Was ist real, was Fiktion?
Stephanie Bishops Roman »Der Jahrestag« glänzt mit einer unzuverlässigen Erzählerinnenstimme, deren fragmentarisches Gedächtnis in den Bann schlägt.
„Der Jahrestag“beginnt als alltägliche, fast langweilige Erzählung: Ein langjähriges Ehepaar begeht seinen Hochzeitstag auf einer Kreuzfahrt, der Ehemann schießt an
Deck ein paar Fotos von seiner Frau. Bald aber folgen wir der Protagonistin J. B. Black in die wirren Windungen ihrer Gedanken. Sie ist die Erzählerin, auf die sich die Leser stützen müssen, deren lückenhaftes Gedächtnis und sprunghafte Erzählweise jedoch zunehmend unzuverlässig erscheinen. Nie weiß man genau, ob es Schock, Trauma oder mutwillige Auslassung ist, die J. B. Black anleiten.
In diesem psychologischen Thriller der australischen Autorin Stephanie Bishop begleiten die Leser und Leserinnen die Protagonistin in den Wochen nach dem Unglück, bei dem sie ihren Mann verloren hat. Beide Eheleute sind beruflich Geschichtenerzähler: sie erfolgreiche Autorin, er berühmter Regisseur. Dieses Detail ist nicht unwesentlich, beschäftigt sich der Roman doch auch mit dem verschwindenden Unterschied zwischen Realität und Fiktion. Gleichzeitig stellt Bishop nuanciert dar, wie Geschlecht und Status auch das sensible Gleichgewicht innerhalb einer Ehe aus der Bahn werfen können. Lernte die Protagonistin ihren Mann als seine um 20 Jahre jüngere Studentin kennen, ist sie ihm später beruflich ebenbürtig. Das Buch ist komplex erzählt, mutet mitunter jedoch etwas langatmig an.
Stephanie Bishop: „Der Jahrestag“, übersetzt von Kathrin Razum, DTV-Verlag, 464 Seiten, 27,50 Euro