Viel Pop, wenig Politik: Wie weiblich, wie gleichgestellt ist Wien?
Einfluss und Sichtbarkeit von Frauen in Wien wachsen, aber was bewegt sich in Sachen Gleichstellung tatsächlich? Expertinnen sehen vor dem Frauentag viel Diskurs und Feminismus als einen Trend, auf den viele aufspringen, aber von dem wenig im realen Leben
Heuer sind es wahre Festspiele. In Wien ist der Frauentag erstmals kein Tag, die Stadt hat eine ganze Frauenwoche ausgerufen, Veranstaltungen gibt es so viele wie wohl noch nie um diesen Tag. Und fragt man, aus Anlass dieser Woche, ja, eigentlich Wochen im Frühling, wie es denn mit Gleichstellung, mit Frauenförderung aussieht, etwa in der Stadt Wien, bei den größten privaten Arbeitgebern, bei diversen Institutionen, Organisationen dieser Stadt, dann scheint es, als sei längst alles klar.
Es geht voran. Keine Organisation, und seien es noch so männerdominierte Bereiche wie Bau oder Industrie, bei den ÖBB genauso wie bei der Voest, die sich nicht der Gleichstellung verschreibt. Die nicht Diversity-Strategien, Zielsetzungen für Frauenanteile generell, für Frauen in Führungsfunktionen oder zur Nachwuchsförderung vorlegt. Und Zahlen, die zeigen sollen, wie Frauenquoten doch steigen.
Frauen werden sichtbarer, sie sind besser repräsentiert, sie rücken vor, in Leitungsfunktionen, in Top-Jobs, an die Spitze der Macht, in führende Rollen im Kulturbetrieb. Gleichstellung ist noch keine hergestellt, klar, aber selbst in Männerdomänen bewegt sich einiges.
Oberflächlich scheint alles klar. Aber auch, wenn Unternehmen, politische Institutionen usw. ringsum betonen, was man in Sachen Gleichstellung erreicht habe: Wie ungleich Arbeit, Geld und Macht tatsächlich verteilt sind, das zeigt etwa der Wiener Gleichstellungsmonitor. Politisch sind Frauen in Wien unterrepräsentiert, auch wenn der Frauenanteil in den vergangenen Jahrzehnten deutlich zugenommen hat, in Interessenvertretungen sieht es genauso aus. Auch bezahlte Arbeit ist ungleich verteilt: Wienerinnen arbeiten im Schnitt 34 Stunden, Wiener 39 Wochenstunden bezahlt. Hausarbeit und Kinderbetreuung sind indes in rund 40 Prozent der Wiener Paarhaushalte überwiegend Frauensache.
Was bewegt sich tatsächlich in Sachen Gleichstellung? Wächst der Einfluss? Wie steht es um Sexismus, Diskriminierung, Selbstbestimmung, ungleiche Verteilung von Geld, Macht, Arbeit? Geht es wirklich nur voran?
„Wir sehen ein Auf und Ab und ein Auf-der-Stelle-Treten“, sagt Lena Jäger. Sie ist eine der prominentesten feministischen Stimmen Wiens. Jäger war eine der Initiatorinnen des Frauenvolksbegehrens, ist nach wie vor Sprecherin des Vereins Frauenvolksbegehren 2.0 – Verein für Frauen und Gleichstellungspolitik (und leitet hauptberuflich heute den Bereich Kommunikation im Sozial- und Gesundheitsministerium) — und: Sie ist heute etwas ernüchtert.
Alles gescheitert? Frauenquoten auf Wahllisten oder in diversen Gremien, Lohntransparenz, Maßnahmen gegen Einkommensunterschiede bei gleicher Arbeit, Arbeitszeitverkürzung, Rechtsanspruch auf Kinderbetreuung, geschlechtersensible Ausbildung von Pädagogen und Pädagoginnen,
Beratungsstellen für Jugendliche zu Sexualität und so weiter. Die Liste der Forderungen war lang — umgesetzt ist davon nichts.
„Vor 40 Jahren ist in Sachen Feminismus wirklich etwas weitergegangen“, sagt Lena Jäger. Heute werde zwar viel über Gleichstellung gesprochen, umgesetzt werde aber wenig.
„Wir haben den Diskurs angestoßen, das ist der Erfolg. In Österreich ist die Idee angekommen: Feminismus ist die beste Gesellschaftsform. Nur eine gleichgestellte Gesellschaft ist eine gute Gesellschaft für alle, in der es allen am besten geht, auch Männern, denen es ja auch nicht gut damit geht, dass sie keine Zeit für die Familie haben. Geld, Arbeit und Macht müssen geteilt werden.“
Dem wird, zumindest ist oberflächlich die Wahrnehmung so, kaum jemand offen widersprechen. Schließlich ist Feminismus Trend, die Repräsentanz von Frauen wächst, besonders auch kulturell.
Alles Barbie und Taylor? „Wir haben eine große Diskrepanz zwischen der kulturellen Debatte und der politischen Realität. Gerade im Kulturbereich gibt es international eine Dominanz von Frauen, Taylor Swift, Miley Cyrus, Beyoncé, der Barbie-Film, es sieht aus, als ob Frauen gerade alles dominieren. Dabei stehen dahinter Männer, es ist noch ein männerdominiertes Business. Daran sieht man: An realen Machtverhältnissen ändert sich nichts“, sagt Beatrice Frasl. Die Kulturwissenschaftlerin ist Podcasterin („Große Töchter“) und Autorin („Patriarchale Belastungsstörung. Geschlecht, Klasse und Psyche“). Und sie beobachtet ein „starkes feministisches Moment in der Popkultur, wir sehen aber eine Wirkungslosigkeit im politischen Bereich“, so Frasl.
Das sei auch ein Problem. Denn der popkulturelle Feminismus vermittle, „wir haben eh schon so viel erreicht, dass wir schon total gleichberechtigt sind, und es entsteht eine Stimmung: Es braucht gar keinen politischen Kampf mehr“, sagt Frasl. Vor allem junge Frauen hätten oft diesen Eindruck – bis, beim Berufseinstieg oder spätestens, wenn sie Kinder bekommen, klar wird, dass dem doch nicht ganz so ist. Und dann sind es die alten Themen, bei denen eine große Ungleichheit deutlich wird. „Wir fordern das Gleiche wie die in den 1970er-Jahren“, sagt Frasl.
Es gehe um eine gerechte Verteilung von Macht, Geld und Arbeit, sagt Jäger. Oder darum, Armut zu bekämpfen, indem etwa weiblich konnotierte Arbeit, von Pflege bis Erziehung, ordentlich bezahlt wird, es gehe um echte Wahlfreiheit, was Kinderbetreuung und Berufstätigkeit betrifft, um reproduktive Selbstbestimmung und um ein Verhindern von Gewalt, so Jäger. Die Punkte, in denen seit Jahrzehnten Handeln gefordert wird. „Aber von der Politik hören wir nur, wie schwierig alles ist. Aus unserer Sicht gehört das in alle Programme der Parteien, wir wollen nichts weniger als ein gutes Leben für alle.“
Abhängigkeit schafft Opfer. „Zentral sind alle Forderungen, bei denen es um ökonomische Diskriminierung geht“, sagt Frasl. Gender Pay Gap, Gender Pension Gap, „alles, was heißt, dass Frauen weniger Geld zur Verfügung haben, ist der Dreh- und Angelpunkt. Das hängt mit Abhängigkeit, mit Gewalt in der Partnerschaft zusammen, mit Armut von Frauen und Altersarmut“, sagt Frasl und verweist etwa auf die zentrale Forderung nach Lohntransparenz.
Viel diskutierte Themen, wie jüngst wieder Gewalt mit den Femiziden als Spitze eines Eisbergs, hätten ihre Wurzeln im Patriarchat, in der Ungleichheit der Geschlechter, in tradierten Geschlechterrollen: Männer müssten stark sein, Dominanz zeigen, keine Schwäche oder Gefühle zeigen. „Wir brauchen wirksame Maßnahmen gegen Gewalt, nicht erst, wenn wir von Femiziden sprechen. Geschlechtergerechtigkeit fängt bei der Erziehung an, wenn Buben eine neue Männlichkeit, neue Rollenbilder im Kindergarten, in der Schule lernen“, sagt Frasl.
Gleichstellung und Gewalt. „Wir brauchen hier dringend Maßnahmen zur Bekämpfung von Gewalt auf allen Ebenen. Wir sind eigentlich in einer Notsituation. Aber weil es Frauen betrifft, ist das so eine Normalität. Das ist total inakzeptabel“, spricht Frasl das Thema an, das heuer, auch wegen der erschreckenden Häufung von Femiziden zuletzt, um den Frauentag vieles überlagert.
Gewalt? »Wir sind in einer Notsituation. Aber weil es Frauen betrifft,
Das Thema der Gleichstellung lässt sich nicht vom Thema der Gewalt trennen, darauf verweisen Expertinnen dazu immer wieder. So individuell, so unterschiedlich die Fälle sind, so individuell die Verantwortung der jeweiligen Täter ist, sind es doch gesellschaftliche Strukturen, Abhängigkeiten und Vorstellungen darüber, wie Männer, wie Frauen zu sein haben, die dahinterstehen. Dominanz, Machtstreben des Mannes, die Frau als Objekt, über das verfügt werden kann. Entzieht sich die Frau, verliert der Mann Status, seine Macht, wenn die Frau sich trennt, sich trennen will, sind das die gefährlichsten Situationen, in denen Gewalt am häufigsten völlig eskaliert.
Wenn es um Prävention von Gewalt, letztlich von Femiziden geht, greifen viele Themen ineinander, von Kinderbetreuung bis öffentlicher Verkehr bis
Inflation. „Es geht um ökonomische Realitäten: Wer Kinderbetreuungsangebote hat, kann arbeiten, ist finanziell selbstständig und kann sich in einer Gewaltbeziehung trennen“, so Frasl. Wer das nicht ist, keine Wohnung findet, weil diese zu teuer sind, muss gegebenenfalls
»Wir sehen ein Auf und Ab und ein Auf-der-Stelle-Treten. Dass sich etwas bewegt, ist lang her.«
Wir haben popkulturell ein starkes feministisches Moment. Sehen aber eine Wirkungslosigkeit im politischen Bereich. BEATRICE FRASL Autorin, Podcasterin ist das Normalität.« »Krisenzeiten sind nie gute Zeiten für Frauen. Corona allein hätte eigentlich schon gereicht.«
mit einem Gewalttäter ausharren, während die Gewalt in der Regel mit der Zeit mehr wird, eskaliert. Da würden auch Dinge wie eine Anbindung an den öffentlichen Verkehr zur feministischen Forderung. „In dem Dorf in Niederösterreich aus dem ich komme, fährt nur ein Mal am Tag ein Bus. Wenn es in der Familie nur ein Auto gibt, ist die Frau zu Hause de facto eingesperrt“, sagt Frasl.
Lebensrealitäten verschlechtert. Und hier, in den ganz alltäglichen Lebensbedingungen, fernab von popkulturellen Diskursen, habe sich wenig verbessert, sagt Lena Jäger. „Die Lebensrealitäten haben sich aktuell eher verschlechtert.“Wegen der Teuerung, der ökonomisch für viele schwierigen Lage. „Aber auch gesellschaftlich: Das Biedermeier schreitet voran. Viele ziehen sich, auch seit Corona, ins Private zurück, ins Häusliche. Kochen, Backen, Dekorieren, Kinderbetreuung – und das wird gern via Social Media zur Schau gestellt. Wie man sich die Arbeiten in einer Familie aufteilt, wird als Privatsache gesehen, die niemanden etwas angeht. Ich sehe das anders: Das Private ist politisch“, zitiert sie einen Slogan der zweiten feministischen Welle, aus den 1970er-Jahren.
Auch Frasl ist aktuell „nicht sehr hoffnungsfroh“. Sie ortet eine Rückwärtsbewegung, der europaweite Trend zu rechtsgerichteter Politik ebenso wie Entwicklungen in den USA machen wenig Mut. „Österreich ist ein konservatives Land, feministische Forderungen stoßen auf wenig Zustimmung“, sagt Frasl. Teil des Problems sei aber auch, dass es keine geeinte
Bewegung gibt. Im Gegenteil, diese sei „zerfleddert, teilweise verfeindet“. Auch fehlen Ikonen, wie das zuletzt am ehesten noch Johanna Dohnal war.
Dazu kommen die Krisen. „Krisenzeiten sind nie gute Zeiten für Frauen. Corona allein hätte schon gereicht, aber nun haben wir diese vielen Krisen.“, sagt Frasl. Auch Lena Jäger sagt, dass die Aufnahmebereitschaft für feministische Themen vor Corona größer war. „Aktuell gibt es so viele Probleme, da wird der Feminismus zurückgestellt. Statt zu sehen: Wir haben Antworten auf existenzielle Fragen. Denn: Wer ist denn von Inflation, von drohender Armut vor allem betroffen?“, sagt Jäger. Das Team des Frauenvolksbegehrens ist nach wie vor aktiv, steht im Kontakt zu allen Parteien, lobbyiert auch im Hinblick auf kommende Wahlen. Und man sucht wieder neue Mitstreiterinnen.
Streit statt Bewegung. Schließlich will Jäger die Themen des Volksbegehrens, das damals eine halbe Million Menschen unterzeichnet haben, nicht in den Schubladen verschwinden lassen. Wichtig, um hier etwas zu erreichen, wäre ein breites Bündnis. Aber auch das gibt es nicht. Feministische Gruppen verlieren sich in Grabenkämpfen, zerstreiten sich über identitätspolitische Themen, statt geeint aufzutreten. Um eine breite Bewegung auf die Beine zu stellen, hält Jäger auch ein neuerliches Volksbegehren für denkbar. „Ich hoffe darauf! Zwischen erstem und zweitem Frauenvolksbegehren sind 20 Jahre vergangen. Ich fürchte, wir werden Gleichstellung auch in zehn Jahren noch nicht erreicht haben“, sagt Jäger.
Und was bringt hier der Frauentag? Birgt er eine gewisse Gefahr eines „Pink Washing“, dass sich Unternehmen, Institutionen für einen Tag, für diese paar Tage im März, einen feministischen Anstrich geben, betonen, wie sehr man Gleichstellung fördere — oder, Männer aus Führungsetagen Blumen verteilen, um sich dann wieder dorthin zurückzuziehen (und unter sich zu bleiben)?
Bitte keine Blumen. „Es ist schon wichtig, dass es den Frauentag als feministischen Kampftag gibt. Für mich ist jeden Tag Frauentag, aber es ist wichtig, dass zumindest eine Zeit im Jahr der Fokus auf Ungleichheit gelegt wird. Aber: Durch Blumengeschenke werden wir die nicht lösen“, sagt Lena Jäger.
Auch Beatrice Frasl sagt, man dürfe nicht alles auf diesen Tag legen – um sich einen feministischen Anstrich zu geben und sich dann den Rest des Jahres nicht mehr dafür zu interessieren. „Man muss Gleichstellung in allen Entscheidungen, Kampagnen und Strukturen mitdenken. Da gibt es noch viel zu tun.“