Die Rothschilds in Wien – was blieb?
Sie gründeten die erste Aktiengesellschaft der Monarchie, finanzierten wichtige Infrastruktur und förderten das europäische Bankwesen. Wie kam es dazu? Und was ist von ihnen hierzulande heute noch übrig?
Es waren einige Jahrzehnte vergangen, bis der berühmte Name, der eng mit der österreichischen Geschichte des 19. Jahrhunderts verknüpft ist, wieder in den Wiener Straßen gefunden werden konnte. Erst 2016 wurde am Gelände des ehemaligen Nordbahnhofes der Rothschildplatz nach der Bankiersfamilie benannt.
Den Anstoß dazu lieferte die heute dort beheimatete UniCredit/Bank Austria, denn ihre Ursprünge sind eng mit der Geschichte der Creditanstalt verbunden – und die wiederum wurde 1855 von Anselm Salomon von Rothschild gegründet. Er war der Sohn des Begründers der Wiener Linie der Bankiersdynastie, die ihre Geschicke im Umgang mit Geld auch in Paris, London, Neapel und am Ursprungsort der Familie, in Frankfurt, pflegte. Die wirtschaftliche Bedeutung hat sich im Laufe der Jahrhunderte auf den britischen Zweig reduziert. Diese Woche verstarb in London einer der großen Bankiers dieser Linie, Jacob Rothschild, im Alter von 87 Jahren.
Gute Geschäfte. Doch zurück zum Wiener Zweig und zur Gründung der Creditanstalt 1855: Damals wurde der Aristokratie die Bedeutung einer eigenen Aktienbank im Europa der Monarchien bewusst. Verschiedene Adelige – darunter die Fürsten von Schwarzenberg und Auersperg mit Unterstützung des damaligen Finanzministers Karl Ludwig von Bruck – schlossen sich zu einem Konsortium unter Federführung von Anselm Rothschild zusammen und gründeten die „Credit-Anstalt für Handel und Gewerbe“(CA) mit dem „unglaublich hohen Grundkapital von 50 Millionen Gulden“, sagt Historiker Roman Sandgruber, der ein Werk über die Rothschilds in Wien verfasst hat, zur „Presse am Sonntag“. „Im Vergleich war das Grundkapital der damals zweitgrößten Bank nur fünf Millionen Gulden.“
Historische Briefwechsel zeugen von den Hürden: „Les intrigues sont indescribles“(Die Intrigen sind unbeschreiblich), wie Anselm Rothschild an seinen Pariser Onkel schrieb. Anselm hatte es geschafft, sich neben anderen europäischen Bankhäusern und trotz der unterschiedlichen Interessen des Adels und der Staatsbeamten durchzusetzen. Sein Rezept? „Er hat keine Fehler gemacht, selbst den Börsencrash von 1873 hat die Creditanstalt sehr gut überstanden. Auch das familieninterne internationale Netzwerk, wusste er gut zu nutzen“, so Sandgruber.
In weiterer Folge schienen die finanziellen Mittel für große Investitionen grenzenlos, zumal die Familie Rothschild auch ihr eigenes Bankinstitut führte, die vom Gründer der Wiener Dynastie eröffnete Salomon Mayer von Rothschild Privatbank (S. M. v. R.). Sie machten Geschäfte mit zahlreichen europäischen Adelshäusern und investierten in den Bau der Eisenbahn. Der anfangs erwähnte Nordbahnhof wurde auch Rothschild-Bahnhof genannt und galt als der prächtigste der Monarchie. Als Anselms Sohn Albert das Bankimperium übernahm, wurde die CA zur größten Bank Österreich-Ungarns. Anfang des 20. Jahrhunderts galt er „als reichster Mann Europas“, so Sandgruber. Auch den ersten Weltkrieg überstanden die Rothschilds mit den Einnahmen aus ihren Bankgeschäften und der CA „hervorragend“, denn „zahlreiche Beteiligungen an für den Krieg wichtigen Industrien wie Stahlwerken, Schiffswerften etc.“ließen das Vermögen weiter wachsen.
Erst mit dem Zerfall der Monarchie wurde das Imperium schrittweise geschwächt. Die Zwischenkriegszeit war von der Spekulationskrise geprägt, zahlreiche kleine Banken verschwanden von der Bildfläche. „Die CA war eine der wenigen, die noch über finanzielle Mittel verfügte“, so Sandgruber. Kurz nachdem der letzte Rothschild, Louis Nathaniel, 1929 vom Staat Österreich gezwungen wurde, die Bodencreditanstalt zu übernehmen, kam es zur Weltwirtschaftskrise. Diese besiegelte das vorläufige Ende der CA, sie wurde zahlungsunfähig. 1934 kam es zur Fusion mit anderen Banken und zur Verstaatlichung. Rothschild blieb Aktionär.
Enteignung. Louis Nathaniel Rothschild war während der Übernahme durch die Nationalsozialisten 1938 laut Sandgruber „sicher noch der reichste Österreicher“. Er und seine noch lebenden drei Geschwister besaßen Kunstsammlungen von unschätzbarem Wert, zahlreiche der schönsten Palais der Stadt, Gärten und Ländereien. Er wurde 1938 von den Nationalsozialisten gefangen genommen und saß für 14 Monate in Isolationshaft. Der Großteil der Familienbesitztümer wurde enteignet und nur ein geringer Teil später restituiert. Nach der Haft verließ er Österreich, kam aber ab Kriegsende für Besuche zurück. Das prunkvolle Familienpalais in der PrinzEugen-Straße, nach dem Krieg im Besitz der Arbeiterkammer, wurde just am Tag seines Ablebens gesprengt. Er wollte in Wien begraben werden. Die letzten Besitztümer der Wiener Rothschilds in Niederösterreich wurden 2019 verkauft – an die Familie Prinzhorn.