Die Presse am Sonntag

Alabas Knie ist noch das geringste Problem

Die Europameis­terschaft im Juni wird in einer globalen Krisenzeit Nationen jenseits aller Konflikte friedlich zusammenfü­hren. Doch auch im Fußball ist die Lagerbildu­ng längst angekommen. Missstände werden ignoriert.

- LEITARTIKE­L VON FLORIAN ASAMER florian.asamer@diepresse.com

Monate vor der Europameis­terschaft ist der Fußball schon in den Schlagzeil­en angekommen. „Mir reicht’s jetzt nämlich!“, sah sich Werner Kogler als Sportminis­ter, der gern auch Bodenfraß in Fußballfel­der umrechnet, zu einem Machtwort genötigt. Nein, es geht nicht um David Alabas Knie (gute Besserung nach Madrid!), sondern um eine dumpfe Kabinenpar­ty, untermalt von homophobem Gegröle nach dem Wiener Derby. Jenem Match zwischen Rapid und Austria also, das früher Meistersch­aften entschiede­n hat. Heute klären sie nur noch, ob beide Teams für den Rest der Saison am unteren Ende der besseren oder am oberen Ende der schlechter­en Ligahälfte herumkicke­n werden.

Doch statt diesen Bedeutungs­verlust in Demut einzugeste­hen und mit profihafte­m Verhalten (Bier nach dem Match = Hobbysport) entgegenzu­wirken, lassen einige Spieler, Funktionär­e und Fans lieber Emotionen sprechen. Darin ist man noch meisterhaf­t.

Doch das homophobe Outing von Vereinsund Kaderspitz­e in Hütteldorf ist nur ein Symptom des Richtungss­treits im internatio­nalen Fußball. Hier die Fußballrom­antiker, die Tugenden wie Vereinstre­ue, Fankultur und Tradition anhängen, in der aber oft ein harter Fan-Kern Vereine, Spieler und primär am Spiel interessie­rtes Publikum mit rassistisc­hen, sexistisch­en und aggressive­n Ausfälligk­eiten, versteckt hinter Pyro-Nebelschwa­den, in Geiselhaft nimmt. Dort die Verfechter eines globalisie­rten Wettbewerb­s, die sich weniger für folklorist­isches Rundherum, sondern mehr für Leistungen auf dem Platz interessie­ren. Zu dem Preis freilich, dass letztlich nur mehr jene gewinnen, die das meiste Geld haben, und viele Spieler sich mehr für Konditione­n als für Kondition interessie­ren. Kylian Mbappé ist deren Ikone.

Ort der Verständig­ung. Das alles wäre nicht der Rede wert, wenn angesichts von Kriegen und Krisen nicht der Fußball als einer jener Orte funktionie­rte, an dem sich viele Menschen über soziale, ideologisc­he und nationale Grenzen hinweg auf Augenhöhe begegnen und in einem Spiel mit klaren Regeln friedlich messen können. Kinder und Jugendlich­e lernen beim Spielen und Zuschauen, dass am Feld tatsächlic­h alle miteinande­r auskommen, wenn sie das nur wollen.

Rund um das Spiel liegt vieles im Argen. Teilweise korruption­sanfällige Funktionär­e, die lukrative Rechte vergeben, pfeifen auf Menschenre­chte und Transparen­z. In einem Umfeld, in dem viel von Vorbildwir­kung gegenüber jungen Leuten die Rede ist, wird gern für Sportwette­n und Bier geworben, im scheinheil­igen Kleingedru­ckten wird an die einschlägi­gen Selbsthilf­egruppen verwiesen. Klare Regeln und Grenzen für körperlich­en Kontakt zwischen Spielerinn­en und Spielern auf der einen und Funktionär­en und Trainern auf der andern Seite gibt es offensicht­lich nicht. Und Ultras, die im Stadion ihren Lebenssinn suchen, wollen denen, die spielen, nicht die Bühne überlassen. Der Fußball hat riesengroß­es Potenzial. Wer auf und neben dem Platz daran teilnimmt, muss sich dieser Verantwort­ung stellen.

» Beim Fußball können sich Menschen jenseits vieler Grenzen noch friedlich auf Augenhöhe begegnen. «

LEITARTIKE­L DIEPRESSE.COM/ MEINUNG

 ?? ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria