Olaf Scholz und das Geheimnis des Taurus
Dem deutschen Kanzler ist die Debatte um den Marschflugkörper entglitten. Nun veröffentlichten russische Medien auch noch ein Tonband, das die deutsche Öffentlichkeit erschrecken sollte.
Das Tonband kam zum schlechtesten Zeitpunkt. In der Freitagnacht erschien die erste Meldung: Von russischen Journalisten wurde eine Telefonkonferenz zwischen deutschen Luftwaffenoffizieren abgespielt. In dem von Unbekannten abgehörten Gespräch ging es um ein Szenario: Was könnte die ukrainische Armee alles mit dem deutschen Marschflugkörper Taurus anfangen? Die Kertsch-Brücke angreifen etwa, die Russland zur Krim gebaut hat, eine wichtige Nachschublinie?
Das Tonband ist echt, das ist bestätigt. Und Olaf Scholz hat nach einer schwierigen Woche ein Problem mehr. Der französische Präsident provozierte ihn, indem er nicht ausschließen wollte, westliche Bodentruppen in die Ukraine zu schicken. Die Briten sind sauer, weil der deutsche Kanzler öffentlich nahelegte, sie würden den Ukrainern helfen, ihre Ziele in britische Marschflugkörper einzuprogrammieren – und damit näher an einer Kriegsbeteiligung stehen als Deutschland.
Und dann ist da noch der Taurus. Die deutsche Hightechwaffe – zielgenau auf rund 500 Kilometer –, die der Kanzler nicht aus den Händen geben will. Oder zumindest nicht in jene der Ukrainer legen. Warum, darüber wird eher spekuliert als debattiert. Wieder einmal wirkt es so, als könnte oder wollte sich Scholz nicht richtig erklären.
Lang sagte er zum Taurus nichts, als würde das Gerede dann von selbst aufhören. Als das Parlament vor eineinhalb Wochen über eine Lieferung des Marschflugkörpers debattierte, kam der Kanzler einfach nicht. Doch am Montag war er auf einmal anders: Bei einem Hintergrundgespräch der Chefredakteure führender deutscher Medien forderte er überraschend auf, die Aufnahmegeräte einzuschalten.
Er werde ihnen die Sache erklären: Der Taurus sei eine „sehr weitreichende Waffe“, und wenn deutsche Soldaten den Ukrainern helfen würden, die Ziele dafür zu programmieren, könne es dadurch „gewissermaßen zu einer Kriegsbeteiligung kommen“. Und: „Was an Zielsteuerung und Begleitung der Zielsteuerung von Briten und Franzosen gemacht wird, kann in Deutschland nicht gemacht werden.“Um sicherzugehen, dass alle davon erfuhren, schickte das Kanzleramt auch ein Transkript des Gesprächs an die ausländischen Korrespondenten in Berlin.
Misstrauen. Ein Schritt, der vor allem auf der britischen Insel nicht besonders gut ankam. „Ein Schlag ins Gesicht der Verbündeten“, seien die Worte des deutschen Kanzlers, so etwa Alicia Kearns, Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im britischen Parlament. „Scholz sollte den Taurus hergeben und aufhören, die Sicherheit Europas zu behindern.“Britische Militärs und Diplomaten empörten sich, dass der Deutsche so offen über militärische Belange, ja gar Geheimnisse, sprach.
Später, am selben Montag in Paris, brachte der französische Präsident, Emmanuel Macron, auf einmal westliche
Bodentruppen ins Spiel. Irgendwann ruderte er zwar etwas zurück. Wen er damit vor den Kopf stoßen wollte, war aber offenkundig: Den deutschen Kanzler, der ebenfalls angereist war und für den eigene Soldaten im Kriegsgebiet ein absolutes Tabu sind.
Nur zwei Tage später nahm Scholz spontan ein Video auf, um der deutschen Bevölkerung zu versichern: Niemals
werde er die deutsche Bundeswehr gegen Russland schicken. Seine Partei, die SPD, erklärte in Talkshows, dass ohne den besonnenen Scholz alles viel schlimmer wäre.
Deutsche Politiker zweifelten indes an der Erklärung des Kanzlers zum Taurus.
Scholz „sagt erkennbar die Unwahrheit“, sagte der Bundestagsabgeordnete Anton Hofreiter, als Grüner auch Mitglied einer Regierungspartei. Sein Beispiel: Südkorea. Das Land besitzt 260 der Marschflugkörper, ohne auf deutsche Soldaten angewiesen zu sein, die Ziele einprogrammieren.
Am Donnerstag skizzierte Scholz bei einem Bürgergespräch in Dresden sein Dilemma: Ohne deutsche Soldaten beim Zieleinprogrammieren gäbe er die Kontrolle an die Ukraine ab, die mit dem Taurus sogar Moskau erreichen könnten. Deutsche Programmierhilfe wiederum hieße in seiner Lesart eine Kriegsbeteiligung. Eine solche müsste in Deutschland – anders als in Frankreich oder Großbritannien – vom Parlament mit einer Mehrheit abgesegnet werden. Was sich aus dem beschriebenen Dilemma auch ableiten lässt, ohne dass Scholz es bisher offen ausgesprochen hat: Er vertraut der Ukraine nicht, Taurus allein einzusetzen.
Nun scheint irgendjemand die Gelegenheit genutzt zu haben, den Taurus durch die in Russland verbreitete Abhöraktion im Gespräch zu halten. Auch, wenn der Kanzler lieber nicht über die deutsche Waffe reden will.
»Scholz sollte den Taurus hergeben und aufhören, die Sicherheit Europas zu behindern.«