Sagen Sie nie Federball zu ihm
Keine andere Sportart wird so häufig unterschätzt wie Badminton – zumindest auf einer Seite der Erde. Auf der anderen besteht kein Zweifel: Es handelt sich um den schnellsten Sport der Welt.
Der Mann mit dem hageren Gesicht wischt sich flink mit dem linken Handrücken über die Stirn. Seine Augen fokussieren einen fünf Gramm schweren Korkknopf samt 16 Gänsefedern, der auf ihn zufliegt. Er wippt, die Sohlen seiner Schuhe quietschen, wenn er auf den Fußballen über den Hallenboden sprintet, hüpft, stoppt. Der Schläger, den er in seiner rechten Hand hält, trifft. Der Mann keucht. Sein Gegenüber spielt ihm Dropshots zu. Das sind kurze Bälle, die es gerade über das nur 1,55 Meter hohe Netz schaffen und dann nahezu senkrecht zu Boden fallen.
„Wer steht, verliert“, sagt Harald Kacetl, Gründer des Vereins Badminton Point Vienna (BPV). Seit zwölf Jahren trainiert er Kinder, Jugendliche und Erwachsene in der schnellsten Schlägersportart der Welt. „Badminton eignet sich für jeden mit ein bisschen Bewegungstalent“, sagt er. „Es braucht Koordination, Reaktion, Ausdauer, Kraft, Schnelligkeit – es ist unheimlich leistungsintensiv, ähnlich dem Boxen.“Dazu kommen über 100 Schläger-GriffSchlag-Kombinationen. Die berüchtigtste unter ihnen ist die Bratpfanne. „Die meisten Anfänger greifen zu, als stünden sie in der Küche“, sagt Kacetl.
Mit 400 km/h übers Netz. Freilich: Über das Netz fliegt der Ball auch mit dieser Haltung, aber „viel kann mit ihr nicht umgesetzt werden, man schränkt sich selbst ein“, sagt Kacetl. Und nähert sich nicht gerade dem Ziel, das da lautet: „den Ball am gegnerischen Feld zu Boden zu bringen, ohne ihn ewig hin und her zu schupfen“. Zu sehen ist Letzteres in den Wiener Hallen zuweilen trotzdem.
Zwei Plätze weiter übt ein Paar. Es wird gelacht, die Arme der brünetten Frau rudern ausladend über das 13,4 Meter lange und 6,1 Meter breite Spielfeld. Die Linien dienen ihr und ihrem Partner sichtlich mehr als Dekoration denn als Begrenzung. Der benachbarte Court wird alle paar Minuten zu einem Notlandeplatz für den gelb leuchtenden Shuttlecock aus Kunststoff zweckentfremdet. „Wir spielen getarntes Federball, verraten Sie uns nicht“, sagen die beiden und grinsen.
Und tatsächlich: Die beiden Spielarten trennt mehr, als sie vereint. Während beim Federball ein Netz nicht zwingend gebraucht wird, sondern in der Regel eine Wiese oder ein hürdenfreier Garten ausreichen, ist es beim Badminton unabdingbar. Während es beim Federball vorrangig darum geht, den kegelförmigen Ball möglichst hoch und möglichst häufig von der einen zum anderen zu spielen, bevor er den Boden berührt, „kämpft man beim Badminton um jeden Punkt“, sagt Kacetl. Und zwar schnell: Weltklassenspieler schleudern den Ball mit bis zu 400 Kilometern pro Stunde über das Netz.
Im Osten der Welt. In Österreich wissen davon die Wenigsten, obwohl einiges getan wird, um attraktiv zu sein. Stichwort: Darkminton alias Badminton im Dunkeln. Noch fruchten die Versuche nur spärlich: Nur knapp über 4000 Spielerinnen und Spieler sind in einem der 116 Vereine registriert, die meisten davon finden sich in Vorarlberg. Wesentlich anders gestaltet sich das Bild in Europa lediglich in Großbritannien und Dänemark. Einerseits, weil das Spiel vom englischen Landsitz „Badminton House“des Duke of Beaufort herrührt, wo es im Jahr 1872 vorgestellt wurde – ein Kolonialbeamter hatte es in Indien aufgeschnappt. Andererseits, weil mit Viktor Axelsen momentan ein Däne die Weltrangliste der Herren anführt.
Indonesien, Malaysia, Thailand, Japan, Südkorea, Taiwan, Indien, China und Singapur heißen hingegen die Länder, in denen Hunderte Fans zu Turnieren anreisen, die Namen ihrer Idole kreischen und um Autogramme feilschen. In Zahlen gesprochen ergibt das die halbe Welt. Diese bekommt einiges zu sehen, wenn etwa die Koreanerin An Se-young, aktuell die Nummer eins unter den Frauen, in artistischer Manier den Ball mit der rechten Vorhand links hinter dem eigenen Körper schlägt.
Badminton wird auf zwei gewonnene Sätze gespielt. Ein Spiel, egal ob Einzel, Doppel oder Mixed, endet bei 21 Punkten pro Satz – vorausgesetzt, es besteht eine Differenz von zwei Punkten, andernfalls gewinnt, wer zuerst 30 erreicht. Ebenfalls unverhandelbar ist, dass nach jedem Satz die Seiten gewechselt werden. Beim Aufschlag muss der Ball unterhalb einer Höhe von 115 Zentimetern getroffen werden. Und: Der Gegner muss ihn treffen, bevor er den Boden berührt.
„Sechzig!“, ruft die Frau von Platz drei und freut sich über fünf Dutzend Ballwechsel mit ihrem Mann. Im selben Moment ertönt von Platz eins ein peitschendes Geräusch: Ein langer Shuttlecock fliegt hoch über das Netz und dreht erst knapp vor der Grundlinie steil nach unten. „Der Clear wird besser“, kommentiert der Trainer. „Aber lös‘ endlich den Arm von der Schulter!“, setzt er nach. Klingt schwierig. Ist es auch – viel schwieriger als Federball.