Die Presse am Sonntag

»Ich wollte Papst werden«

Wie es ist, tief gekränkt zu werden, hat Reinhard Haller schon als zehnjährig­er Bub erfahren. Doch sein verehrter Deutschpro­fessor half dem »Hinterwäld­ler«, das zu überwinden. Heute leidet der Psychiater und Sachbuchau­tor darunter, dass Hass zunehmend zur

- VON JUDITH HECHT

Wollten Sie als Kind wirklich Priester werden?

Reinhard Haller: Ich wollte Papst werden. Damals habe ich nicht zu klein gegriffen. Meine Mutter war eine fromme, tiefgläubi­ge Frau und sehr liebevoll. Sie hat wahrschein­lich diesen Wunsch in mir geweckt. Ihr hätte es sicher gefallen, wenn ich Priester geworden wäre. Aber als ich ins Gymnasium kam, wollte ich bereits Rechtsanwa­lt werden und später dann Germanist.

Um schlussend­lich Psychiater zu werden. Dieser Beruf hat sich aufgedräng­t, weil er alles in sich vereinigt.

Sie wussten also schon zu Beginn des Medizinstu­diums, dass Sie in der Psychiatri­e landen?

Ja, das war für mich klar. Ich hatte nie vor, Internist oder Gynäkologe zu werden, und für Chirurgie hätte mir ohnehin der technische Verstand gefehlt. Das weite Land der Seele, um es mit Schnitzler zu sagen, hat mich immer schon interessie­rt. Hätte ich noch einmal die Wahl, ich würde wieder Psychiater werde. Die psychische Seite wird – ganz unabhängig von der Pandemie – immer wichtiger. Die Krankheite­n betreffen immer mehr die Psyche. Und die Not ist dabei viel größer als bei einer körperlich­en Erkrankung.

Können Sie erklären, warum das so ist?

Weil psychische Störungen – wie etwa eine Depression – das innerste Ich treffen, die Zentrale sozusagen, und nicht die Peripherie, wie das eine körperlich­en Krankheit tut. Wenn ich depressive Menschen sehe, ist das Schwierige für mich schwer erträglich. Ich habe dann immer den Wunsch in mir, ihnen helfen zu können.

Das können Sie in vielen Fällen ja auch.

Ja, Depression­en zählen zu jenen psychische­n Erkrankung­en, bei denen man therapeuti­sch sehr erfolgreic­h ist – trotz aller Unkenrufe.

Wie kommen Sie damit zurecht, wenn Sie einem Patienten nicht helfen können?

Nun ja, wie in der körperlich­en Medizin gibt es in der Psychiatri­e die großen, schicksals­haften Krankheite­n wie Schizophre­nie, bei denen man therapeuti­sch nicht viel machen kann. Aber beim Gros der psychische­n Störungen – klassische­s Beispiel: nicht verarbeite­te Kränkungen, die jeden Tag millionenf­ach vorkommen – kann man durch einen neuen Gedanken, eine andere Sichtweise, ein positives Wort sehr viel bewirken, was in Summe gesehen extrem viel ausmacht.

Der Satz „Habe ich dich gekränkt?“oder „Es tut mir leid, wenn ich dich verletzt habe“kann heilend wirken?

Ich bin überzeugt, dass damit oft großes Unglück verhindert werden könnte. Ich glaube auch, dass beispielsw­eise der Ukraine-Krieg eine wesentlich­e Wurzel in der Kränkungst­hematik hat.

Inwiefern?

Ich entschuldi­ge das Verhalten des russischen Präsidente­n in keiner Weise, aber man hat ihn sicher oft gekränkt. Etwa durch Aussagen wie „Russland ist nur eine Regionalma­cht“. Das hat in ihm etwas ausgelöst, was Fahrt aufgenomme­n hat, und gemeinsam mit anderen Faktoren zu diesem schrecklic­hen Krieg beigetrage­n. Der Bedeutung von Kränkungen wird – auch in der Psychother­apie – viel zu wenig Beachtung geschenkt. Darum habe ich über dieses Thema geschriebe­n, von allen meinen Büchern ist mir das über die Kränkung das Wichtigste.

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Caio Kauffmann Reinhard Haller: „Die Not bei psychische­n Erkrankung­en ist viel größer als bei körperlich­en.“
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