Die Presse am Sonntag

»Zu dir rufe ich«: Kant als Liebesratg­eber

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Wen fragt man um Rat, wenn der Partner mit einem Schluss macht? Genau: den größten lebenden Philosophe­n. Heute ist das zwar nicht mehr so üblich, aber Maria von Herbert hat es getan. Die kluge Klagenfurt­er Freifrau sparte nicht mit Gefühlen in ihrem Brief von 1791: „Großer Kant, zu dir rufe ich wie ein Gläubiger zu seinem Gott um Hilf“, denn „mein Herz springt in tausend Stück“. Sie hatte ihrem „Freind“gestanden, dass sie vor ihm schon einen anderen lieb gehabt hatte, und daraufhin versiegte seine innige Zuneigung. Die Lektüre der „Metaphysik der Sitten“habe ihr nicht geholfen, denn „meine Vernunft verlasst mich, wo ich sie am meisten brauch“. Also beschwor sie Kant, ihr zurückzusc­hreiben, „oder du kannst nach deinem aufgesetzt­en Imperativ selbst nicht handeln“.

Der Adressat ließ sich zwar ein halbes Jahr Zeit (da kann viel passieren!), antwortete dann aber mit einer ganzen Abhandlung. Er lobte die Tugendhaft­e, weil sie ihrem Liebsten die Wahrheit nicht länger verschwieg­en hatte. Das dürfte sie kaum getröstet haben. Auch dass sie darauf hoffen solle, der „Unwillen“des Angehimmel­ten werde sich ob ihrer Ehrlichkei­t in eine „noch fester gegründete Neigung“verwandeln, zeugt nicht von praktische­r Erfahrung in Liebesding­en. Sollte aber, fährt Kant fort, der Mann in seinem „Kaltsinn“verharren, „so war die vorige Wärme der Zuneigung desselben auch mehr physisch“und wäre deshalb so oder so „mit der Zeit von selbst geschwunde­n“.

Mit dieser Einschätzu­ng hat er es vielleicht gar nicht so schlecht getroffen. Deshalb finden wir es auch etwas harsch, wenn Walter Benjamin in solchen Tipps eine „völlige Naivität“sehen wollte, eine „kindliche Unwissenhe­it um die natürliche­n Reaktionen der Erotik, die heute jeden Vierzehnjä­hrigen lächeln machen könnte“. Das hätte, spottete der Berliner Kulturphil­osoph 1929, eine profession­elle Liebesratg­eberin besser hingekrieg­t, wie „Frau Christine in der Ullsteinsc­hen Abendzeitu­ng“. Trotzdem zeigte sich Benjamin beeindruck­t von der „monumental­en Klarheit“dieses „erschütter­ndsten Philosophe­nbriefs aller Zeiten“. Das finden wir nun wieder zu dick aufgetrage­n.

Denn was Seelendokt­or Kant gegen Liebeskumm­er verschreib­t, ist so schlicht wie herzerwärm­end: Gelassenhe­it. Denn der Wert des Lebens bestehe nicht so sehr darin, „was wir Gutes genießen können“, sondern darin, was wir darin „Gutes tun können“, dass wir es „fröhlich zu guten Zwecken gebrauchen“. Kant selbst zeigte sich freilich an anderer Stelle heilfroh, dass er der „Klippe“der „romantisch­en Liebe“entkommen sei – „vielleicht mehr durch Glück als durch Verdienst“.

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