Die Presse am Sonntag

Culture Clash

Du-weißt-schon-von-wem-Pädagogik. Müssen wir Montessori-Pädagogik umbenennen, weil der Vorwurf erhoben wird, dass Montessori Rassistin und Behinderte­n-Verächteri­n war?

- FRONTNACHR­ICHTEN AUS DEM KULTURKAMP­F VON MICHAEL PRÜLLER Der Autor war stv. Chefredakt­eur der „Presse“und ist nun Kommunikat­ionschef der Erzdiözese Wien. meinung@diepresse.com diepresse.com/culturecla­sh

Eine neue Biografie wirft der Reformpäda­gogin Maria Montessori (1870–1952) vor, zeitlebens Rassistin und Eugenikeri­n gewesen zu sein. Und war es das, so war’s ein schwer Vergehen (um mit Shakespear­e zu sprechen). In typischer Reaktion nimmt nun etwa die „Taz“die Montessori-Pädagogik in Pauschalsc­hutz: „Ganz egal“, ob weitere Aufarbeitu­ngen folgen – das Konzept darf „nicht auf die Müllhalde“geworfen werden. Aber was die Person betrifft: Ihr Name gehört gelöscht! „Straßen, die an kolonialis­tische Generäle erinnern, werden längst umbenannt. Vielleicht wäre es für die Montessori-Schulen auch an der Zeit.“

Menschen vom Podest zu stoßen, ihr Werk und Wirken aber dort zu belassen, ist nicht durchdacht. Hat Rassismus in Montessori­s Konzept Spuren hinterlass­en, gehört das Konzept dringend geändert, nicht bloß umbenannt. Erweist sich Montessori­s Konzept aber als menschenfr­eundlich, wäre das nicht ein Zeichen, dass ihr Rassismus nicht tief ging und ihr Name also weiterhin mit Dankbarkei­t genannt werden darf?

Person und Werk sind immer ineinander verwoben. Ein Extrembeis­piel: Die Gau-Sachbearbe­iterin für rassenpoli­tische Fragen, Johanna Haarer, hatte mit „Die deutsche Mutter und ihr erstes Kind“1934 einen Ratgeber-Bestseller geschriebe­n, der bis 1987 aufgelegt wurde. Ihre disziplinv­ersessenen Ratschläge, etwa Säuglingen einen Still-Stundenpla­n aufzuzwing­en und sie sonst allein schreien zu lassen, haben Generation­en von Kinderseel­en zugesetzt. Heute sind Buch und Autorin diskrediti­ert, die Bezüge zur NS-Ideologie liegen offen.

Bei einem anderen Beispiel steht die Aufarbeitu­ng der Wirkung, ausgehend von der problemati­schen Person, noch an: Helmut Kentler, Bahnbreche­r der modernen Sexualaufk­lärung, der soeben von Forschern der Universitä­t Hildesheim als Mittelpunk­t eines pädophilen Netzwerkes beschriebe­n wurde. Die Hauptfrage ist nun nicht, von welchen Schildern sein Name zu entfernen wäre, sondern ob Kentlers Neigung (die er selbst durchaus positiv sah) in der heutigen Sexualpäda­gogik fortwirkt. Etwa in der Idee, dass Kinder durch fremde Erwachsene frühzeitig und mit wenig Rücksicht auf kindliche Scham in die Welt der Sexualität eingeführt werden müssten. Kontaminie­rte Schulen können immensen Schaden anrichten, keine Pädagogik darf daher auf einem für Kritik unerreichb­aren Podest stehen. Wenn sich aber Montessori­s Werk – wofür es viele Anhaltspun­kte gibt – als von gutem Geist beseelt und in der Wirkung segensreic­h erweist, sollte man auch den Namen seiner Urheberin nicht auf die Müllhalde werfen.

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