Wie halten wir es heute mit der Frauensolidarität?
Dramatische Ereignisse, wie die jüngsten Femizide, lassen die Frauensolidarität aufflackern – zumindest kurzzeitig. Wie solidarisch Frauen heute sind und warum es schon einmal besser war.
Es hat sich schon so etwas wie eine traurige Routine eingeschlichen. Passiert so etwas schreckliches, wie die jüngsten Femizide, herrscht vorerst Betroffenheit und Fassungslosigkeit. Menschen gedenken der getöteten Frauen mit Blumen und Kerzen. Frauenschutzorganisationen schreien auf – am Freitag im wahrsten Wortsinn, als zu einem Schreitag aufgerufen wurde –, die Politik lässt sich Zeit mit einer Reaktion, was für Kritik sorgt. Es muss etwas dagegen getan werden, da sind sich alle einig. Beim Wie aber nicht.
Weiter kommt es meist nicht. Das heißt nicht, dass nichts getan wird. In den letzten Jahren wurde Frauenschutz finanziell aufgewertet (siehe Seite elf). Aber die große Solidarität ist meist bald dahin. Jede geht ihren eigenen Weg und manchmal wird mehr über die Unterschiede dieser Wege debattiert als über die Gemeinsamkeit – nämlich, dass Frauen nach wie vor systematische Benachteiligungen erfahren.
Gemeinsame Ziele fehlen. Auch wenn Frauensolidarität ein großer Begriff ist, der sich schwer fassen lässt, lohnt ein Blick auf den Jetztstand und die Geschichte. „Frauensolidarität war immer dann stark, wenn ein gemeinsames Ziel verfolgt wurde, zum Beispiel beim Frauenwahlrecht“, sagt Klaudia Frieben, Vorsitzende des Österreichischen Frauenrings. „Damals ist es allen Frauen gleich schlecht gegangen. Man war sich einig, dass man etwas tun muss.“Auch in den 1960er-, 70er-Jahren waren die gemeinsamen Ziele klar, was den Zusammenhalt förderte. Heute habe sich das geändert, auch weil es vielen Frauen besser geht. „Es ist schade, dass manche junge Frauen heute nicht mehr wissen, wofür damals gekämpft wurde“, sagt Frieben. Fast könne man meinen, je besser es den Frauen im Allgemeinen geht, desto schlechter steht es um die Frauensolidarität. Wobei Frieben dafür noch etwas Anderes verantwortlich macht: „Wir sind zu einer Ich-Gesellschaft geworden.“Egoistisches Denken sei vorherrschend. Aber es gebe natürlich auch jene Frauen, die besonders benachteiligt sind, denen aber die Energie fehlt, um dagegen anzukämpfen.
Gelebte Frauensolidarität wird heute besonders in Frauennetzwerken deutlich. So wurde vor zehn Jahren der Verein Sorority gegründet, der sich als Plattform zur Vernetzung und Karriereförderung für Frauen und als Frauen gelesene Personen versteht. „Damals wurde Sorority als Business-Netzwerk gegründet, als Pendant zu den Boys Clubs“, sagt Sibel Ada, die im Vorstand des Vereins ist. Heute sei das weniger notwendig. „Seit ein paar Jahren haben wir den Fokus auf Intersektionalität. Wir wollen möglichst niederschwellig sein.“Man wolle nicht nur die „privilegierte weiße Frau“ansprechen, sondern diverser sein. Das Netzwerk bietet unterschiedliche Formate zu sozial- und arbeitspolitischen Themen an, etwa einen Stammtisch für Selbstständige.
Frauensolidarität, meint Ada, poppe immer dann auf, wenn etwas passiere, wie eben jüngst die Femizide. „Dieses Momentum erlischt aber bald, das ist sehr ernüchternd.“Sie habe aber dennoch den Eindruck, dass Frauensolidarität generell gestiegen sei, allein weil mehr über frauenpolitische Themen gesprochen werde. „Dann sieht man plötzlich, dass gewisse Dinge nicht nur mir passieren, sondern auch anderen, dass es strukturell ist. Das heißt aber auch, dass man etwas dagegen tun kann.“Speziell bei jüngeren Frauen sei das Bewusstsein dafür da. Bei älteren Frauen beobachtet sie hingegen öfter fehlende Solidarität, „obwohl die viel mehr unter patriarchalen Strukturen gelitten haben.“Sie findet es schade, dass bei manchen Diskussionen Frauen plötzlich „zum weißen Mann“werden, wie sie es nennt,
Fast könnte man meinen, je besser es Frauen geht, desto schlechter steht es um die Frauensolidarität.
und meint damit fehlende Solidarität gegenüber Frauen, die anders sind, als man selbst, etwa muslimische Frauen.
Praxisnah wird Frauensolidarität in der Facebook-Gruppe M/others gelebt, die 2021 gegründet wurde. Rosina Huth und Nikola Otto haben die Gruppe ins Leben gerufen, um mit Freundinnen über gesellschaftspolitische Themen aus Müttersicht zu diskutieren. Heute ist das eine Plattform mit 1800 Mitgliedern. Ein siebenköpfiges Team moderiert die Gruppe, Ziel sind lösungsorientierte Ansätze zu gesellschaftspolitischen Fragen (Wie verhandle ich mit meinem Partner die
Aufteilung von Mental Load oder wie gehe ich Gehaltsverhandlungen an?). „Wir wollen kein Sudern, sondern konstruktive Lösungen. Es wird zu einem Thema aufgezeigt : Wie machen das andere, welche Lösungen gibt es.“Zuletzt wurde etwa die Frage gestellt, welche Frauen bei Bewerbungen die Kinder in den Lebenslauf schreiben, welche nicht, und welche Reaktionen beide Gruppen erhalten haben, bzw. wie oft sie zu Gesprächen eingeladen wurden (die Unterschiede waren eklatant). Neben der Diskussionsplattform gibt es auch Veranstaltungen. „Wir waren erstaunt, wie viel Zulauf wir haben. Mittlerweile bilden sich Regionalgruppen.“
Soziale Wirklichkeiten. Es gibt sie also die gelebte Frauensolidarität – nach wie vor. Wobei hier noch einmal ein Blick in die Geschichte erlaubt sei, auch wenn historische Vergleiche schwierig sind. „Solidarität war in der frühen Frauenbewegung kein Schlagwort, was aber nicht bedeutet, dass nicht solidarisch gehandelt wurde“, sagt Historikerin Marie Mesner vom Institut für Zeitgeschichte. Sie glaubt nicht, dass es so etwas wie eine übergreifende Frauensolidarität gibt, da die sozialen Wirklichkeiten von Frauen zu unterschiedlich sind. Seit der Aufklärung ist aber die Kategorie Frau stärker in den Vordergrund gerückt. Damals wurde das Geschlecht zum zentralen Unterscheidungspunkt, was zu einer Vergemeinschaftung von Frauen führte.
Ähnlich sieht das die Historikern Gabriella Hauch. „Dass das Geschlecht zur Ordnungskategorie ersten Ranges wurde, hat mit der französischen Revolution begonnen“, sagt sie. 1811 wurde dann der Mann zum gesetzlichen Oberhaupt der Familie gemacht. „Da ging es plötzlich nicht mehr um den Stand. Das Geschlecht schlägt alle anderen Kategorien.“Dazu kam das Verbot für Frauen, Mitglied in einem politischen Verein zu werden, sowie der verweigerte Zugang zur Bildung. Hinzu kam die „sogenannte allgemeine Wehrpflicht“, die nur auf Männer abzielte. All das machte das Geschlecht zur Kategorie. Ab 1890 formierten sich in Österreich unterschiedliche Frauenbewegungen, die untereinander vorerst nicht solidarisch waren. Die sozialdemokratischen Frauenrechtlerinnen hatten mit den bürgerlich-liberalen zwar viele inhaltliche Überschneidungen, gemeinsam auftreten wollte man aber nicht. Mit dem ersten internationalen Frauentag im Jahr 1911 war das anders. „Rund um 1900 gab es einen Aufbruch, wo klarer geworden ist: Je mehr wir sind, desto mehr bringen wir durch.“
Damals gab es viele Gemeinsamkeiten, die alle Frauen betrafen, wie eben der Mann als gesetzliches Familienoberhaupt, die Frage, ob der Kindsvater für uneheliche Kinder Alimente zahlt oder der Zugang zur Bildung. „Wenn es ums Eingemachte ging, dann wurde zusammengehalten“, sagt Hauch. Heute hingegen seien diese großen Eckpfeiler weg. „Aber nur weil sich die rechtliche Situation ändert, heißt das nicht, dass sich die Mentalitäten ändern. Über 150, 170 Jahren lang war das Geschlecht die oberste Kategorie. Das macht etwas mit den Menschen.“Es brauche offenbar noch Zeit, bis sich diese Strukturen in den Köpfen verändern. Und es brauche auch politische Player, die etwas verändern wollen.