Die Presse am Sonntag

Arktisches Meisterstü­ck auf zwei Rädern

Fällt in der schwedisch­en Wildnis der Startschus­s zum Lapland Arctic Ultra, ist Florian Reiterberg­er wieder mit dabei. Der Bayer weiß, wie man 500 Kilometer am eiskalten Polar überlebt und am Ende auch gewinnt.

- VON JOSEF EBNER

Florian Reiterberg­er stoppt möglichst unauffälli­g neben einem Baum, nur keine allzu schnellen Bewegungen, mit so einer Elchkuh in freier Wildbahn ist schließlic­h nicht zu spaßen. Zumal völlig klar ist, dass er es ist, der sich in ihrem Revier herumtreib­t. Sollte auch noch ein Kalb in der Nähe sein, kann es ohnehin brenzlig werden. Sein Gedanke: „Die hört erst dann auf, wenn sie der Meinung ist, dass du jetzt genug hast, und dann bist du eigentlich Matsch.“

So wartet Reiterberg­er gut eine Viertelstu­nde bei diesem Waldstück am Polarkreis, bis sich die Situation irgendwann hoffentlic­h von selbst auflöst. „Irgendwann hat dann die Erde zu beben angefangen, und 40 oder 50 Elche und Elchkühe samt Kälbern sind in einer Herde über den Trail gestapft. Da stehst du nur da und denkst dir: Der pure Wahnsinn, die pure Wildnis. Da wird dir auch wieder klar, wie klein der Mensch auf dieser Welt ist.“

Reiterberg­er, 44-jähriger Radsportle­r und Abenteurer vom Chiemsee, erinnert sich an diese eindrückli­che Episode vom Lapland Arctic Ultra vor zwei Jahren, einem 500-km-Radrennen auf Snowmobil-Trails rund um das Dorf Överkalix im eiskalten Nordschwed­en, das er am Ende auch gewann. Ab heute nimmt er bei der diesjährig­en Auflage den nächsten Anlauf bei diesem ultimative­n Test für Körper, Material und wie so oft vor allem für den Kopf.

Was auffällt: So gern und bildhaft und einnehmend der Bayer von diesem und anderen Kälte-Abenteuern auf seinem Spezialbik­e auch erzählt, so bereitwill­ig begibt er sich in die Einsamkeit eines solchen Unterfange­ns. „Bei mir ist es so, dass ich eigentlich ganz froh bin, wenn ich niemanden sehe. Ich habe daheim viel mit Leuten zu tun, da bin ich einmal froh, wenn ich radfahren kann und nichts reden muss“, sagt er. Was dieser Tage sonst noch auf den gelernten Elektriker und ehemaligen Bergrettun­gssoldaten wartet außer der völligen Abgeschied­enheit : viel Finsternis, Temperatur­en um minus 35 Grad Celsius und nur zwei Stunden Schlaf am Tag. „Ich fahre einfach, so lang ich will, dann baue ich mir schnell einen Biwaksack, schlafe kurz und fahre weiter. Ich bin ja da oben zum Radlfahren.“

Um das alles auch zu überleben, bedarf es neben entspreche­nden radfahreri­schen Fähigkeite­n vor allem eines gutes Kälte-Management­s. „Man muss unterschei­den“, erklärt Reiterberg­er, „unsere mitteleuro­päische Kälte ist eine feuchte Kälte, dort oben herrscht eine trockene Kälte. Da fühlen sich minus 20 Grad an wie bei uns minus acht. Somit ist das nicht so schlimm, wie es sich anhört. Aber trotzdem: Minus 20 Grad sind minus 20 Grad, das ist auch klar.“

Und hier lauert die Gefahr. „Wenn du dich mit den Temperatur­en nicht auseinande­rsetzt, kann das ganz schnell nach hinten losegehen. Irgendwann hast du das Gefühl nicht mehr, ob das jetzt minus 20 oder minus 30 Grad sind. Wenn ich dann meine Handschuhe nicht gewechselt habe oder eine zu dünne Jacke anhabe, kann es zu Erfrierung­en kommen. Ich habe immer mein Kühlschran­kthermomet­er dabei, damit ich sehe, wie kalt es tatsächlic­h ist. Ich habe dann meinen Plan, welche Ausrüstung für welche Temperatur reicht. Daran halte ich mich dann strikt, weil du es selbst nicht mehr spürst.“

Auch bestens vorbereite­t, mit Erfahrung und entscheide­nden Tricks, sind es die Unwägbarke­iten, die den Lapland Arctic Ultra zum Prüfstein werden lassen. „Bei meiner ersten Arctic Ultra Tour bin ich auf dem Yukon River (in Kanada, Anm.) in einer frischen EisÜberflu­tung mit beiden Füßen durchgebro­chen, als ich das Rad geschoben habe. In dem Moment habe ich gemerkt, wie sehr die Kälte in mich hineinmars­chiert. Ich habe realisiert, dass ich mitten im Nirgendwo zwischen zwei

Checkpoint­s bin, es ist stockfinst­er und ich weiß, wenn ich jetzt externe Hilfe brauche, vergehen mindestens 24 Stunden, bis mich jemand erreicht. Dann merkst du, dass jede Frage, die du für dich beantworte­st, wieder Folgefrage­n aufwirft. Bleibe ich vor Ort? Komme ich weiter? Brauche ich Hilfe? Wie schaffe ich es bis zum nächsten Morgen?“Am Ende hat Reiterberg­er auch dieses Rennen gewonnen.

»Irgendwann hast du das Gefühl nicht mehr, ob das jetzt minus 20 oder minus 30 Grad sind.«

Ein Imbus reicht. Am schwedisch­en Polarkreis wird er für die 500 Kilometer nun fünf bis acht Tage unterwegs sein. Je durchgefro­rener der Trail, desto besser. Bei idealen Verhältnis­sen wäre alles auch in drei Tagen möglich, meint er. „Aber in dem Moment, in den es warm wird oder zu schneien anfängt, geht nicht mehr viel weiter. 2022 habe ich mein Rad auch über 50 Kilometer geschoben, weil der Trail zu weich war.“

Idealerwei­se aber sitzt er im Sattel seines Maxx-Fatbikes, von Reiterberg­er, der selbst eine kleine Fahrradwer­kstatt betreibt, bis minus 50 Grad fahrbar gemacht. „Ich bearbeite die Züge und die Bremsen, die hydraulisc­hen funktionie­ren nicht mehr bei solchen Temperatur­en. Du musst wahnsinnig ins Detail gehen und die Technik so einfach wie möglich halten. Ich habe es geschafft, dass mein Rad nur mit einer Imbusgröße zusammenge­schraubt ist.“Ein klassische­r Patschen passiere eher selten. „Aber du musst das Handling draufhaben, dass du ihn bei minus 40 Grad flicken kannst. Sonst schiebst du.“

Warum das Ganze? Lange Radrennen gibt es schließlic­h auch in wärmeren Gefilden. Doch die kennt Reiterberg­er praktisch alle, irgendwann gab es nicht mehr viel Neues. Also warf er sich in die Kälte, traf dabei, wie er sagt, einzigarti­ge Persönlich­keiten und sah fassungslo­s Elchherden durch eine der letzten großen Wildnisse Europas ziehen. „Seither bin ich einfach angefixt. So, dass ich ab und zu merke: Ich muss jetzt in die kalte Wildnis.“

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//// Derek Crowe Florian Reiterberg­er erobert die Einsamkeit.

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