Arktisches Meisterstück auf zwei Rädern
Fällt in der schwedischen Wildnis der Startschuss zum Lapland Arctic Ultra, ist Florian Reiterberger wieder mit dabei. Der Bayer weiß, wie man 500 Kilometer am eiskalten Polar überlebt und am Ende auch gewinnt.
Florian Reiterberger stoppt möglichst unauffällig neben einem Baum, nur keine allzu schnellen Bewegungen, mit so einer Elchkuh in freier Wildbahn ist schließlich nicht zu spaßen. Zumal völlig klar ist, dass er es ist, der sich in ihrem Revier herumtreibt. Sollte auch noch ein Kalb in der Nähe sein, kann es ohnehin brenzlig werden. Sein Gedanke: „Die hört erst dann auf, wenn sie der Meinung ist, dass du jetzt genug hast, und dann bist du eigentlich Matsch.“
So wartet Reiterberger gut eine Viertelstunde bei diesem Waldstück am Polarkreis, bis sich die Situation irgendwann hoffentlich von selbst auflöst. „Irgendwann hat dann die Erde zu beben angefangen, und 40 oder 50 Elche und Elchkühe samt Kälbern sind in einer Herde über den Trail gestapft. Da stehst du nur da und denkst dir: Der pure Wahnsinn, die pure Wildnis. Da wird dir auch wieder klar, wie klein der Mensch auf dieser Welt ist.“
Reiterberger, 44-jähriger Radsportler und Abenteurer vom Chiemsee, erinnert sich an diese eindrückliche Episode vom Lapland Arctic Ultra vor zwei Jahren, einem 500-km-Radrennen auf Snowmobil-Trails rund um das Dorf Överkalix im eiskalten Nordschweden, das er am Ende auch gewann. Ab heute nimmt er bei der diesjährigen Auflage den nächsten Anlauf bei diesem ultimativen Test für Körper, Material und wie so oft vor allem für den Kopf.
Was auffällt: So gern und bildhaft und einnehmend der Bayer von diesem und anderen Kälte-Abenteuern auf seinem Spezialbike auch erzählt, so bereitwillig begibt er sich in die Einsamkeit eines solchen Unterfangens. „Bei mir ist es so, dass ich eigentlich ganz froh bin, wenn ich niemanden sehe. Ich habe daheim viel mit Leuten zu tun, da bin ich einmal froh, wenn ich radfahren kann und nichts reden muss“, sagt er. Was dieser Tage sonst noch auf den gelernten Elektriker und ehemaligen Bergrettungssoldaten wartet außer der völligen Abgeschiedenheit : viel Finsternis, Temperaturen um minus 35 Grad Celsius und nur zwei Stunden Schlaf am Tag. „Ich fahre einfach, so lang ich will, dann baue ich mir schnell einen Biwaksack, schlafe kurz und fahre weiter. Ich bin ja da oben zum Radlfahren.“
Um das alles auch zu überleben, bedarf es neben entsprechenden radfahrerischen Fähigkeiten vor allem eines gutes Kälte-Managements. „Man muss unterscheiden“, erklärt Reiterberger, „unsere mitteleuropäische Kälte ist eine feuchte Kälte, dort oben herrscht eine trockene Kälte. Da fühlen sich minus 20 Grad an wie bei uns minus acht. Somit ist das nicht so schlimm, wie es sich anhört. Aber trotzdem: Minus 20 Grad sind minus 20 Grad, das ist auch klar.“
Und hier lauert die Gefahr. „Wenn du dich mit den Temperaturen nicht auseinandersetzt, kann das ganz schnell nach hinten losegehen. Irgendwann hast du das Gefühl nicht mehr, ob das jetzt minus 20 oder minus 30 Grad sind. Wenn ich dann meine Handschuhe nicht gewechselt habe oder eine zu dünne Jacke anhabe, kann es zu Erfrierungen kommen. Ich habe immer mein Kühlschrankthermometer dabei, damit ich sehe, wie kalt es tatsächlich ist. Ich habe dann meinen Plan, welche Ausrüstung für welche Temperatur reicht. Daran halte ich mich dann strikt, weil du es selbst nicht mehr spürst.“
Auch bestens vorbereitet, mit Erfahrung und entscheidenden Tricks, sind es die Unwägbarkeiten, die den Lapland Arctic Ultra zum Prüfstein werden lassen. „Bei meiner ersten Arctic Ultra Tour bin ich auf dem Yukon River (in Kanada, Anm.) in einer frischen EisÜberflutung mit beiden Füßen durchgebrochen, als ich das Rad geschoben habe. In dem Moment habe ich gemerkt, wie sehr die Kälte in mich hineinmarschiert. Ich habe realisiert, dass ich mitten im Nirgendwo zwischen zwei
Checkpoints bin, es ist stockfinster und ich weiß, wenn ich jetzt externe Hilfe brauche, vergehen mindestens 24 Stunden, bis mich jemand erreicht. Dann merkst du, dass jede Frage, die du für dich beantwortest, wieder Folgefragen aufwirft. Bleibe ich vor Ort? Komme ich weiter? Brauche ich Hilfe? Wie schaffe ich es bis zum nächsten Morgen?“Am Ende hat Reiterberger auch dieses Rennen gewonnen.
»Irgendwann hast du das Gefühl nicht mehr, ob das jetzt minus 20 oder minus 30 Grad sind.«
Ein Imbus reicht. Am schwedischen Polarkreis wird er für die 500 Kilometer nun fünf bis acht Tage unterwegs sein. Je durchgefrorener der Trail, desto besser. Bei idealen Verhältnissen wäre alles auch in drei Tagen möglich, meint er. „Aber in dem Moment, in den es warm wird oder zu schneien anfängt, geht nicht mehr viel weiter. 2022 habe ich mein Rad auch über 50 Kilometer geschoben, weil der Trail zu weich war.“
Idealerweise aber sitzt er im Sattel seines Maxx-Fatbikes, von Reiterberger, der selbst eine kleine Fahrradwerkstatt betreibt, bis minus 50 Grad fahrbar gemacht. „Ich bearbeite die Züge und die Bremsen, die hydraulischen funktionieren nicht mehr bei solchen Temperaturen. Du musst wahnsinnig ins Detail gehen und die Technik so einfach wie möglich halten. Ich habe es geschafft, dass mein Rad nur mit einer Imbusgröße zusammengeschraubt ist.“Ein klassischer Patschen passiere eher selten. „Aber du musst das Handling draufhaben, dass du ihn bei minus 40 Grad flicken kannst. Sonst schiebst du.“
Warum das Ganze? Lange Radrennen gibt es schließlich auch in wärmeren Gefilden. Doch die kennt Reiterberger praktisch alle, irgendwann gab es nicht mehr viel Neues. Also warf er sich in die Kälte, traf dabei, wie er sagt, einzigartige Persönlichkeiten und sah fassungslos Elchherden durch eine der letzten großen Wildnisse Europas ziehen. „Seither bin ich einfach angefixt. So, dass ich ab und zu merke: Ich muss jetzt in die kalte Wildnis.“