»Wir dämmen den Trend zum Wahlarzt ein«
Der Finanzausgleich samt Gesundheitsrefom steht. Minister Johannes Rauch über die Änderungen für Patienten, wieso er an Sobotkas Stelle zurücktreten würde und was er von einem Wechsel nach Brüssel hält.
Herr Minister, Sie haben im Sommer gesagt, dass Sie für die Verhandlungen zum Finanzausgleich „wie ein Irrer durch die Lande“laufen. Diese Woche sprachen Sie von einer „mühseligen Ochsentour durch den Kompetenzdschungel“. Ist Ihre Rhetorik etwas dramatisch, oder war es wirklich so schlimm? Johannes Rauch: Mir haben schon vor einem Jahr, als ich gesagt habe, ich will den Finanzausgleich für eine Gesundheitsreform nutzen, alle gesagt: „Du bist komplett verrückt.“Ich hatte also schon eine Vorstellung, auf was ich mich da einlasse: Rote und schwarze Bundesländer, neun Gesundheitsreferenten mit unterschiedlichen Meinungen, Sozialversicherung – auch zwei Welten, Finanzministerium, Ärztekammer. Manchmal hatte ich das Gefühl, es gibt fünf oder sechs Säcke mit Flöhen, die ich versuchen muss zuzubinden. Immer wenn ich einen Sack zuhatte, ist ein anderer wieder aufgegangen. Mein Ziel war, die Lage für die Patienten zu verbessern, und das leistet diese Reform. „Digital vor ambulant vor stationär“ist ja keine Propagandasprechblase, sondern eine Programmatik, die es für die Menschen einfacher macht.
Gerade wenn es um Gesundheit geht, sind persönlicher Kontakt und Vertrauen zum Arzt aber doch auch ganz wichtig. Geht das durch diese Doktrin nicht verloren?
Dabei geht es zunächst ja nur darum, dass Patienten sofort an die richtige Stelle kommen. Jetzt ist es oft so, dass bei jedem Problem sofort die Rettung gerufen wird, die einen in die Ambulanz bringt. Dabei kann ich manche Beschwerden vielleicht auch telefonisch abklären und dann einfach ein Medikament in der Apotheke holen. Oder ich bekomme idealerweise gleich einen Arzttermin auf mein Handy, statt stundenlang im Wartezimmer zu sitzen.
Verstehen Sie, dass meine Großmutter, wenn sie dieses Interview liest, nervös wird und sich denkt, mit dieser Digitalisierung kommt sie nicht mit?
Erstens: Jede Person, die das nicht will oder kann, bekommt ein analoges Angebot. Zweitens: Ich war in einem Primärversorgungszentrum, das seinen Anmeldeprozess komplett auf digital umgestellt hat. Die haben gesagt, diese Befürchtung ist eine Chimäre. Wir müssen aufhören, den älteren Menschen nicht zuzutrauen, mit der digitalen Welt umzugehen. 90 Prozent der Klientel schaffen das. Easy. Meine Mutter, 89, hat vor einem Jahr ein Tablet bekommen, die verschickt mit dem Ding WhatsApps und Fotos, als ob es das Selbstverständlichste der Welt wäre. Etwa nach meinen „ZiB 2“-Interivews.
Ja? Ist sie kritisch mit ihrem Sohn? Na sicher.
Zurück zum Finanzausgleich: Wie ist es denn, mit einer Ärztekammer zu verhandeln, bei der es intern so viele Zerwürfnisse gibt?
Das war eine Schwierigkeit. Die Ärztekammer war in einem internen Stellungskrieg verhaftet, sodass wir nicht mehr gewusst haben, wer unser Ansprechpartner ist, weil wir zum Beispiel mit jemandem gesprochen haben und am nächsten Tag hieß es, der hatte gar nicht das Mandat, irgendetwas zu vereinbaren. Zum Schluss saß die ganze Truppe dann bei mir und hat sich bitterlich beklagt, und ich konnte nur mehr sagen: „Leute, wir beschließen das übermorgen.“
Sie haben aber auch einige Kompromisse gemacht.
Mir ist ja nicht geholfen, wenn die Ärztekammer desolat aufgestellt ist. Wir brauchen die Ärzte als Partner für die Umsetzung der Maßnahmen. Aber die Veto-Möglichkeiten der Ärztekammer sind allesamt beseitigt, das bleibt auch so. Am Ende sind das aber lauter technische Fragen, die die Patienten null interessieren.
Dann reden wir doch über die Patienten. Was ändert sich für sie konkret?
Die Versorgung wird deutlich verbessert, egal, wo sie wohnen, indem sie besseren Zugang zu Gesundheitsdienstleistungen bekommen mit der ECard und sie nicht die Kreditkarte stecken müssen. Das ist eine gesundheitsund auch eine sozialpolitische Haltung, die ich da vertrete.
An der Finanzierung und der Organisation der Spitäler ändert sich hingegen nicht viel.
Es gibt keine Finanzierung aus einer
Hand. Das ist ein Elend in der Konstruktion, ich weiß das. Das zu beseitigen würde einer Bundesstaatsreform bedürfen. Aber wir betrachten die Versorgung der Spitalsambulanzen und die Versorgung außerhalb in Zukunft gemeinsam. Die Situation der Ambulanzen verbessert sich nur, wenn die Versorgung in der Fläche mit Kassenärzten verbessert wird. Sonst kann ich in die Spitäler Geld hineinschütten ohne Ende und es bewirkt nichts.
Droht uns eine Privatisierung der Medizin, wenn Länder und Sozialversicherungen jetzt Ambulatorien, etwa von privaten Konzernen, genehmigen können? In Deutschland ist das bereits zum Problem geworden, da rudert man jetzt wieder zurück.
Nur da, wo es über Kassenärzte gar nicht geht, kann die Krankenkasse oder sonst jemand ein Ambulatorium hinstellen.
Die Wahlärzte werden bis 2026 an die Elektronische Gesundheitsakte und das E-CardSystem angebunden. Das wollen nicht alle. Haben Sie nicht Sorge, dass die dann Privatpraxen aufmachen und ihre Patienten kein Geld mehr von der Kasse zurückbekommen?
Das glaube ich nicht. Indem wir die Kassenstellen attraktivieren, dämmen wir auch den Trend zu Wahlärzten ein. Und für die Patienten wird vieles einfacher, wenn künftig Rezepte, bildgebende Verfahren, Diagnose-Codierungen usw. in die Elektronische
Gesundheitsakte eingespeichert und über das Handy abrufbar werden.
Was nicht kommt, ist die Verschreibung von Wirkstoffen statt Präparaten. Wäre das nicht gerade im Hinblick auf den Medikamentenmangel sinnvoll gewesen?
Ich hätte das gern gehabt, aber ich habe nachgegeben, weil es nicht Kernpunkt meiner Reform war.
Wie sieht es denn diesen Winter aus? Haben wir genug Medikamente oder wird es wieder einen Mangel geben?
Wir haben eine Vereinbarung mit dem Pharmagroßhandel über die Wirkstoffbevorratung. Aber ich kann nicht ganz ausschließen, dass es in dem einen oder anderen Segment einen Mangel geben wird.
Ist diese Bevorratung nicht ein Problem? Wenn alle Länder hamstern, macht es die Situation ja insgesamt nicht besser.
Es gibt einen Vorschlag der EU, um den Medikamentenaustausch zwischen den Ländern bei Knappheit zu erleichtern. Da passen wir gerade das Gesetz an, sodass bei Medikamenten, die in einem anderen EWR-Land zugelassen sind, praktisch nur noch der Beipackzettel ausgetauscht werden muss.
Apropos Winter: Die Seniorenvertreter fordern wieder fünf gratis Coronatests.
Ich sehe das nicht. Es gibt keinen Indikator, der anzeigen würde,
dass wir jetzt derartige Maßnahmen ergreifen müssten. Ich versichere mich jeden zweiten Tag über die Situation.
Schließen wir den Kreis: Zu Beginn haben wir über Mühsal gesprochen. Wie mühselig ist es für Sie denn aktuell mit der ÖVP?
Die Zusammenarbeit in vielen Sachthemen funktioniert gut. Ohne die Unterstützung von Finanzminister Brunner
wäre die Gesundheitsreform nicht möglich gewesen. Was die Causa Sobotka angeht, hat die Justizministerin eine Untersuchungskommission angekündigt. Ich, entlang meines Wertekompasses, wäre an Sobotkas Stelle zurückgetreten.
Was soll denn „entlang Ihres Wertekompasses“eigentlich heißen?
Wenn ich konfrontiert bin mit einer ganzen Reihe von Vorwürfen dieser Art, gibt es einen Punkt, an dem sich Politiker entscheiden müssen, ob sie dem Amt Schaden zufügen. Das ist eine Frage der Moral, das hat nicht nur mit dem Strafrecht zu tun. Die Politik hat Schaden genommen, weil dieser Wertekompass immer mehr verschoben wurde. In Österreich gibt es einfach keine Rücktrittskultur. In anderen Ländern treten Politiker wegen wesentlich geringerer Geschichten zurück.
Reden wir noch kurz über Ihre eigene Partei. Waren Sie enttäuscht, dass Leonore Gewessler nicht EU-Spitzenkandidatin werden will?
Ach, zwei Herzen schlagen in meiner Brust. Sie ist eine hervorragende Ministerin, ich hätte sie aber auch für eine gute Spitzenkandidatin gehalten. Es ist, wie es ist. Wir werden jemanden finden, der das gut macht.
Wie fänden Sie Lena Schilling? Kenne ich zu wenig.
Würde Ihnen Brüssel gefallen?
Mir? Ich finde Brüssel toll, bin nächste Woche dort. Aber das ist es dann auch schon, weil ich im Herbst 2025 …
Herr Minister, das kennen wir schon. Das letzte Mal, als Sie sich zurückziehen wollten, sind Sie dann Gesundheitsminister geworden.
Aber auch mit Perspektive 2025. Die Leute laufen mir die Bude ein und sagen, ich soll weitermachen. Aber ich habe meine Entscheidung getroffen. Ich war krebskrank, habe meinen gesundheitlichen Tribut schmerzlich gezahlt und meine Lektion gelernt.