Garderobenklassiker in Höchstform
Die Modewoche in Mailand brachte kaum Spektakuläres, dafür Alltagsgarderobe auf dem Laufsteg. In Höchstform zeigte sich das Prada-Duo, neue Designer werkten bei Tod’s, Moschino, Blumarine, und Giorgio Armani ließ es schneien.
Hin und wieder ist es ratsam, das gilt ja in allen Lebenszusammenhängen, einen Schritt zurück zu machen und sich zu fragen: Worum geht es hier eigentlich; was ist das Wesentliche eines Tuns? Auch vor, während, nach einer Modewoche, und sei es die gefühlt tausendste, trifft das zu. Denn worum geht es: Modemarken bzw. deren Designerinnen und Designer schicken Kleider über einen Laufsteg, die Menschen in etwa einem halben Jahr anziehen sollen. Daraus lassen sich Trends ableiten, die quergelesen und destilliert in mehreren Kollektionen vorkommen. Andererseits machen dieselben Kreativen Vorschläge, aus denen Beobachter ihre Handschrift und die jeweilige Marken-DNA ableiten sollen.
Das ist, ließe sich schlussfolgern, zugleich das Wesentliche einer solchen Großveranstaltung, die in Metropolen wie Paris, Mailand, London und New York den Verkehr zum Erliegen bringt, für Milliardenumsätze weltweit sorgt sowie gallonenweise Champagner fließen lässt. Das Wesen einer Modewoche liegt, könnten nun unbelehrbare Branchenveteranen hinzufügen, aber auch darin, dass sie die Grenzen des Möglichen stets ein wenig verschiebt. Dass Kollektionen gezeigt werden, die neue Geschmacksrichtungen aufzeigen, überraschen oder, warum nicht, sogar schockieren und das Publikum vor den Kopf stoßen.
Stille Zeit.
Denn es liegt in der Natur des Laufstegtreibens, dass nicht alle vorgeführten Kleidungsstücke für die Serienproduktion gedacht sind. Manches wird nur in Fotostrecken von Magazinen zu sehen oder in ein, zwei, drei Boutiquen weltweit erhältlich sein. Einkäuferinnen bekommen in den Markenshowrooms nach einem Defilee oft erst die „kommerzielle Übersetzung“dessen präsentiert, was zuvor über den Runway geschickt wurde. Was in Produktion geht und was am Ende also im Wortsinn tragbar sein wird, das ist nicht immer Anliegen des Kommunikationsimpulses, den eine für den Laufsteg gemachte Kollektion darstellt.
Diese, man könnte sie vielleicht avantgardistische, kommerziell desinteressierte Allüre nennen, steht letzthin aber immer weniger hoch im Kurs. Viele sehnen sich zwar nach dem großen Spektakel (wie etwa eine HauteCouture-Präsentation von John Galliano im Maison Margiela, die vor einigen Wochen ob des großen Pomps viele nachgerade nostalgisch stimmte), doch bei der letzten Ausgabe der „Milano Moda Donna“kamen diese gewiss nicht auf ihre Kosten. Vieles von dem, was die bekanntesten Marken hier vorführten, sah aus, als wäre es direkt aus einem Kleiderschrank gefischt worden und schon Teil einer geschmackvollen, gediegenen, absolut edlen, aber eben doch einer Alltagsgarderobe. Ist das zu verurteilen? Gewiss nicht. Braucht es dafür einen Runway, Stars in der Frontrow, Blitzlichtgewitter und ausgefallene Locations? Auch nicht unbedingt.
Wollte man hart urteilen, könnte man sagen, dass eine Modewoche wie jene in Mailand sich streckenweise selbst ad absurdum führt. Die „Silent Luxury“-Ära, die derzeit in aller Munde ist, hat immerhin dazu geführt, dass das Dröhnen der allgegenwärtigen Markenlogos abgeklungen ist. Erschreckenderweise scheint dies zu bedingen, dass manche Kollektionen austauschbar wirken, einzelnen Brands oder Designern nicht mehr zuordenbar sind. Oder dass sie eben nicht stark genug für den Laufsteg sind.
Brunello Cucinelli, der schöngeistige Modephilanthrop aus Umbrien, ließ in seinem Showroom wissen, dass er es treffender finde, von „gentle luxury“zu sprechen als von einem „leisen“Luxus. Cucinellis Marke wächst weltweit rasant, angeblich will man auch in Wien die Boutique vergrößern. Sie macht ein kohärentes, solides
Angebot – und bleibt stimmigerweise dem Laufsteg fern. Dasselbe gilt für Marken wie Brioni (hier entwirft der Österreicher Norbert Stumpfl), Loro Piana (ebenfalls im Silent-Luxury-Aufschwung) und Kiton: Auch sie kommen ohne Runway aus, hier ist kein Herunterbrechen nötig.
Bezeichnend waren zwei Designerpremieren, von Walter Chiapponi bei Blumarine und Adrian Appiolaza bei Moschino. Beide Brands standen bis vor Kurzem für Kostümiges, Humor, Ironie bzw. schmetterlingsübersäte Gen-Z-Mode. Nach dem jeweiligen Wechsel entsprechen sie nun einem offenbar zurückhaltenden Zeitgeist – und reihen sich so ein in ein Spalier der etwas austauschbaren Positionen. Das mag funktionieren, wenn man eine Stammkundschaft hat, die markentreu einkauft. Gerade eine solche Klientel aufzubauen, ist aber derzeit eine Kopfnuss für viele Marken.
Dynamik in der Remise. In Zeiten der auf TikTok und Co. verbreiteten Mikrotrends mit kürzester Verweildauer muss man sich fragen, ob mit einem solchen Mangel an Kühnheit die heiß ersehnten neuen Kundenkreise erobert werden können. Bei Tod’s, wo Matteo Tamburini auf Walter Chiapponi folgte, wirkte es etwa so, als habe erst gar kein Designerwechsel stattgefunden. Die Bereitschaft, dynamisch zu bleiben, signalisierte immerhin die Showlocation einer Straßenbahnremise im Herzen der Stadt.
Neuen Schwung erwartet sich der Mutterkonzern Kering auch von Sabato De Sarno bei Gucci in seiner zweiten Saison. Der Aktienkurs hat zuletzt stark nachgegeben, das Debüt De Sarnos im Herbst wurde von vielen als zu wenig mutig kritisiert. Mit seinen neuen Entwürfen ließ De Sarno schon eher erkennen, wohin die Gucci-Reise mit ihm gehen könnte – nicht in die Gefilde der Sinnlichkeit von Tom Ford oder die etwas verquere „Quirkiness“von Alessandro Michele, doch De Sarno dürfte sich für die Marke letzten Endes doch als gute Wahl erweisen.
Viel Lob erntet weiterhin Maximilian Davis im Hause Ferragamo: Der Brite hat ein gutes Händchen für die Marke aus Florenz, die sich mit ihm verjüngen möchte. Bei Etro hat Marco De Vincenzo mit einer über Jahrzehnte gewachsenen Markenästhetik (Stichwort: Hippie-Trail und Paisleymuster) zu tun. Diesmal begab er sich auf Weltreise, stellte am Runway sperrige Masken als Deko auf und kombinierte Musterblazer mit Rüschenorganza.
Ein solcher Materialmix war freilich in vielen Kollektionen zu sehen, ebenso Zitate von Lingerie. Für solche HighLow-Mischungen und die Kombination von Materialitäten, kontrastierenden Ästhetiken, steht seit vielen Jahren die Arbeit von Miuccia Prada. Insofern hatte sie mit Co-Designer Raf Simons sozusagen diesmal ein Heimspiel, und tatsächlich war für die meisten Besucher der Modewoche die Prada-Kollektion der Höhepunkt. Romantik und Schönheit nannten die beiden als Themen, mit denen sie sich auseinandersetzten und die sie – natürlich, it’s Prada! – auch brechen wollten.
Unter den bekanntesten Mailänder Designern finden sich nach wie vor Domenico Dolce und Stefano Gabbana – diesmal mit einer rein schwarzen Kollektion, für deren Finale Naomi Campbell in guter alter Supermodelmanier auftrat. Giorgio Armani ließ in seiner Emporio-Linie Kunstschnee rieseln und Mannequins mit Schirmen über den Laufsteg tänzeln, auch dies sorgte für Amüsement. Im Hause Fendi orientierte sich Kim Jones an britischen Subkulturen und legte eine ebenfalls solide Leistung vor. Unterhaltsam konnte man einen Taschenanhänger aus Leder mit Lollipop-Füllung finden: Diese FendiChupa-Chups-Nascherei wird es um etwa 500 Euro zu kaufen geben.
Das Modevolk dürstet oft nach Spektakel. In Mailand blieb diese Erwartung jedoch unerfüllt.
Zwischen rasanten Mikrotrends und Luxusstreben sucht man nach neuen Kundenkreisen.
Wiener Geschichten. Stets einen Besuch wert ist die Kollektionspräsentation von Arthur Arbesser, der seit einigen Jahren auf die (übrigens natürlich unglaublich kostspieligen) Laufstegshows verzichtet. Auch in der kommenden Saison setzt er auf das typisch Wienerische Storytelling, mit dem er bekannt geworden ist. Diesmal widmet er seine Entwürfe Monika Kässer, die früher ein Geschäft mit Silberware und Geschirr in der Innenstadt betrieb. Das Ergebnis war, wie stets, sehr vielgestaltig, bunt und persönlich. Auch das kann nämlich Mode leisten: Eine Geschichte über denjenigen erzählen, der sie schuf.