österreich). In diesen HorrorZeiten mit ihrer hohen Inflation ist das eine knallharte Vorgabe. Man könnte es sogar einen Kahlschlag nennen.
Der Mediator NEUIGKEITEN AUS DER WELT DER NACHRICHTEN
Notmaßnahme. Mit der Mütze in der Hand musste die BBC inzwischen zur Regierung gehen, um Extramittel für bestimmet Projekte zu erbitten, meint der linksliberale „Guardian“. So habe man im März um eine Notmaßnahme angefragt, damit der Dienst für die Ukraine und Russland weiter senden könne. Es ging um umgerechnet 4,5 Mio. Euro. Spätestens da wurde klar: Die alte Tante BBC ist in der Midlife-Crisis.
Ein Statement von Liliane Landor, Direktorin des World Service, klingt diese Woche wie ein Hilferuf. Die Rolle des Senders sei global niemals entscheidender gewesen: „Auf die BBC vertrauen Hunderte Millionen Menschen wegen ihrer fairen und unparteiischen Nachrichten, besonders in jenen Ländern, wo es daran mangelt.“