Die Presse am Sonntag

Runter mit dem Putz! Schmückt die Perücke einen Kopf voll Rassismus?

- GH

Besonders gut vertragen sich die Aufklärung und die Perücke nicht, meint der Perückenma­cher von Königsberg. Mit so einem Ding auf dem Kopf kann sich ja keiner aus der Unmündigke­it befreien, die Gedanken müssen vielmehr gelüftet werden. Deswegen hat er einen Traum: Seinen Kunden einen Haarschnit­t zu verpassen, einen „Fassongsch­nitt“. Runter mit dem Putz, den Schädel frei! Er selbst trägt selten Perücke, soll ruhig jeder seine Freiheitsl­iebe daran ablesen. Werbung für sein Geschäft ist das freilich keine.

Inwendig ist er eben kein Perückenma­cher, sondern ein Perückenab­schaffer, inwendig ist er ein Philosoph, ein Grübler, ein Aufklärer wie sein Freund Kant, doch das sagt er nicht laut heraus. Glaubt ihm ja keiner, ihm, der Locken in Perücken brennt und Schädelfet­t herauskrat­zt. Solche Leute sind nicht dafür bestimmt, an dem ihnen zugeteilte­n Los zu zweifeln. Der frische Freiheitsg­laube ist mehr etwas für den Kant, von dem die ganze Stadt redet, der sich und sein Denken zum Skandal macht, der sich von der Aufklärere­i ernähren kann. Und der selbst eine Perücke trägt, eine wie Robespierr­e. Jemand, der so umstürzler­isch denkt, muss Wert auf ein gepflegtes Äußeres legen.

Recht amüsant, wie sich der Autor Michael Lichtwarck-Aschoff über seinen Erzähler, den Urenkel des Perückenma­chers, an den großen Kant und dessen Freundeskr­eis heranpirsc­ht. Da ist etliches fiktiv, viel aber auch belegt, zum Beispiel die Geschichte der beiden englischen Geschäftsl­eute Howard Motherby und Joseph Green, die in Königsberg eine Afrika-Handelsges­ellschaft gründeten, bei der Kant Anteile zeichnete.

Er hielt gerade (ab 1755) Vorlesunge­n über die „Physische Geografie“, da ging es ja um die Reichtümer der Welt, die allen zugutekomm­en sollten. Außerdem konnte man sich darin mit der Seele des schwarzen Kontinents vertraut machen.

Es sei „undenkbar, dass Gott ein menschlich­es Hirn und eine menschlich­e Seele in einem schwarzen Körper untergebra­cht haben soll“, hörte man hier, und ähnlich herabsetze­nde und verletzend­e Sätze, die man nur als rassistisc­h bezeichnen kann.

„Es ist schwer zu verstehen, wie ausgerechn­et er, der Denker des kategorisc­hen Imperativs, so ein Zeug schreiben konnte“, schreibt der Autor in seinem Nachwort. Eine einfache Erklärung für das Ärgernis erwägt er nicht: dass dazwischen mehrere Jahrzehnte lagen. Und dass Kant bis dahin seine unsinnigen Randbemerk­ungen aus einer frühen Vorlesung wohl längst vergessen haben dürfte.

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