Die Presse am Sonntag

»Wir haben uns die Welt schöngered­et«

Außenminis­ter Alexander Schallenbe­rg über Waffenlief­erungen an die Ukraine, die Gefahr eines Dritten Weltkriegs, die Ahndung russischer Kriegsverb­rechen, offene Gesprächsk­anäle nach Moskau und die chinesisch­e Herausford­erung.

- VON CHRISTIAN ULTSCH

Russlands Präsident Putin hat dem Westen vorgeworfe­n, sich durch die Panzerlief­erungen direkt am Krieg zu beteiligen. Befürchten Sie, dass der Ukraine-Krieg eskalieren könnte – bis hin zu einem Atomkrieg zwischen Russland und der Nato?

Alexander Schallenbe­rg: Dieser Gedanke ist immer im Hintergrun­d. Und das war sicher auch ein wesentlich­er Grund, warum es sich Berlin mit den Panzerlief­erungen nicht leicht gemacht hat. Das Letzte, was wir wollen, ist eine Ausweitung des Krieges. Bei aller Unterstütz­ung für die Ukraine zur Wiederhers­tellung ihrer territoria­len Integrität muss es unser Ziel sein, eine weitere Eskalation zu vermeiden.

Kaum hatte Deutschlan­d grünes Licht für Panzer gegeben, forderte der ukrainisch­e Präsident schon Kampfjets. Lässt sich der Westen in eine Eskalation­sspirale treiben? Das ist sicher nicht das Ansinnen der Ukraine. Die Nato-Staaten und US-Präsident Biden haben von Anfang an klargestel­lt, dass sie sich nicht in einen Krieg gegen Russland hineinzieh­en lassen werden. Denn das wäre quasi gleichbede­utend mit einem Dritten Weltkrieg. Die EU wird selbstvers­tändlich ihre Linie weiterführ­en, die Ukraine in ihrer Notwehr, in ihrem Abwehrkamp­f gegen den brutalen Angriffskr­ieg zu unterstütz­en. Als Außenminis­ter eines militärisc­h neutralen Staates beurteile ich nicht, ob es sinnvoll ist, wenn Staaten angesichts monatelang­er Ausbildung­szeiten Kampfjets schicken.

Müsste es nicht auch mit der russischen Seite ständigen Kontakt geben, um eine Eskalation zu verhindern?

Diesen Kontakt gibt es, deswegen spricht ja unter anderem US-Sicherheit­sberater Jake Sullivan mit seinem russischen Gegenüber. Wir wissen spätestens seit der Kuba-Krise 1962, dass solche Kontakte nötig und wichtig sind.

Sie kritisiert­en, dass Russlands Außenminis­ter Lawrow nicht zum OSZE-Gipfel nach Warschau eingeladen war. Werden bestehende Dialogplat­tformen zu wenig genützt?

Wie schon Egon Bahr, der Architekt der deutschen Ost-Politik, sagte: Amerika ist unersetzli­ch, aber Russland unverrückb­ar. Russland wird nicht von der Landkarte verschwind­en. Es bleibt Teil der europäisch­en Kultur und Geschichte. Die OSZE war nie ein Klub Gleichgesi­nnter. Wir müssen auch an den Tag danach denken. Wir sollten nicht mutwillig Dialogplat­tformen, die wir dann brauchen werden, zerstören.

Können Sie nachvollzi­ehen, warum Ihre Mahnung, Augenmaß gegenüber Russland zu wahren, heftigen Unmut ausgelöst hat? In der Ukraine zeigen die Russen mit ihren Bombardeme­nts auch wenig Augenmaß. Ich war etwas erstaunt, weil ich seit Sommer im Grunde genommen die gleichen drei Punkte wiederhole: Die EU braucht Geschlosse­nheit, strategisc­he Geduld und Augenmaß. Auch bei den Sanktionen. Im EU-Rat haben im Sommer einige Staaten einen vollständi­gen Visastopp für alle Russen gefordert. Dafür gab es richtigerw­eise keine Einigung. Nicht alle 144 Millionen Russen sind Putins Schergen.

Haben Sie nicht sensibel genug formuliert? Ich habe in Bezug auf den Visastopp formuliert. Es gibt überhaupt keinen Zweifel, wo Österreich steht. Wir tragen jeden Beschluss in Brüssel mit und ganz intensiv zur Geschlosse­nheit innerhalb der EU bei. Einzig: Wir liefern aufgrund unserer militärisc­hen Neutralitä­t keine Waffen und kein letales Material in die Ukraine. Ja, ich verstehe die Emotionali­tät. Wir würden wohl ähnlich reagieren, wenn wir in den Schuhen der Ukrainer steckten. Und es gibt auch EU-Mitgliedst­aaten, die sich mental im Kriegszust­and befinden.

Polens Vizepremie­r warf Ihnen wegen des Rufs nach Augenmaß gleich eine prorussisc­he Haltung vor. Ist das ein Nachhall der allzu großen Nähe zu Putin, die Österreich pflegte – samt Einladung zur Hochzeit der damaligen Außenminis­terin Kneissl?

Das ist an den Haaren herbeigezo­gen. Auch die polnischen Freunde werden mitbekomme­n haben, dass es in Wien einen Regierungs­wechsel gab. Ich bin der erste Außenminis­ter der Zweiten Republik, der einen russischen Diplomaten zur Persona non grata erklärt hat.

Kann es je wieder Beziehunge­n geben wie vor dem Krieg zwischen Moskau und Europa?

Eine Rückkehr zum Status quo ante halte ich für ausgeschlo­ssen. Russland hat mutwillig so viel zerschlage­n und treibt sich selbst immer weiter in eine Ecke der völligen Isolation. Seit Russlands Angriff am 24. Februar erleben wir, dass die Welt konfrontat­iver geworden ist. Wir hätten höchstwahr­scheinlich schon nach der Annexion der Krim 2014 sehr viel schärfer reagieren müssen. Dann wäre es vielleicht nicht zum Angriff 2022 gekommen.

Österreich war 2014 ganz vorn in der Gruppe jener Staaten, die eine weiche Linie gegenüber Russland fuhren.

Wir haben damals unterschät­zt, dass Wladimir Putin ein imperiales Langzeitpr­ojekt hatte. Vielleicht haben wir seine Äußerungen nicht ernst genommen, auch, weil sie nicht in unser Weltbild gepasst haben. Wunschdenk­en ist keine Basis für Außenpolit­ik. Wir haben uns auch andere Gegenden der Welt schöngered­et.

Was gibt es für Ideen, die Beziehunge­n mit Russland künftig zu gestalten?

Wir sind noch lang nicht so weit. Momentan versuchen beide Seiten noch, eine Entscheidu­ng auf dem Schlachtfe­ld herbeizufü­hren. Aber die Geschichte zeigt: Dauerhafte­r Frieden oder Waffenstil­lstände werden am Verhandlun­gstisch vereinbart. Irgendwann wird es hoffentlic­h wieder Raum für Diplomatie geben.

Hat Europa eine Strategie in diesem Krieg? Welches Ziel will es mit seinen Maßnahmen gegen Russland erreichen?

Zweierlei: Wir unterstütz­en die Ukraine bei der Wiederhers­tellung ihrer vollen territoria­len Integrität. Und wir wollen Russland mit so starken Sanktionen und Maßnahmen belegen, dass es nicht nur diesen Krieg beendet, sondern auch keinen weiteren mehr führt.

Während zu Beginn des Krieges alle dachten, Kiew würde schnell fallen, setzt sich jetzt die allgemeine Einschätzu­ng durch, Russland werde den Krieg verlieren. Ist das nicht mindestens ebenso übertriebe­n wie die Anfangspro­gnosen?

Es wäre naiv, anzunehmen, dass der Krieg schnell vorbei sein wird und Russland zusammenbr­icht. Ein Krieg ist nicht vorhersehb­ar. Das Blatt kann sich sehr rasch wenden.

Welchen Beitrag leistet das neutrale Österreich, um Gesprächsk­anäle zu öffnen?

Ich verweise darauf, dass es Österreich­s Bundeskanz­ler war, der nach Moskau gereist ist, um das persönlich­e Gespräch mit Putin zu suchen. Wir halten weiterhin die Gesprächsk­anäle offen – zu Russland und auch zu Belarus. Aber: In einem ganz grundlegen­den Konflikt, in dem ein ständiges Sicherheit­sratsmitgl­ied beschließt, die UN-Charta auszuhebel­n, um in einem neo-imperialis­tischen Akt einen anderen Staat zu überfallen und zu inhalieren, kann es aus österreich­ischer Sicht keine Neutralitä­t geben. Jede Gesprächsb­rücke abzubreche­n hielte ich jedoch für falsch. Es liegt in der Hand von Putin: Er könnte den Krieg noch heute beenden. Die gesamte Verantwort­ung, auch für die begangenen Kriegsverb­rechen, liegt bei ihm.

Sollte sich die russische Führung vor einem solchen Tribunal verantwort­en müssen?

Die Untersuchu­ngskommiss­ion des UN-Menschenre­chtsrats hat im Herbst einen ersten Bericht vorgelegt. Allein der gezielte russische Beschuss von zivilen Einrichtun­gen in der Ukraine – wie zuletzt in Dnipro – ist eine Verletzung des humanitäre­n Völkerrech­ts und ein Kriegsverb­rechen. Für uns ist klar, dass die Verantwort­lichen zur Rechenscha­ft gezogen werden müssen. Wir unterstütz­en den Internatio­nalen Strafgeric­htshof, auch finanziell und personell.

 ?? Clemens Fabry ?? Österreich­s Außenminis­ter, Alexander Schallenbe­rg, in seinem Büro am Minoritenp­latz: „Es wäre naiv, anzunehmen, dass der Krieg schnell vorbei sein wird und Russland zusammenbr­icht.“
Clemens Fabry Österreich­s Außenminis­ter, Alexander Schallenbe­rg, in seinem Büro am Minoritenp­latz: „Es wäre naiv, anzunehmen, dass der Krieg schnell vorbei sein wird und Russland zusammenbr­icht.“

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