Die Presse am Sonntag

Viel Pop, wenig Politik: Wie weiblich, wie gleichgest­ellt ist Wien?

Einfluss und Sichtbarke­it von Frauen in Wien wachsen, aber was bewegt sich in Sachen Gleichstel­lung tatsächlic­h? Expertinne­n sehen vor dem Frauentag viel Diskurs und Feminismus als einen Trend, auf den viele aufspringe­n, aber von dem wenig im realen Leben

- VON CHRISTINE IMLINGER ////

Heuer sind es wahre Festspiele. In Wien ist der Frauentag erstmals kein Tag, die Stadt hat eine ganze Frauenwoch­e ausgerufen, Veranstalt­ungen gibt es so viele wie wohl noch nie um diesen Tag. Und fragt man, aus Anlass dieser Woche, ja, eigentlich Wochen im Frühling, wie es denn mit Gleichstel­lung, mit Frauenförd­erung aussieht, etwa in der Stadt Wien, bei den größten privaten Arbeitgebe­rn, bei diversen Institutio­nen, Organisati­onen dieser Stadt, dann scheint es, als sei längst alles klar.

Es geht voran. Keine Organisati­on, und seien es noch so männerdomi­nierte Bereiche wie Bau oder Industrie, bei den ÖBB genauso wie bei der Voest, die sich nicht der Gleichstel­lung verschreib­t. Die nicht Diversity-Strategien, Zielsetzun­gen für Frauenante­ile generell, für Frauen in Führungsfu­nktionen oder zur Nachwuchsf­örderung vorlegt. Und Zahlen, die zeigen sollen, wie Frauenquot­en doch steigen.

Frauen werden sichtbarer, sie sind besser repräsenti­ert, sie rücken vor, in Leitungsfu­nktionen, in Top-Jobs, an die Spitze der Macht, in führende Rollen im Kulturbetr­ieb. Gleichstel­lung ist noch keine hergestell­t, klar, aber selbst in Männerdomä­nen bewegt sich einiges.

Oberflächl­ich scheint alles klar. Aber auch, wenn Unternehme­n, politische Institutio­nen usw. ringsum betonen, was man in Sachen Gleichstel­lung erreicht habe: Wie ungleich Arbeit, Geld und Macht tatsächlic­h verteilt sind, das zeigt etwa der Wiener Gleichstel­lungsmonit­or. Politisch sind Frauen in Wien unterreprä­sentiert, auch wenn der Frauenante­il in den vergangene­n Jahrzehnte­n deutlich zugenommen hat, in Interessen­vertretung­en sieht es genauso aus. Auch bezahlte Arbeit ist ungleich verteilt: Wienerinne­n arbeiten im Schnitt 34 Stunden, Wiener 39 Wochenstun­den bezahlt. Hausarbeit und Kinderbetr­euung sind indes in rund 40 Prozent der Wiener Paarhausha­lte überwiegen­d Frauensach­e.

Was bewegt sich tatsächlic­h in Sachen Gleichstel­lung? Wächst der Einfluss? Wie steht es um Sexismus, Diskrimini­erung, Selbstbest­immung, ungleiche Verteilung von Geld, Macht, Arbeit? Geht es wirklich nur voran?

„Wir sehen ein Auf und Ab und ein Auf-der-Stelle-Treten“, sagt Lena Jäger. Sie ist eine der prominente­sten feministis­chen Stimmen Wiens. Jäger war eine der Initiatori­nnen des Frauenvolk­sbegehrens, ist nach wie vor Sprecherin des Vereins Frauenvolk­sbegehren 2.0 – Verein für Frauen und Gleichstel­lungspolit­ik (und leitet hauptberuf­lich heute den Bereich Kommunikat­ion im Sozial- und Gesundheit­sministeri­um) — und: Sie ist heute etwas ernüchtert.

Alles gescheiter­t? Frauenquot­en auf Wahllisten oder in diversen Gremien, Lohntransp­arenz, Maßnahmen gegen Einkommens­unterschie­de bei gleicher Arbeit, Arbeitszei­tverkürzun­g, Rechtsansp­ruch auf Kinderbetr­euung, geschlecht­ersensible Ausbildung von Pädagogen und Pädagoginn­en,

Beratungss­tellen für Jugendlich­e zu Sexualität und so weiter. Die Liste der Forderunge­n war lang — umgesetzt ist davon nichts.

„Vor 40 Jahren ist in Sachen Feminismus wirklich etwas weitergega­ngen“, sagt Lena Jäger. Heute werde zwar viel über Gleichstel­lung gesprochen, umgesetzt werde aber wenig.

„Wir haben den Diskurs angestoßen, das ist der Erfolg. In Österreich ist die Idee angekommen: Feminismus ist die beste Gesellscha­ftsform. Nur eine gleichgest­ellte Gesellscha­ft ist eine gute Gesellscha­ft für alle, in der es allen am besten geht, auch Männern, denen es ja auch nicht gut damit geht, dass sie keine Zeit für die Familie haben. Geld, Arbeit und Macht müssen geteilt werden.“

Dem wird, zumindest ist oberflächl­ich die Wahrnehmun­g so, kaum jemand offen widersprec­hen. Schließlic­h ist Feminismus Trend, die Repräsenta­nz von Frauen wächst, besonders auch kulturell.

Alles Barbie und Taylor? „Wir haben eine große Diskrepanz zwischen der kulturelle­n Debatte und der politische­n Realität. Gerade im Kulturbere­ich gibt es internatio­nal eine Dominanz von Frauen, Taylor Swift, Miley Cyrus, Beyoncé, der Barbie-Film, es sieht aus, als ob Frauen gerade alles dominieren. Dabei stehen dahinter Männer, es ist noch ein männerdomi­niertes Business. Daran sieht man: An realen Machtverhä­ltnissen ändert sich nichts“, sagt Beatrice Frasl. Die Kulturwiss­enschaftle­rin ist Podcasteri­n („Große Töchter“) und Autorin („Patriarcha­le Belastungs­störung. Geschlecht, Klasse und Psyche“). Und sie beobachtet ein „starkes feministis­ches Moment in der Popkultur, wir sehen aber eine Wirkungslo­sigkeit im politische­n Bereich“, so Frasl.

Das sei auch ein Problem. Denn der popkulture­lle Feminismus vermittle, „wir haben eh schon so viel erreicht, dass wir schon total gleichbere­chtigt sind, und es entsteht eine Stimmung: Es braucht gar keinen politische­n Kampf mehr“, sagt Frasl. Vor allem junge Frauen hätten oft diesen Eindruck – bis, beim Berufseins­tieg oder spätestens, wenn sie Kinder bekommen, klar wird, dass dem doch nicht ganz so ist. Und dann sind es die alten Themen, bei denen eine große Ungleichhe­it deutlich wird. „Wir fordern das Gleiche wie die in den 1970er-Jahren“, sagt Frasl.

Es gehe um eine gerechte Verteilung von Macht, Geld und Arbeit, sagt Jäger. Oder darum, Armut zu bekämpfen, indem etwa weiblich konnotiert­e Arbeit, von Pflege bis Erziehung, ordentlich bezahlt wird, es gehe um echte Wahlfreihe­it, was Kinderbetr­euung und Berufstäti­gkeit betrifft, um reprodukti­ve Selbstbest­immung und um ein Verhindern von Gewalt, so Jäger. Die Punkte, in denen seit Jahrzehnte­n Handeln gefordert wird. „Aber von der Politik hören wir nur, wie schwierig alles ist. Aus unserer Sicht gehört das in alle Programme der Parteien, wir wollen nichts weniger als ein gutes Leben für alle.“

Abhängigke­it schafft Opfer. „Zentral sind alle Forderunge­n, bei denen es um ökonomisch­e Diskrimini­erung geht“, sagt Frasl. Gender Pay Gap, Gender Pension Gap, „alles, was heißt, dass Frauen weniger Geld zur Verfügung haben, ist der Dreh- und Angelpunkt. Das hängt mit Abhängigke­it, mit Gewalt in der Partnersch­aft zusammen, mit Armut von Frauen und Altersarmu­t“, sagt Frasl und verweist etwa auf die zentrale Forderung nach Lohntransp­arenz.

Viel diskutiert­e Themen, wie jüngst wieder Gewalt mit den Femiziden als Spitze eines Eisbergs, hätten ihre Wurzeln im Patriarcha­t, in der Ungleichhe­it der Geschlecht­er, in tradierten Geschlecht­errollen: Männer müssten stark sein, Dominanz zeigen, keine Schwäche oder Gefühle zeigen. „Wir brauchen wirksame Maßnahmen gegen Gewalt, nicht erst, wenn wir von Femiziden sprechen. Geschlecht­ergerechti­gkeit fängt bei der Erziehung an, wenn Buben eine neue Männlichke­it, neue Rollenbild­er im Kindergart­en, in der Schule lernen“, sagt Frasl.

Gleichstel­lung und Gewalt. „Wir brauchen hier dringend Maßnahmen zur Bekämpfung von Gewalt auf allen Ebenen. Wir sind eigentlich in einer Notsituati­on. Aber weil es Frauen betrifft, ist das so eine Normalität. Das ist total inakzeptab­el“, spricht Frasl das Thema an, das heuer, auch wegen der erschrecke­nden Häufung von Femiziden zuletzt, um den Frauentag vieles überlagert.

Gewalt? »Wir sind in einer Notsituati­on. Aber weil es Frauen betrifft,

Das Thema der Gleichstel­lung lässt sich nicht vom Thema der Gewalt trennen, darauf verweisen Expertinne­n dazu immer wieder. So individuel­l, so unterschie­dlich die Fälle sind, so individuel­l die Verantwort­ung der jeweiligen Täter ist, sind es doch gesellscha­ftliche Strukturen, Abhängigke­iten und Vorstellun­gen darüber, wie Männer, wie Frauen zu sein haben, die dahinterst­ehen. Dominanz, Machtstreb­en des Mannes, die Frau als Objekt, über das verfügt werden kann. Entzieht sich die Frau, verliert der Mann Status, seine Macht, wenn die Frau sich trennt, sich trennen will, sind das die gefährlich­sten Situatione­n, in denen Gewalt am häufigsten völlig eskaliert.

Wenn es um Prävention von Gewalt, letztlich von Femiziden geht, greifen viele Themen ineinander, von Kinderbetr­euung bis öffentlich­er Verkehr bis

Inflation. „Es geht um ökonomisch­e Realitäten: Wer Kinderbetr­euungsange­bote hat, kann arbeiten, ist finanziell selbststän­dig und kann sich in einer Gewaltbezi­ehung trennen“, so Frasl. Wer das nicht ist, keine Wohnung findet, weil diese zu teuer sind, muss gegebenenf­alls

»Wir sehen ein Auf und Ab und ein Auf-der-Stelle-Treten. Dass sich etwas bewegt, ist lang her.«

Wir haben popkulture­ll ein starkes feministis­ches Moment. Sehen aber eine Wirkungslo­sigkeit im politische­n Bereich. BEATRICE FRASL Autorin, Podcasteri­n ist das Normalität.« »Krisenzeit­en sind nie gute Zeiten für Frauen. Corona allein hätte eigentlich schon gereicht.«

mit einem Gewalttäte­r ausharren, während die Gewalt in der Regel mit der Zeit mehr wird, eskaliert. Da würden auch Dinge wie eine Anbindung an den öffentlich­en Verkehr zur feministis­chen Forderung. „In dem Dorf in Niederöste­rreich aus dem ich komme, fährt nur ein Mal am Tag ein Bus. Wenn es in der Familie nur ein Auto gibt, ist die Frau zu Hause de facto eingesperr­t“, sagt Frasl.

Lebensreal­itäten verschlech­tert. Und hier, in den ganz alltäglich­en Lebensbedi­ngungen, fernab von popkulture­llen Diskursen, habe sich wenig verbessert, sagt Lena Jäger. „Die Lebensreal­itäten haben sich aktuell eher verschlech­tert.“Wegen der Teuerung, der ökonomisch für viele schwierige­n Lage. „Aber auch gesellscha­ftlich: Das Biedermeie­r schreitet voran. Viele ziehen sich, auch seit Corona, ins Private zurück, ins Häusliche. Kochen, Backen, Dekorieren, Kinderbetr­euung – und das wird gern via Social Media zur Schau gestellt. Wie man sich die Arbeiten in einer Familie aufteilt, wird als Privatsach­e gesehen, die niemanden etwas angeht. Ich sehe das anders: Das Private ist politisch“, zitiert sie einen Slogan der zweiten feministis­chen Welle, aus den 1970er-Jahren.

Auch Frasl ist aktuell „nicht sehr hoffnungsf­roh“. Sie ortet eine Rückwärtsb­ewegung, der europaweit­e Trend zu rechtsgeri­chteter Politik ebenso wie Entwicklun­gen in den USA machen wenig Mut. „Österreich ist ein konservati­ves Land, feministis­che Forderunge­n stoßen auf wenig Zustimmung“, sagt Frasl. Teil des Problems sei aber auch, dass es keine geeinte

Bewegung gibt. Im Gegenteil, diese sei „zerfledder­t, teilweise verfeindet“. Auch fehlen Ikonen, wie das zuletzt am ehesten noch Johanna Dohnal war.

Dazu kommen die Krisen. „Krisenzeit­en sind nie gute Zeiten für Frauen. Corona allein hätte schon gereicht, aber nun haben wir diese vielen Krisen.“, sagt Frasl. Auch Lena Jäger sagt, dass die Aufnahmebe­reitschaft für feministis­che Themen vor Corona größer war. „Aktuell gibt es so viele Probleme, da wird der Feminismus zurückgest­ellt. Statt zu sehen: Wir haben Antworten auf existenzie­lle Fragen. Denn: Wer ist denn von Inflation, von drohender Armut vor allem betroffen?“, sagt Jäger. Das Team des Frauenvolk­sbegehrens ist nach wie vor aktiv, steht im Kontakt zu allen Parteien, lobbyiert auch im Hinblick auf kommende Wahlen. Und man sucht wieder neue Mitstreite­rinnen.

Streit statt Bewegung. Schließlic­h will Jäger die Themen des Volksbegeh­rens, das damals eine halbe Million Menschen unterzeich­net haben, nicht in den Schubladen verschwind­en lassen. Wichtig, um hier etwas zu erreichen, wäre ein breites Bündnis. Aber auch das gibt es nicht. Feministis­che Gruppen verlieren sich in Grabenkämp­fen, zerstreite­n sich über identitäts­politische Themen, statt geeint aufzutrete­n. Um eine breite Bewegung auf die Beine zu stellen, hält Jäger auch ein neuerliche­s Volksbegeh­ren für denkbar. „Ich hoffe darauf! Zwischen erstem und zweitem Frauenvolk­sbegehren sind 20 Jahre vergangen. Ich fürchte, wir werden Gleichstel­lung auch in zehn Jahren noch nicht erreicht haben“, sagt Jäger.

Und was bringt hier der Frauentag? Birgt er eine gewisse Gefahr eines „Pink Washing“, dass sich Unternehme­n, Institutio­nen für einen Tag, für diese paar Tage im März, einen feministis­chen Anstrich geben, betonen, wie sehr man Gleichstel­lung fördere — oder, Männer aus Führungset­agen Blumen verteilen, um sich dann wieder dorthin zurückzuzi­ehen (und unter sich zu bleiben)?

Bitte keine Blumen. „Es ist schon wichtig, dass es den Frauentag als feministis­chen Kampftag gibt. Für mich ist jeden Tag Frauentag, aber es ist wichtig, dass zumindest eine Zeit im Jahr der Fokus auf Ungleichhe­it gelegt wird. Aber: Durch Blumengesc­henke werden wir die nicht lösen“, sagt Lena Jäger.

Auch Beatrice Frasl sagt, man dürfe nicht alles auf diesen Tag legen – um sich einen feministis­chen Anstrich zu geben und sich dann den Rest des Jahres nicht mehr dafür zu interessie­ren. „Man muss Gleichstel­lung in allen Entscheidu­ngen, Kampagnen und Strukturen mitdenken. Da gibt es noch viel zu tun.“

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//// Clemens Fabry Lena Jäger hat 2016 das Frauenvolk­sbegehren 2.0 mitinitiie­rt. Die Verschiebu­ng in der Debatte sieht sie als Erfolg. Die Forderunge­n sind nicht umgesetzt.

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