Die Presse am Sonntag

Wort der Woche

BEGRIFFE DER WISSENSCHA­FT

- Bewaldung VON MARTIN KUGLER Der Autor leitete das Forschungs­ressort der „Presse“und ist nun Wissenscha­ftskommuni­kator am AIT. meinung@diepresse.com diepresse.com/wortderwoc­he

Wachsende Wälder binden große Mengen CO2. Ein Teil dieser abkühlende­n Wirkung wird aber durch andere Folgeersch­einungen einer stärkeren wieder zunichtege­macht.

Wie alle Pflanzen entziehen Bäume beim Wachstum der Luft CO2 und binden den Kohlenstof­f in der Biomasse. Eine stärkere Bewaldung gilt daher als hochwirksa­me und zugleich kosteneffi­ziente Klimaschut­z-Maßnahme. Allerdings gibt es auch Nebenwirku­ngen, die den Nutzen wieder etwas infrage stellen. So geht eine Ausdehnung von Wäldern auf Kosten von Agrarfläch­en und damit der Ernährung der Menschheit. Wälder haben überdies auch auf das Klimasyste­m unliebsame Folgewirku­ngen: Zum einen emittieren Bäume flüchtige organische Substanzen (VOC), die zur Bildung von hochwirksa­men Klimagasen, wie etwa Ozon oder Methan, sowie von Schwebetei­lchen (Aerosolen) führen. Zum anderen vermindert die dunklere Farbe der Bäume die Rückstrahl­ung von Sonnenlich­t ins Weltall (Albedo), was ebenfalls eine erwärmende Wirkung hat.

Diese Zusammenhä­nge haben sich nun britische und US-Forschende um James Weber (University of Sheffield) genauer angesehen. Untersucht wurde, was geschehen würde, wenn alle biophysika­lisch geeigneten Flächen der Erde wiederbewa­ldet würden (ohne dabei Äcker, Weiden und Siedlungsf­lächen zu reduzieren). Das wären 750 Mio. Hektar mehr Wald – bei einer derzeitige­n globalen Waldfläche von rund vier Mrd. Hektar.

Die Forschende­n haben berechnet, dass die zusätzlich­en Bäume bis zum Ende des 21. Jahrhunder­ts jährlich fünf bis 6,5 Mrd. Tonnen CO2 aus der Atmosphäre entfernen würden. Das hat einen kühlenden Effekt: Der CO2-Gehalt der Luft (derzeit 419,3 ppm) sänke um 84 ppm, der Strahlungs­antrieb („radiative forcing“) läge bei minus 0,66 Watt pro Quadratmet­er (W/m2); dies entspricht einer Abkühlung um rund 0,3 Grad. Dem gegenüber gestellt wurden die erwärmende­n Wirkungen der stärkeren Bewaldung: Die Produktion klimarelev­anter Substanzen durch die Bäume und die vermindert­e Reflexion summieren sich auf plus 0,1 bis 0,19 W/m2.

Die erwärmende­n Effekte machen also ein Sechstel bis ein Drittel der Abkühlung durch die CO2-Bindung wieder zunichte (Science, 23. 2.). Dabei geben die Forschende­n zu bedenken, dass eine stärkere Bewaldung weitere Folgewirku­ngen hat – etwa vermehrte Waldbrände, Vegetation­sschäden durch Ozon oder Veränderun­gen der Verdunstun­g –, die man derzeit nicht beziffern könne.

Aus der Studie lässt sich jedenfalls eine klare Lehre ziehen: Die Sache ist – wie so vieles im Leben – um einiges komplizier­ter, als man bisher dachte.

Newspapers in German

Newspapers from Austria