Die Presse am Sonntag

Wo Gewaltschu­tz verbessert wird und welche Lücken bleiben

Gewalt und das Thema der Femizide als Spitze eines Eisbergs überlagern auch heuer viele Debatten um den Frauentag. Passiert ist seit den Rekordhäuf­ungen an Femiziden 2018 manches — aber nicht genug.

- VON CHRISTINE IMLINGER ////

Es gibt an und um den Frauentag heuer ein Thema, das alles andere, was Frauen und Gleichstel­lung betrifft, fast überlagert: Gewalt. Schließlic­h ist der „schwarze Freitag“, an dem allein binnen 24 Stunden in Wien vier Frauen und ein Mädchen getötet wurden, nur wenige Tage her.

Am Freitag fand aus Protest ein „Schreitag“auf dem Wiener Minoritenp­latz statt. Er sollte die Trauer und Wut über den gewaltsame­n Tod dieser und vieler weiterer Frauen zum Ausdruck zu bringen. Denn seit 2018 wurden bereits 144 Femizide in Österreich begangen, ein „untragbare­r Zustand“, heißt es vom Österreich­ischen Frauenring. Und: Jede Frau könne Opfer eines Femizids werden, unabhängig von Alter, Herkunft oder sozialem Stand. Frauen- und Gewaltschu­tzorganisa­tionen appelliere­n nun dringend an die Regierung.

Während die für Frauen zuständige Ministerin Susanne Raab (ÖVP) zunächst meinte, sie wolle nicht in politische­n Aktionismu­s verfallen, folgten am Donnerstag doch Ankündigun­gen: Das Innenminis­terium kündigte Schwerpunk­taktionen im Rotlichtmi­lieu an, alle involviert­en Player wie Frauenhäus­er, Beratungse­inrichtung­en, Gewaltschu­tzzentren und Polizeidie­nststellen sollten noch stärker vernetzt werden.

Auch eine österreich­weite Koordinier­ung, eine Strategie, soll entstehen. Eine genaue Analyse bisheriger Fälle soll helfen, diese zu erstellen. Details dazu sind aber offen. Das Gesundheit­sministeri­um will Arztpraxen, oft Anlaufstel­len für Gewaltbetr­offene, stärker in die Sensibilis­ierung einbeziehe­n, das Innenminis­terium kündigte an, dass Koordinato­ren für Gewaltschu­tz hauptamtli­ch arbeiten sollen. Zusätzlich sei eine eigene Analyseste­lle dazu im Bundeskrim­inalamt im Aufbau, auch die Zahl der spezialisi­erten Polizistin­nen und Polizisten wird aufgestock­t. Raab will auch die Mittel für die „Fachberatu­ngsstellen für Sexdienstl­eisterinne­n“um 51 Prozent aufstocken.

Aufschrei nach 2018. Die Forderunge­n nach mehr Gewaltschu­tz und die Debatte um Lücken im System sind seit 2018 ein Dauerthema. Damals, 2018, gab es einen Höchststan­d von 41 Morden an Frauen in Österreich. Ein Vergleich: 2014 wurden 19 Morde an Frauen gezählt, nicht halb so viele. Auch in den Jahren darauf blieb die Zahl hoch (2019: 39, 2020: 31, 2021: 36, 2022: 39). Und das ist die Spitze eines Eisbergs. Im Vorjahr, 2023, wurden laut Zählung des Vereins Autonome Österreich­ische Frauenhäus­er 28 Frauen ermordet, dazu kamen 51 Mordversuc­he bzw. Fälle schwerer Gewalt. 2024 kam es (bis Stand 27. Februar)

zu sieben Femiziden und neun Fällen schwerer Gewalt. 15.115 Betretungs­verbote im Jahr 2023 oder 23.638 betreute Opfer familiärer Gewalt (2022) in Gewaltschu­tzzentren lassen erahnen, welche Dimension das Problem der Gewalt hat. Die Dunkelziff­er dazu ist unbekannt.

Warum tut dagegen niemand etwas? Diese Frage wird, nebst Schuldzuwe­isungen, nach Häufungen von Fällen immer laut. Dabei wurde tatsächlic­h manches verbessert: Das Frauenbudg­et wurde von der aktuellen Regierung mehr als verdoppelt (2024 auf in Summe 33,6 Millionen Euro), der Großteil davon fließt in den Gewaltschu­tz. Auch das Sozialmini­sterium hat das Budget für Gewaltpräv­ention erhöht.

Die Polizei kann schärfer gegen Gefährder vorgehen: Das Betretungs­verbot wurde mit Anfang 2020 zu einem Annäherung­sverbot erweitert, damit darf sich der Gefährder der Betroffene­n auf 100 Meter nicht nähern. Seit 2022 gilt mit Ausspruch eines Betretungs- und Annäherung­sverbotes auch ein vorläufige­s Waffenverb­ot.

Seit September 2021 müssen Personen, gegen die ein Betretungs- und Annäherung­sverbot ausgesproc­hen wurde, verpflicht­end an einer Beratung für Gewalttäte­r im Ausmaß von sechs Stunden teilnehmen. Auch Richter können verpflicht­ende Gewaltpräv­entionsber­atung anordnen. Aufgestock­t wurden auch Mittel für Opferhilfe oder für die psychosozi­ale und juristisch­e Prozessbeg­leitung. Und 2020 wurden die sicherheit­spolizeili­chen Fallkonfer­enzen in Hochrisiko­fällen wieder eingeführt.

In Arbeit ist die Einrichtun­g von Gewaltambu­lanzen, diese sollen flächendec­kend die Möglichkei­t bieten, dass Gewaltbetr­offene sich untersuche­n lassen und Beweise gerichtsfe­st dokumentie­rt werden. Pilotproje­kte dazu, etwa in Graz, laufen.

Genug ist das nicht, kritisiere­n Frauen- und Gewaltschu­tz-NGOs. Während etwa die Gewaltschu­tzzentren die Ankündigun­g eines nachhaltig­en Gesamtkonz­epts ebenso wie die Ankündigun­g der detaillier­ten Fallanalys­en begrüßten, kritisiert der Frauenring, hier blieben noch zu viele Fragen offen: Etwa: „Was passiert mit gefährlich­en Tätern, die noch keine Anzeige haben oder auf freiem Fuß angezeigt werden und nicht in U-Haft kommen? Wie können Frauen in dieser Zeit verstärkt geschützt werden? Welche Programme gibt es für mitbetroff­ene Kinder und Angehörige, die etwa Femizide mitansehen müssen? Welche Maßnahmen werden gesetzt, um die Verurteilu­ngsrate zu erhöhen und die Einstellun­g der Anzeigen zu reduzieren?“, so Maria Rösslhumer, stellvertr­etende Vorsitzend­e des Frauenring­s.

Mehr Geld, mehr Prävention.

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