Österreich, Land der aufgehenden Sonne
Wenn es 2023 einen großen Gewinner in der Energiewelt gab, dann war es die Solarenergie. Weltweit wurden um die Hälfte mehr neue Fotovoltaikanlagen zugebaut als im Jahr zuvor. Allein in Österreich schraubten Hausbesitzer 120.000 neue Solaranlagen mit einer Kapazität von zwei Gigawatt auf ihre Dächer. Zum Vergleich: Der bisherige Ausbaurekord von 2022 lag bei einem Gigawatt. Angestachelt von hohen Strompreisen, üppigen Förderungen und der Unsicherheit des Ukraine-Kriegs sattelten so viele Österreicher auf Sonnenenergie um, dass in manchen Bundesländern die Netzbetreiber auf die Bremse steigen mussten.
Und das war erst der Anfang: Nach internen Schätzungen des Energieregulators E-Control dürften im Jahr 2024 knapp drei Gigawatt an neuen Solaranlagen in Österreich verbaut werden. Waren bisher fast ausschließlich private Haushalte für den Solarboom verantwortlich, so kämen nun auch verstärkt größere Anlagen von Unternehmen hinzu. Doch diese Mengen an sauberem Ökostrom muss das heimische Stromnetz erst einmal verdauen lernen.
Sonne statt Wasser. Einen Vorgeschmack darauf, wie weit das Land davon entfernt ist, hat der Sommer 2023 geliefert: In Oberösterreich gingen in mancher Gemeinde die Lichter aus, weil unerwartet zu viel Sonnenstrom ins Netz eingespeist wurde. In Niederösterreich mussten Wasserkraftwerke an der Donau außer Betrieb genommen werden, weil die Sonne zu viel Energie geliefert hatte. Und wer in der Steiermark seinen Solarstrom vom Dach ins öffentliche Netz einspeisen will, muss sich darauf gefasst machen, vom Netzbetreiber erst einmal ein „Njet“zu bekommen.
„Es zeichnet sich seit Jahren ab“, sagt Vera Immitzer, Geschäftsführerin des Bundesverbandes Photovoltaic Austria. „Die Erneuerbaren sind auf einem guten Ausbaupfad, aber die Netze hinken hinterher.“Bis zum Jahr 2030 sollen zusätzliche 39 Terrawattstunden Strom aus erneuerbaren Energien gewonnen werden, doch die Netzkapazitäten sind zu gering. Ein neues Elektrizitätswirtschaftsgesetz (ElWG) sollte Netzbetreibern die Möglichkeit geben, die Einspeisung von privatem Sonnenstrom zu limitieren und so in Summe mehr Solaranlagen im Land zu ermöglichen. Obwohl mehrfach angekündigt, wurde es bis heute nicht in Begutachtung geschickt, kritisiert Immitzer. Hier verzögere die Politik die Energiewende, die sie selbst verordnet habe.
Volle Lager. Auf abflauendes Interesse der potenziellen Käufer sollten die Netzbetreiber besser nicht hoffen. Dafür sorgen etwa das Rekordbudget für Solarförderung sowie die mit erstem Jänner in Kraft tretende Abschaffung der Mehrwertsteuer auf private Solaranlagen. Auch die Module selbst dürften im Jahr 2024 noch einmal deutlich billiger werden, da sich immer noch Zigtausende von ihnen in europäischen Lagern stapeln. Im Herbst warnte der Branchenverband European Solar Manufacturing Council (ESMC), dass Solarmodule mit 40 Gigawatt Leistung auf Abnehmer warteten.
Das entspricht etwa der gesamten Kapazität der in Europa 2022 neu installierten Anlagen. Daten des norwegischen Beratungsunternehmens Rystad sprachen sogar von rund 80 Gigawatt unverkaufter Solarmodule aus Fernost. Die Volksrepublik hält aktuell 80 Prozent des weltweiten Solarmarkts und drängt aktuell zu Dumpingpreisen auf den Kontinent, klagen hiesige Mitbewerber. Was für Europas Industrie schlecht ist, kann Privaten – die auf die Herkunft ihrer Waren keinen Wert legen – jedoch egal sein. Sie sollten 2024 so günstig an Solaranlagen kommen wie nie zuvor.
Netzgebühren steigen. Um den erwarteten Zubau an Fotovoltaikanlagen zu stemmen, „brauchen wir dringend einen Netzausbau“, drängt auch E-Control-Chef Alfons Haber. In den kommenden zehn Jahren seien Investitionen von 18 Milliarden Euro für neue Leitungen und Transformatoren
Wer seine eigene Solaranlage am Dach hat, lernt rasch, wie Energie funktioniert.
notwendig. Das sind acht Milliarden Euro mehr als in der Dekade zuvor. Die Netzkosten würden darum im Schnitt jedes Jahr um zehn Prozent steigen. Dafür werde der Ausbau der Erneuerbaren ermöglicht, der zusätzliche Investitionen in Höhe von 30 Milliarden Euro für das Land bedeute.
Während Wirtschaftskammerchef Harald Mahrer bereits gefordert hat, dass der Staat die Kosten für den Netzausbau tragen soll, verweist Haber auch auf andere Hürden: Der Ausbau scheitere nicht in erster Linie am Geld, sondern an den Genehmigungen, sagt er. Immer noch müssen viele Leitungsprojekte mit großem Widerstand und langwierigen Verfahren rechnen. Auch hier könne der Solarboom helfen, hofft Haber: „Wer Fotovoltaikanlagen kauft, lernt, wie Energie funktioniert“, sagt er. Nach einer Woche Schneefall merke jeder Solaranlagenbesitzer, wie abrupt die eigene Stromproduktion einbrechen kann. Das schaffe vielleicht mehr Verständnis für neue Stromleitungen und größere Anlagen. Denn um die Ziele zu erreichen, seien die Solarmodule auf privaten Dächern nicht genug.