Wie der Mittelstand die Wende schafft
Familienunternehmen
Die BleistiftDynastie Caran D’Ache ist seit mehr als 100 Jahren in Familienhand. Stifte werden weniger nachgefragt, die Digitalisierung nimmt zu. Wie können sich organisieren, ohne die eigenen Werte zu verraten?
In Thônex, eine halbe Stunde Fahrt von der Hauptstadt des gleichnamigen Kantons Genf entfernt, sitzen tagtäglich Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in einer Produktionshalle und montieren Stifte. Bei Caran d’Ache wird manuell gefertigt: Nicht die Maschinen sind für die Schreibgeräte verantwortlich, Kugelschreiber und Füllfederhalter werden von Hand montiert. 50 Arbeitsstunden und 35 Arbeitsschritte braucht ein einziger Stift, um fertig zu werden.
Ein durchaus hehrer Plan: Der durchschnittliche Jahreslohn für Arbeiter liegt in der Schweiz bei 78.000 Schweizer Franken. Aber den kleinen Stempel „Swiss Made“, der auf jedem der Stifte zu finden ist, lässt sich der
Konzern einiges kosten. Arbeitsschritte, wie etwa das Minendrehen oder das Zusammenstellen der HauteÉcritureSchreibgeräte (exklusive Schreibprodukte) werden in der Manufaktur von Hand ausgeführt. „Der strategische Entscheid, ausschließlich in der Schweiz zu produzieren, erhöht natürlich unsere Kosten, aber wir kompensieren das“, sagt CEO Carole Hübscher im Gespräch mit der „Presse am Sonntag“. Und „Swiss Made“lässt sich eben gut verkaufen: wenn der Schweizer Anteil der Herstellungskosten 60 Prozent erreicht, darf die Herkunftsangabe „Schweiz“verwendet werden. Die Produktion von Caran D’Ache findet vollständig in der Schweiz statt – bei den Lieferanten wird auch hauptsächlich auf kurze Wege gesetzt: 75 Prozent der Lieferanten befinden sich in der Schweiz oder in Europa – mehr als 50 Prozent davon bleiben aber direkt im Land der Eidgenossen.
BleistiftDynastie. Angefangen hat das Unternehmen im Jahre 1915 als Genfer Bleistiftfabrik, den heutigen Namen erhielt es dann 1924 vom damaligen Unternehmensleiter Arnold Schweitzer, dessen Frau russlandaffin war. Sie übersetzte das Wort „Bleistift“ins Russische – karandasch – und transkribierte es ins Französische.
Während der Verkauf von Carand’AcheBleistiften in der Schweiz stetig zunahm, war dies im Ausland nicht der Fall. Dies führte 1930 dazu, dass der Unternehmer Jacques Hübscher senior und sein Sohn Henri in das Unternehmen investierten, bevor sie es einige Jahre später als Eigentümer übernahmen. Jacques Hübscher drückte dem Unternehmen ab 1960 seinen Stempel auf, indem er das internationale Geschäft und die Diversifizierung im Bereich der Haute Écriture ausbaute. Seit 2012 wird das Unternehmen von Carole
Hübscher in vierter Generation geleitet. Mit Hübscher ist erstmals eine Frau an der Spitze des Unternehmens – und seither wird auch ausschließlich in der Schweiz produziert.
Steuereffekte. 750 Maschinen und 300 Mitarbeiter sind in Genf angesiedelt. Reiht man die Buntstifte aus der täglichen Produktion der Manufaktur der Länge nach aneinander, so reiche der Regenbogen von Genf bis nach Rom, sagt Hübscher. Im Jahr 2027 ist ein Umzug geplant – der Konzern bleibt zwar im Kanton Genf, die Manufaktur zieht
Wenn der Schweizer Anteil der Herstellungskosten 60 Prozent
aber nach Bernex. Die Steuerbelastung ist in der Schweiz von Kanton zu Kanton unterschiedlich – und der Kanton Genf gilt als durchaus unternehmensfreundlich. Während der Durchschnitt der effektiven Steuerbelastung von Unternehmen in der Schweiz bei 13,49 Prozent liegt, sind es im Kanton Genf 12,4 Prozent. Am höchsten ist die Steuerbelastung in den Kantonen Jura, Bern und Zürich. Die geringste Belastung fällt in Nidwalden, Zug und BaselStadt an.
Das ist auch der Grund, warum sich in Genf viele Konzerne angesiedelt haben: beginnend bei der Uhrenbranche mit Rolex und Patek über die Pharmabranche bis hin zum Finanzplatz, den vor allem französische Banken für sich nutzen. Für Caran D’Ache gelten die Farben und die Schreibwaren als stärkste Säulen: Umsatzzahlen will der Familienbetrieb aber keine nennen. Dennoch steht der Konzern vor Herausforderungen: Mit der zunehmenden Digitalisierung wird immer weniger von Hand geschrieben. Hübscher zeigt sich davon unbeeindruckt, vor allem in Japan habe die Handschrift nach wie vor einen hohen Stellenwert. Trotzdem wolle sich das Unternehmen nicht zu stark auf den asiatischen Markt fokussieren, sagt Hübscher.
Aber wie gehen Familienunternehmen mit Herausforderungen wie etwa der Digitalisierung um? Schließlich können sich große Marktteilnehmer einfacher und vor allem kostengünstiger an den Markt anpassen. Familienunternehmen hingegen sind stark an ihren Werten orientiert. „Das Zusammenspiel von Digitalisierung und Identitätsbewahrung ist ein gewisser Widerspruch“, sagt Alexander Kessler, Leiter des Forschungsinstituts für Familienunternehmen an der Wirtschaftsuniversität Wien. „Aber Familienunternehmen sind an den Umgang mit Paradoxien gewöhnt: Schließlich dreht sich eine Familie um Emotionen, Harmonie und Gleichberechtigung, während in einem Unternehmen rationale und leistungsbezogene Entscheidungen gefällt werden müssen. Diese Unternehmen können diese Paradoxien gut zusammenfügen.“
Tatsächlich müssen in einem Familienunternehmen Tradition und Innovation möglichst gleichwertig vorangetrieben werden. Wenn sich die Unternehmen diesen Fortschritten verweigern, bringt das einen Wettbewerbsnachteil mit sich, sagt Kessler. Caran D’Ache setzt neben der Kooperation mit Designern auch auf Nachhaltigkeit: Seit 2018 wurden fünf gemeinsame Serien mit Nespresso auf den Markt gebracht. Das recycelte Aluminium der Kapseln wird etwa für die Kugelschreiber „849“verwendet. Der Kaffeesatz wird in Form von Grafitminen wiederverwertet.
erreicht, ist es »Swiss Made«.
Familienzusammenschluss. Um die Familienunternehmen als Alternative zu multinationalen Konzernen zu fördern, gibt es Vereinigungen wie etwa Hénokien. Diese Interessengemeinschaft wurde 1981 in Frankreich gegründet und vereint Familienunternehmen aus der ganzen Welt – voraus
gesetzt, sie sind seit mindestens 200 Jahren in Familienhand.
Bei den Hénokiens handelt es sich um Unternehmen, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Der italienische Waffenfabrikant Beretta, gegründet 1526, gehört dazu, ebenso wie der japanische Sakebrauer Gekkeikan (1637), die Schweizer Privatbankiers Dreyfus und Pictet oder die französische ViellardGruppe. Ältestes Mitglied der Organisation ist das japanische Hotel Hoshi: Es ist das älteste Familienunternehmen der Welt. Gegründet im Jahr
Zu den Hénokiens gehört der Waffenfabrikant Beretta ebenso wie der Sakebrauer Gekkeikan.
718, befindet es sich heute in der 46. Generation der Familie. Das weltweit größte und bekannteste „Hénokiens“Unternehmen ist Peugeot – das französische Unternehmen ist seit gut 300 Jahren im Besitz der gleichnamigen Familie. Aus Österreich gibt es nur zwei Mitglieder: Die Wiener Juweliere A. E. Köchert sind in bereits sechster Generation in Familienhand, schon Kaiserin Sisi trug die KöchertDiamantsterne. Gegründet wurde das Unternehmen 1814 von Emmanuel Pioté und Jacob Heinrich Köchert. Um sich nicht nur auf der langjährigen Tradition auszuruhen, setzen die Juweliere auf regelmäßige Zusammenarbeiten mit Künstlern: So entwarfen schon Xenia Hausner, Erwin Wurm und Herbert Brandl eigene Schmuckstücke. Das zweite Mitglied aus Österreich ist die Glasmanufaktur Lobmeyr. Gegründet wurde das Unternehmen 1823 von Joseph Lobmeyr senior und feiert damit heuer das 200jährige Bestehen. Und den jüngsten Eintritt in die „Hénokiens“.