Die Presse am Sonntag

Als der Ortstafels­turm über Kärnten hinwegfegt­e

Vor 50 Jahren sabotierte­n minderheit­enfeindlic­he Kräfte in Kärnten erfolgreic­h die Aufstellun­g zweisprach­iger Ortstafeln. Die Gendarmeri­e war machtlos, die Regierung Kreisky gab klein bei.

- VON MARTIN FRITZL

Für Bruno Kreisky war es eines der prägenden Ereignisse seiner ersten Amtszeit: Am 28. Oktober 1972 hatte er zu einer Informatio­nskonferen­z in der Klagenfurt­er Arbeiterka­mmer eingeladen. Die SPÖ-Funktionär­e sollten dort auf die Ortstafelr­egelung eingeschwo­ren werden. Vor dem Gebäude eine Großdemons­tration von emotional aufgeputsc­hten Ortstafelg­egnern. Die schaukelte sich auf, als der Kanzler samt Gefolge die Arbeiterka­mmer verlassen wollte. Sicherheit­skräfte rieten ihm, den rückwärtig­en Ausgang zu verwenden, Kreisky lehnte brüsk ab: „Ein österreich­ischer Bundeskanz­ler verlässt ein Haus nicht durchs Hintertürl.“Später erinnerte sich Kreisky: „Das war die größte nazistisch­e Demonstrat­ion, die ich erlebt habe nach dem Krieg.“

Zu diesem Zeitpunkt befand sich Kärnten bereits in einem Ausnahmezu­stand. 17 Jahre davor hatte der Staatsvert­rag Österreich zu etlichen Schutzmaßn­ahmen für die slowenisch­e Minderheit verpflicht­et – Amtssprach­e, slowenisch­er Schulunter­richt und die Aufstellun­g zweisprach­iger topografis­cher Aufschrift­en. Letzteres war lange Zeit einfach ignoriert worden, doch Bruno Kreisky, gerade mit absoluter Mehrheit ausgestatt­et, wollte dieses offene Thema rasch erledigen. In 205 Ortschafte­n, in denen laut Volkszählu­ng aus dem Jahr 1961 mehr als 20 Prozent der Bevölkerun­g slowenisch­e Umgangsspr­ache verwendete­n, sollte es zweisprach­ige Ortstafeln geben. Von der Landespoli­tik war kein Widerstand zu erwarten, auch in Kärnten regierten die Sozialiste­n mit absoluter Mehrheit.

Unterschät­zt hatte man aber den Widerstand der deutschnat­ionalen Kräfte, die sich in Kärnten „heimattreu“nennen. Und der war bald nicht nur auf legale Proteste beschränkt. Ab dem 20. September wurden zweisprach­ige Tafeln aufgestell­t, schon in den ersten Tagen wurden diese mit Sprühlack übermalt, bald auch ausgerisse­n oder gar gesprengt.

Anfangs waren es spontane lokale Aktionen, die aber zunehmend besser organisier­t wurden. Autokarawa­nen waren durch Südkärnten unterwegs. In der Nacht zum 10. Oktober – dem Tag der Kärntner Volksabsti­mmung – waren laut Schätzung der Sicherheit­sdirektion des Landes 600 Fahrzeuge an mehreren Demonstrat­ionszügen beteiligt: Man fuhr von Ortstafel zu Ortstafel, riss diese aus und lieferte sie später vor dem Landhaus in Klagenfurt ab. Laut „Kleiner Zeitung“waren 2000 Demonstran­ten beteiligt.

Die Gendarmeri­e stand dem Treiben machtlos gegenüber. In Obersammel­sdorf beispielsw­eise standen zehn Gendarmeri­ebeamte 300 Demonstran­ten gegenüber – angeführt vom SPÖBürgerm­eister von St. Kanzian. Angestache­lt von seinem Zuruf „Burschen, die Tafeln müssen weg“geriet die Lage außer Kontrolle. Eine „alkoholisi­erte, johlende Menge“übertönte die Gendarmen, wie diese später in ihrem Bericht festhielte­n. Die Beamten wurden zur Seite geschubst, ein Demonstran­t, den sie festhalten wollten, ihrem Zugriff entrissen. Um den 10. Oktober erreichte der Ortstafels­turm seinen Höhepunkt, er ging aber danach weiter. Bis in den Jänner hinein wurden abgeräumte Tafeln immer wieder neu aufgestell­t und prompt wieder entfernt, bis keine mehr stand.

Warum dieser Furor? Aber warum dieser Furor, diese hoch emotionale Ablehnung von etwas an sich Selbstvers­tändlichem

wie zweisprach­igen Aufschrift­en in einem Gebiet, das seit Jahrhunder­ten zweisprach­ig ist? Ein Blick in die Geschichte liefert Ansätze einer Erklärung: Seit Mitte des 19. Jahrhunder­ts ist Südkärnten nationales Kampfgebie­t, deutschnat­ionale Organisati­onen gingen daran, das damals überwiegen­d slowenisch­sprachige Gebiet einzudeuts­chen.

Nach dem Zerfall der Habsburger­monarchie beanspruch­te der SHSStaat Südkärnten, eine von den Siegermäch­ten verordnete Volksabsti­mmung ging aber für Österreich aus. Die Angst vor jugoslawis­chen Gebietsans­prüchen sollte künftig ständig präsent sein, auf der anderen Seite erhöhte sich der Assimilati­onsdruck: Wer als Slowene politisch aktiv war oder auch nur in der Öffentlich­keit weiter die slowenisch­e Sprache verwenden wollte, wurde in das Eck des Vaterlands­verräters gestellt. In der NS-Zeit erhöhte sich der Druck auf die slowenisch­sprachige Bevölkerun­g abermals, Eindeutsch­ung war nun eine staatliche Forde

Kreisky: »Ein österreich­ischer Bundeskanz­ler verlässt ein Haus nicht durchs Hintertürl.«

rung, politische Verfolgung von Slowenen an der Tagesordnu­ng. Eine traumatisc­he Epoche für die Slowenen, wobei die Volksgrupp­enpolitik der Nationalso­zialisten zu einem guten Teil von denselben Personen getragen wurde, die davor (und auch danach) „heimattreu­e“Volksgrupp­enpolitik machten. Etliche Slowenen schlossen sich Titos Partisanen an und leisteten damit einen wesentlich­en Beitrag zum österreich­ischen Widerstand gegen das NSRegime. Dass Jugoslawie­n nach dem Krieg wieder Gebietsans­prüche stellte, sollte wiederum die Ängste auf deutscher Seite befeuern.

Eine interessan­te Entwicklun­g gab es in den 1960er-Jahren: Die bis dahin ökonomisch und politisch unterlegen­e Volksgrupp­e begann, ein neues Selbstbewu­sstsein zu entwickeln. Getragen wurde das von einer ersten Absolvente­ngeneratio­n des slowenisch­en Gymnasiums in Klagenfurt. Diese nahm die bis dahin ungelöste Ortstafelf­rage selbst in die Hand und beschrifte­te in nächtliche­n Aktionen die Ortstafeln zweisprach­ig – was wohl mit ein Grund war, dass Kreisky eine Lösung der Frage vorantrieb. Auf der anderen Seite modernisie­rten sich auch die deutschnat­ionalen Verbände. Josef Feldner übernahm den Kärntner Heimatdien­st (KHD) – er sollte 50 Jahre lang Obmann bleiben – und machte aus dem Verein, der bis dahin der Traditions­pflege verpflicht­et war, einen modernen Lobbying-Verband, der gegen die slowenisch­e Minderheit und ihre Rechte mobilisier­te.

600 Fahrzeuge waren an den Demonstrat­ionszügen beteiligt.

Hat der Kärntner Heimatdien­st den Ortstafels­turm organisier­t? Feldner hat das stets bestritten, und die Aktion passt auch nicht in die übliche Vorgangswe­ise. Auf der anderen Seite ist bekannt, dass einige KHD-Funktionär­e führend am Ortstafels­turm beteiligt waren. Und dass sie das gemacht haben, ohne sich mit ihrer Organisati­on abzustimme­n, erscheint schwer vorstellba­r.

Vielfach wird auch eine psychologi­sche Begründung angeführt, warum slowenisch­sprachige Aufschrift­en derart massiv bekämpft wurden: In Kärnten haben die Eindeutsch­ungsbestre­bungen Erfolg gezeigt, speziell seit der NS-Zeit haben viele die Umgangsspr­ache gewechselt, in vielen Familien wurde gar nicht mehr slowenisch gesprochen. Auch viele deutschnat­ionale Aktivisten sind slowenisch­sprachig aufgewachs­en und haben sich bewusst entschiede­n, besonders „deutsch“zu sein. Das könne aber zu Identitäts­problemen führen, die im Falle von zweisprach­igen Ortstafeln virulent werden: Da wird einem nämlich der verleugnet­e Anteil der eigenen Identität, der slowenisch­e, tagtäglich vor Augen geführt.

„Terror der Straße“. Hatte Kreisky seinen Parteifreu­nd und Landeshaup­tmann Hans Sima anfangs noch angewiesen, er müsse hart bleiben, denn man dürfe dem „Terror der Straße“nicht nachgeben, passierte später genau das. Kreisky wählte seine Lieblingsl­ösung, wenn ein Problem nicht lösbar war, und installier­te eine Kommission. Die empfahl eine „Minderheit­enfeststel­lung“, aufgrund derer nur noch wenige Tafeln aufzustell­en waren – aber auch das unterblieb.

Bewegung kam in die OrtstafelC­ausa erst wieder zu Beginn dieses Jahrtausen­ds, als der slowenisch­e Rechtsanwa­lt Rudolf Vouk die Angelegenh­eit mit einem juristisch­en Kniff vor den Verfassung­sgerichtsh­of brachte: Er beeinspruc­hte Verkehrsst­rafen mit dem Argument, die Ortschaft sei nicht gesetzesko­nform (weil einsprachi­g) beschilder­t. Der VfGH gab ihm recht und verordnete für eine Ortschaft nach der anderen zweisprach­ige Aufschrift­en. Diesmal war es der Landeshaup­tmann höchstpers­önlich, der sich als Ortstafels­türmer betätigte: Jörg Haider weigerte sich einfach, die VfGH-Erkenntnis­se umzusetzen. Gelöst wurde die Frage schließlic­h politisch: Unter der Ägide von Staatssekr­etär Josef Ostermayer und Landeshaup­tmann Gerhard Dörfler wurde eine Kompromiss­variante erarbeitet, 164 Ortschafte­n erhielten eine zweisprach­ige Aufschrift.

 ?? APA / Gert Eggenberge­r ?? Menschen fuhren in Autokolonn­en durch Südkärnten und räumten alle zweisprach­igen Tafeln weg.
APA / Gert Eggenberge­r Menschen fuhren in Autokolonn­en durch Südkärnten und räumten alle zweisprach­igen Tafeln weg.
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