»Ich wollte Papst werden«
Wie es ist, tief gekränkt zu werden, hat Reinhard Haller schon als zehnjähriger Bub erfahren. Doch sein verehrter Deutschprofessor half dem »Hinterwäldler«, das zu überwinden. Heute leidet der Psychiater und Sachbuchautor darunter, dass Hass zunehmend zur
Wollten Sie als Kind wirklich Priester werden?
Reinhard Haller: Ich wollte Papst werden. Damals habe ich nicht zu klein gegriffen. Meine Mutter war eine fromme, tiefgläubige Frau und sehr liebevoll. Sie hat wahrscheinlich diesen Wunsch in mir geweckt. Ihr hätte es sicher gefallen, wenn ich Priester geworden wäre. Aber als ich ins Gymnasium kam, wollte ich bereits Rechtsanwalt werden und später dann Germanist.
Um schlussendlich Psychiater zu werden. Dieser Beruf hat sich aufgedrängt, weil er alles in sich vereinigt.
Sie wussten also schon zu Beginn des Medizinstudiums, dass Sie in der Psychiatrie landen?
Ja, das war für mich klar. Ich hatte nie vor, Internist oder Gynäkologe zu werden, und für Chirurgie hätte mir ohnehin der technische Verstand gefehlt. Das weite Land der Seele, um es mit Schnitzler zu sagen, hat mich immer schon interessiert. Hätte ich noch einmal die Wahl, ich würde wieder Psychiater werde. Die psychische Seite wird – ganz unabhängig von der Pandemie – immer wichtiger. Die Krankheiten betreffen immer mehr die Psyche. Und die Not ist dabei viel größer als bei einer körperlichen Erkrankung.
Können Sie erklären, warum das so ist?
Weil psychische Störungen – wie etwa eine Depression – das innerste Ich treffen, die Zentrale sozusagen, und nicht die Peripherie, wie das eine körperlichen Krankheit tut. Wenn ich depressive Menschen sehe, ist das Schwierige für mich schwer erträglich. Ich habe dann immer den Wunsch in mir, ihnen helfen zu können.
Das können Sie in vielen Fällen ja auch.
Ja, Depressionen zählen zu jenen psychischen Erkrankungen, bei denen man therapeutisch sehr erfolgreich ist – trotz aller Unkenrufe.
Wie kommen Sie damit zurecht, wenn Sie einem Patienten nicht helfen können?
Nun ja, wie in der körperlichen Medizin gibt es in der Psychiatrie die großen, schicksalshaften Krankheiten wie Schizophrenie, bei denen man therapeutisch nicht viel machen kann. Aber beim Gros der psychischen Störungen – klassisches Beispiel: nicht verarbeitete Kränkungen, die jeden Tag millionenfach vorkommen – kann man durch einen neuen Gedanken, eine andere Sichtweise, ein positives Wort sehr viel bewirken, was in Summe gesehen extrem viel ausmacht.
Der Satz „Habe ich dich gekränkt?“oder „Es tut mir leid, wenn ich dich verletzt habe“kann heilend wirken?
Ich bin überzeugt, dass damit oft großes Unglück verhindert werden könnte. Ich glaube auch, dass beispielsweise der Ukraine-Krieg eine wesentliche Wurzel in der Kränkungsthematik hat.
Inwiefern?
Ich entschuldige das Verhalten des russischen Präsidenten in keiner Weise, aber man hat ihn sicher oft gekränkt. Etwa durch Aussagen wie „Russland ist nur eine Regionalmacht“. Das hat in ihm etwas ausgelöst, was Fahrt aufgenommen hat, und gemeinsam mit anderen Faktoren zu diesem schrecklichen Krieg beigetragen. Der Bedeutung von Kränkungen wird – auch in der Psychotherapie – viel zu wenig Beachtung geschenkt. Darum habe ich über dieses Thema geschrieben, von allen meinen Büchern ist mir das über die Kränkung das Wichtigste.