Schlittenhundefahren auf Beinen
Mit dem Hund zu laufen, ist wunderschön. Über Hüftgurt, Brustgeschirr und Leine verbunden erlebt man beim eine ganz andere Art von Lauf-Beschleunigung, wenn der Hund vorn Gas gibt.
Natürlich kann man auch die Leine nehmen und statt Gassi zu gehen einfach Gassi laufen. Wenn Hund und Herrl oder Frauerl gesund sind, wird das funktionieren. Und Mensch und Tier Freude machen, keine Frage.
Aber wer mit dem vierbeinigen Kumpel öfter läuft, wird rasch merken, dass die Leine in der Hand nicht das Gelbe vom Ei ist. Für keinen Beteiligten. Erst recht nicht, wenn der Hund gut erzogen ist – also nicht tut, was aus „Laufen mit Hund“dann „Canicross“macht : nämlich ziehen. Da kommt es genau darauf an, auf den kraftvollen Zug nach vorn. Der gibt den Kick. Macht aus Mensch und Tier ein Gespann. Und garantiert Spaß: „Wenn der Hund sich ins Zeug legt, muss ich nur die Beine heben – und bin doppelt so schnell wie allein“, sagt Markus Gerstl strahlend. „Einfach erklärt: Canicross ist Schlittenhundefahren ohne Schlitten.“
Gerstl, im Hauptjob Krankenpfleger, ist Österreichs „Mr. Canicross“. Wer sich fürs Hundelaufen interessiert, landet irgendwann bei ihm und seinen „Speedrunnern“. Etwa dann, wenn der 49Jährige zum Schnuppertraining lädt. Zum einen, weil Gerstl hofft, bei Wettkämpfen hierzulande mittelfristig auch gegen andere als die paar „üblichen Verdächtigen“antreten zu können. Vor allem aber, „weil Mensch und Hund mehr vom Laufen haben, wenn sie es richtig machen. Auch ohne Wettkampf.“
Der Clou beim Canicross ist das Geschirr: Die Leine in der Hand ist beim Laufen auf Dauer lästig. Auch für den Hund ist ein Halsband beim Dauerlauf nicht optimal. Also tragen Herrl, Frauerl und Wuff beim Canicross ein Geschirr: Hüftgurt für den Menschen, Brustgeschirr für den Hund. Der Strick hat einen Not-Auslöser. Damit der Zug in Kreuz oder Rücken nicht zu Schmerzen oder Verletzungen führt, ist es „wichtig, das Geschirr gut anzupassen“, erklärt Gerstl: Wenn sich 30 Kilo motivierter Hund ins Zeug legen, kommen rasch 150 Kilo Zugkraft zusammen. Ein satter „Bumms“. Wie ein Spinnaker. Ein Turbo-Boost. „Oh ja, das haut rein“, sagt Gerstl lachend. Genau deshalb versteht er nicht, wieso man Canicross in Österreich sogar laufenden Hundehaltern erklären muss: In den Beneluxstaaten ist Canicross quasi Volkssport. Da gehen bei Wettkämpfen Hunderte im 30-Sekunden-Rhythmus auf die Rennstrecke.
Die ist – im Wettkampf – nicht allzu lang: meist zwischen vier und sieben Kilometern. Saison ist in kalten bis kühlen Monaten, den Hunden zuliebe: Die „Hatz“soll ja „Hetz“bleiben. Wobei die Definition von Spaß auch bei Hunden individuell ist: „Einen Hund, der nicht will, macht keine Macht der Welt zum Zughund“, erklärt Petra Bergauer. Die Steirerin ist im Canicross-Universum „weltberühmt“: 2018 wurde sie mit ihrer Schlittenhündin Crazy Welt-, 2022 mit Calidos Socke (detto Schlittenhündin) in der Bretagne Vizeweltmeisterin und in Sachsen-Anhalt EM-Dritte. Landes-, Staats- und andere Titel kommen dazu. Wobei der Landesbediensteten wichtig ist, dass nicht sie, sondern das „Team Bergauer“antritt: „Canicross ist Teamsport.“Auch abseits der Wettkämpfe: Das Spiel mit Gurt und ZugTurbo einmal zu probieren, empfiehlt Bergauer allen Hundehalterinnen und -haltern. Natürlich an Kondition und Konstitution der Beteiligten angepasst – und idealerweise mit Einstiegshilfe.
Große und kleine Hunde. Canicross-Mastermind Gerstl bringt zum Schnuppertraining deshalb Leihgeschirrsets mit. Für große und kleine Hunde: Auch wenn Kraft und Topspeed eines Schoßhündchens mit der seines LanghaarWeimaraners Finn nicht vergleichbar seien, hänge die Freude am Zugsport nicht zwingend an der Rasse. Am wichtigsten, wiederholt Gerstl Bergauers
Mantra, sei es, den Hund zu akzeptieren, wie er ist: „Wenn der Hund will, zieht er, wenn nicht, nicht.“Mit- oder nachschleifen „geht gar nicht: Das ist Tierquälerei. Locker nebeneinander ist okay. Aber vorneweg wäre ideal.“
Womit wir wieder beim Eingangsproblem der gut erzogenen Hunde wären: Schon in der Welpenschule lernt der Wuff ja, nicht zu ziehen. Jetzt, beim Laufen, soll er es plötzlich? Auch sein Finn, erzählt Gerstl, habe das als verspielter Junghund wieder lernen müssen: „Ich habe ein ferngesteuertes Auto vor ihm fahren lassen – er ist hinten nach. Das war sicher ein komischer Anblick: Auto, Hund und dahinter ein Mann, der versucht, beim Laufen eine Fernsteuerung zu bedienen.“
Heute folgen die „Neuen“meist einem erfahrenen Gespann. Dass Hunde nach dem Training nicht mehr „bei Fuß“gehen oder im Alltag plötzlich ziehen, sei aber nicht zu befürchten, betont Gerstl: „Hunde erkennen sehr gut, was sie wann dürfen und was wann von ihnen erwartet wird.“Angeblich, ist der Dog Runner sicher, sogar den Unterschied zwischen Training und Wettkampf : „Sie spüren die Anspannung der Halter – und geben sich dann noch mehr Mühe. Aber wer weiß, vielleicht sind sie ja auch selbst ehrgeizig.“