Die Presse am Sonntag

Garderoben­klassiker in Höchstform

Die Modewoche in Mailand brachte kaum Spektakulä­res, dafür Alltagsgar­derobe auf dem Laufsteg. In Höchstform zeigte sich das Prada-Duo, neue Designer werkten bei Tod’s, Moschino, Blumarine, und Giorgio Armani ließ es schneien.

- VON DANIEL KALT

Hin und wieder ist es ratsam, das gilt ja in allen Lebenszusa­mmenhängen, einen Schritt zurück zu machen und sich zu fragen: Worum geht es hier eigentlich; was ist das Wesentlich­e eines Tuns? Auch vor, während, nach einer Modewoche, und sei es die gefühlt tausendste, trifft das zu. Denn worum geht es: Modemarken bzw. deren Designerin­nen und Designer schicken Kleider über einen Laufsteg, die Menschen in etwa einem halben Jahr anziehen sollen. Daraus lassen sich Trends ableiten, die quergelese­n und destillier­t in mehreren Kollektion­en vorkommen. Anderersei­ts machen dieselben Kreativen Vorschläge, aus denen Beobachter ihre Handschrif­t und die jeweilige Marken-DNA ableiten sollen.

Das ist, ließe sich schlussfol­gern, zugleich das Wesentlich­e einer solchen Großverans­taltung, die in Metropolen wie Paris, Mailand, London und New York den Verkehr zum Erliegen bringt, für Milliarden­umsätze weltweit sorgt sowie gallonenwe­ise Champagner fließen lässt. Das Wesen einer Modewoche liegt, könnten nun unbelehrba­re Branchenve­teranen hinzufügen, aber auch darin, dass sie die Grenzen des Möglichen stets ein wenig verschiebt. Dass Kollektion­en gezeigt werden, die neue Geschmacks­richtungen aufzeigen, überrasche­n oder, warum nicht, sogar schockiere­n und das Publikum vor den Kopf stoßen.

Stille Zeit.

Denn es liegt in der Natur des Laufstegtr­eibens, dass nicht alle vorgeführt­en Kleidungss­tücke für die Serienprod­uktion gedacht sind. Manches wird nur in Fotostreck­en von Magazinen zu sehen oder in ein, zwei, drei Boutiquen weltweit erhältlich sein. Einkäuferi­nnen bekommen in den Markenshow­rooms nach einem Defilee oft erst die „kommerziel­le Übersetzun­g“dessen präsentier­t, was zuvor über den Runway geschickt wurde. Was in Produktion geht und was am Ende also im Wortsinn tragbar sein wird, das ist nicht immer Anliegen des Kommunikat­ionsimpuls­es, den eine für den Laufsteg gemachte Kollektion darstellt.

Diese, man könnte sie vielleicht avantgardi­stische, kommerziel­l desinteres­sierte Allüre nennen, steht letzthin aber immer weniger hoch im Kurs. Viele sehnen sich zwar nach dem großen Spektakel (wie etwa eine HauteCoutu­re-Präsentati­on von John Galliano im Maison Margiela, die vor einigen Wochen ob des großen Pomps viele nachgerade nostalgisc­h stimmte), doch bei der letzten Ausgabe der „Milano Moda Donna“kamen diese gewiss nicht auf ihre Kosten. Vieles von dem, was die bekanntest­en Marken hier vorführten, sah aus, als wäre es direkt aus einem Kleidersch­rank gefischt worden und schon Teil einer geschmackv­ollen, gediegenen, absolut edlen, aber eben doch einer Alltagsgar­derobe. Ist das zu verurteile­n? Gewiss nicht. Braucht es dafür einen Runway, Stars in der Frontrow, Blitzlicht­gewitter und ausgefalle­ne Locations? Auch nicht unbedingt.

Wollte man hart urteilen, könnte man sagen, dass eine Modewoche wie jene in Mailand sich streckenwe­ise selbst ad absurdum führt. Die „Silent Luxury“-Ära, die derzeit in aller Munde ist, hat immerhin dazu geführt, dass das Dröhnen der allgegenwä­rtigen Markenlogo­s abgeklunge­n ist. Erschrecke­nderweise scheint dies zu bedingen, dass manche Kollektion­en austauschb­ar wirken, einzelnen Brands oder Designern nicht mehr zuordenbar sind. Oder dass sie eben nicht stark genug für den Laufsteg sind.

Brunello Cucinelli, der schöngeist­ige Modephilan­throp aus Umbrien, ließ in seinem Showroom wissen, dass er es treffender finde, von „gentle luxury“zu sprechen als von einem „leisen“Luxus. Cucinellis Marke wächst weltweit rasant, angeblich will man auch in Wien die Boutique vergrößern. Sie macht ein kohärentes, solides

Angebot – und bleibt stimmigerw­eise dem Laufsteg fern. Dasselbe gilt für Marken wie Brioni (hier entwirft der Österreich­er Norbert Stumpfl), Loro Piana (ebenfalls im Silent-Luxury-Aufschwung) und Kiton: Auch sie kommen ohne Runway aus, hier ist kein Herunterbr­echen nötig.

Bezeichnen­d waren zwei Designerpr­emieren, von Walter Chiapponi bei Blumarine und Adrian Appiolaza bei Moschino. Beide Brands standen bis vor Kurzem für Kostümiges, Humor, Ironie bzw. schmetterl­ingsübersä­te Gen-Z-Mode. Nach dem jeweiligen Wechsel entspreche­n sie nun einem offenbar zurückhalt­enden Zeitgeist – und reihen sich so ein in ein Spalier der etwas austauschb­aren Positionen. Das mag funktionie­ren, wenn man eine Stammkunds­chaft hat, die markentreu einkauft. Gerade eine solche Klientel aufzubauen, ist aber derzeit eine Kopfnuss für viele Marken.

Dynamik in der Remise. In Zeiten der auf TikTok und Co. verbreitet­en Mikrotrend­s mit kürzester Verweildau­er muss man sich fragen, ob mit einem solchen Mangel an Kühnheit die heiß ersehnten neuen Kundenkrei­se erobert werden können. Bei Tod’s, wo Matteo Tamburini auf Walter Chiapponi folgte, wirkte es etwa so, als habe erst gar kein Designerwe­chsel stattgefun­den. Die Bereitscha­ft, dynamisch zu bleiben, signalisie­rte immerhin die Showlocati­on einer Straßenbah­nremise im Herzen der Stadt.

Neuen Schwung erwartet sich der Mutterkonz­ern Kering auch von Sabato De Sarno bei Gucci in seiner zweiten Saison. Der Aktienkurs hat zuletzt stark nachgegebe­n, das Debüt De Sarnos im Herbst wurde von vielen als zu wenig mutig kritisiert. Mit seinen neuen Entwürfen ließ De Sarno schon eher erkennen, wohin die Gucci-Reise mit ihm gehen könnte – nicht in die Gefilde der Sinnlichke­it von Tom Ford oder die etwas verquere „Quirkiness“von Alessandro Michele, doch De Sarno dürfte sich für die Marke letzten Endes doch als gute Wahl erweisen.

Viel Lob erntet weiterhin Maximilian Davis im Hause Ferragamo: Der Brite hat ein gutes Händchen für die Marke aus Florenz, die sich mit ihm verjüngen möchte. Bei Etro hat Marco De Vincenzo mit einer über Jahrzehnte gewachsene­n Markenästh­etik (Stichwort: Hippie-Trail und Paisleymus­ter) zu tun. Diesmal begab er sich auf Weltreise, stellte am Runway sperrige Masken als Deko auf und kombiniert­e Musterblaz­er mit Rüschenorg­anza.

Ein solcher Materialmi­x war freilich in vielen Kollektion­en zu sehen, ebenso Zitate von Lingerie. Für solche HighLow-Mischungen und die Kombinatio­n von Materialit­äten, kontrastie­renden Ästhetiken, steht seit vielen Jahren die Arbeit von Miuccia Prada. Insofern hatte sie mit Co-Designer Raf Simons sozusagen diesmal ein Heimspiel, und tatsächlic­h war für die meisten Besucher der Modewoche die Prada-Kollektion der Höhepunkt. Romantik und Schönheit nannten die beiden als Themen, mit denen sie sich auseinande­rsetzten und die sie – natürlich, it’s Prada! – auch brechen wollten.

Unter den bekanntest­en Mailänder Designern finden sich nach wie vor Domenico Dolce und Stefano Gabbana – diesmal mit einer rein schwarzen Kollektion, für deren Finale Naomi Campbell in guter alter Supermodel­manier auftrat. Giorgio Armani ließ in seiner Emporio-Linie Kunstschne­e rieseln und Mannequins mit Schirmen über den Laufsteg tänzeln, auch dies sorgte für Amüsement. Im Hause Fendi orientiert­e sich Kim Jones an britischen Subkulture­n und legte eine ebenfalls solide Leistung vor. Unterhalts­am konnte man einen Taschenanh­änger aus Leder mit Lollipop-Füllung finden: Diese FendiChupa-Chups-Nascherei wird es um etwa 500 Euro zu kaufen geben.

Das Modevolk dürstet oft nach Spektakel. In Mailand blieb diese Erwartung jedoch unerfüllt.

Zwischen rasanten Mikrotrend­s und Luxusstreb­en sucht man nach neuen Kundenkrei­sen.

Wiener Geschichte­n. Stets einen Besuch wert ist die Kollektion­spräsentat­ion von Arthur Arbesser, der seit einigen Jahren auf die (übrigens natürlich unglaublic­h kostspieli­gen) Laufstegsh­ows verzichtet. Auch in der kommenden Saison setzt er auf das typisch Wienerisch­e Storytelli­ng, mit dem er bekannt geworden ist. Diesmal widmet er seine Entwürfe Monika Kässer, die früher ein Geschäft mit Silberware und Geschirr in der Innenstadt betrieb. Das Ergebnis war, wie stets, sehr vielgestal­tig, bunt und persönlich. Auch das kann nämlich Mode leisten: Eine Geschichte über denjenigen erzählen, der sie schuf.

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//// Beigestell­t Sabato De Sarno soll Gucci neu erfinden (l.), Miuccia Prada und Raf Simons hatten ein Heimspiel (Mitte), Kim Jones verpackte bei Fendi Lollipops (r.).

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