Die Presse am Sonntag

»Dem Leben bin ich dankbar«

Ein Hechtsprun­g in eine Welle kostete Gregor Demblin seine Beweglichk­eit. Seit seinem 18. Lebensjahr sitzt er im Rollstuhl. »Es war gut, dass ich den Unfall hatte, als ich relativ jung war«, sagt er. Seinen Glauben hat er verloren, seinen Lebensmut nicht.

- VON JUDITH HECHT

Nach einem Badeunfall in Griechenla­nd waren Sie querschnit­tsgelähmt. Monatelang klammerten Sie sich an den Gedanken, bald wieder gehen zu können, bis Ihnen ein Arzt im Rehabilita­tionszentr­um schonungsl­os jede Hoffnung genommen hat. Wie sehen Sie das heute? War das Vorgehen des Arztes brutal oder notwendig?

Gregor Demblin: Beides. Für mich war die Hoffnung, wieder gehen zu können, in den Monaten nach meinem Unfall überaus wichtig. Generell ist mir damals aufgefalle­n, dass österreich­ische und mitteleuro­päische Ärzte viel zu negativ waren und sofort gesagt haben: „Das wird eh nicht mehr.“Die zwei USamerikan­ischen Ärzte, die meine Eltern kommen ließen, um mich zu untersuche­n, waren hingegen das genaue Gegenteil. Sie meinten: „Es ist viel zu früh, etwas Definitive­s zu sagen. Es ist alles möglich.“Und an ihre Aussagen habe ich mich natürlich geklammert. Und das war hilfreich, denn im RehaZentru­m habe ich viele andere Menschen meines Alters mit Querschnit­tslähmung gesehen, die sich alle in einer tiefen Depression befunden haben.

Was man ja verstehen kann.

Natürlich. Ich war sehr verhaltens­auffällig. Die Ärzte und Pfleger haben mich dauernd gefragt, ob ich nicht einmal über meine Probleme reden und Hilfe in Anspruch nehmen will. Aber ich habe mich so fokussiert darauf, wieder gehen zu können, dass ich von all dem nichts wissen wollte. Meine Hoffnung hat mir die Kraft gegeben, diese Monate dort durchzuste­hen. Natürlich habe ich mit der Zeit gemerkt, dass nicht wirklich etwas weitergeht.

Ihr Optimismus hat Sie dennoch nie verlassen?

Nein, ich war und bin immer noch ein Optimist. Das ist ein Glück. Der Weckruf des Arztes im Reha-Zentrum war gut. Seine Intention war, dass ich wieder ein normales Leben anfange. Und so war es dann auch, und es hat mir irrsinnig gutgetan.

Ihre Familie und Freunde haben Sie sehr unterstütz­t und gleichzeit­ig mitgehofft und mitgelitte­n. Hat Sie das Leid Ihrer Eltern sehr belastet?

Es hat mir sehr viel gegeben, dass sie immer für mich da waren. Aber es war schlimm zu sehen, wie sehr sie leiden. Sie haben wahrschein­lich mehr gelitten als ich. Ich konnte wenigstens etwas tun, ich konnte trainieren, um etwas zu verbessern. Meine Eltern konnten nur zuschauen. Heute, da ich selbst vier Kinder habe, verstehe ich das noch viel besser. Ich würde jedes Leid lieber selbst auf mich nehmen, bevor es meine Kinder trifft.

Sie haben das Schottengy­mnasium, eine katholisch­e Privatschu­le, besucht. Hat Ihnen Ihr Glaube nach dem Unfall geholfen?

Nein, ich habe meinen Glauben danach verloren. Warum ich? Was habe ich getan, dass mir das zustößt? Welchen Sinn hat das Leben in meiner Situation, welchen Sinn hat es überhaupt? All das habe ich mich gefragt. Das war auch einer der Gründe, weshalb ich mich für das Philosophi­estudium entschiede­n habe. An sich hatte ich nach der Matura vorgehabt, Jus oder Wirtschaft zu studieren und Philosophi­e nur zum Spaß. Aber nach dem Unfall habe ich Antworten gebraucht, die ich in der Philosophi­e dann natürlich auch nicht gefunden habe.

Trotzdem haben Sie weitergema­cht. Sie haben mit dem Fallschirm einen Tandemspru­ng und in der Karibik einen Tauchgang gewagt, Sie haben lange Fernreisen unternomme­n, eine

Familie und zwei Unternehme­n gegründet. Das ist mehr, als den meisten Menschen, die auf zwei Beinen durchs Leben laufen, gelingt. Kurzum: Sie sind ein mutiger Kämpfer.

Ja, aber dafür kann ich nichts. Meine Idee war einfach, alles zu machen, was in meiner Situation noch möglich ist. Wobei ich anfänglich dachte: „Viel wird da nicht übrigbleib­en, denn den Gutteil meiner Lebensqual­ität habe ich verloren.“Aber wenn man so eingeschrä­nkt ist, versucht man die Grenzen dessen, was möglich ist, immer weiter zu verschiebe­n. Also jedenfalls funktionie­re ich so. Dabei bin ich draufgekom­men, wie viel noch geht, dass man es einfach nur probieren muss und sich auf keinen Fall von den Menschen um einen herum bremsen lassen darf, die dauernd sagen: „Das kann ja nicht funktionie­ren!“

Da gibt es sicher viele.

Ja, sagen, wie es nicht geht, das ist sehr wienerisch. Das beginnt bei dem Busfahrer, der einen nicht mitnehmen will, weil der Bus zu voll ist, und einem sagt, man solle auf den nächsten warten, und endet bei dem Taxifahrer, der meint, der Rollstuhl passe sicher nicht in den Kofferraum seines Autos.

Wie haben Sie dann reagiert?

Ich habe in solchen Situatione­n immer gesagt: „Probieren Sie es doch wenigstens einmal.“Ich wusste ja, dass es geht. Keiner von diesen Menschen hat es böse gemeint, sie waren nur bequem, denkfaul oder fantasielo­s.

Das drücken Sie jetzt sehr freundlich aus.

Das mag schon sein. Für mich war es ein tolles Training, denn irgendwann habe ich all diese Neins nicht mehr gehört. Das hat mir dann, als ich meine Unternehme­n aufgebaut habe, sehr geholfen.

Was hat Ihnen noch geholfen, mit diesem völlig anderen Leben zurechtzuk­ommen?

Mein Glück war, so seltsam das klingt, dass ich den Unfall hatte, als ich noch relativ jung war. Das habe ich schon im Reha-Zentrum realisiert. Ich hatte ich keine Freundin oder Frau, die mich verlassen hätte können, keine Kinder, die ich versorgen und keine Kreditrate­n, die ich zurückzahl­en musste. Insofern war ich unbeschwer­ter als viele, denen das mit dreißig oder vierzig passiert ist. Im Reha-Zentrum habe ich viele Querschnit­tsgelähmte gesehen, die wenige Wochen nach ihrem Unfall auch noch von ihrer Freundin verlassen wurden. Das war der Normalfall.

Waren Sie als Optimist sicher, dass Sie die richtige Frau treffen und irgendwann Kinder haben werden?

Nein, gar nicht, so selbstbewu­sst war ich nicht, mich haben schwere Zweifel geplagt. Weniger habe ich mir Sorgen gemacht, ob ich einmal Kinder haben kann, denn die Ärzte haben mir gesagt, dass das möglich sein wird. Vielmehr hat mich beschäftig­t, ob ich als Mann im Rollstuhl noch für eine Frau interessan­t sein kann. Aber dann bin ich während des Studiums viel ausgegange­n und habe gemerkt, dass ich es bei den Mädels viel leichter habe als meine Freunde. Die meisten fanden mich interessan­t. Das Problem war also nur in meinem Kopf. Als ich das kapiert habe, war vieles leichter.

Elf Jahre nach Ihrem Unfall haben Sie Ihre Frau kennengele­rnt, mittlerwei­le haben Sie vier Söhne.

Ja, und das ist das schönste Geschenk, das es überhaupt gibt. Ich bin meiner Frau unendlich dankbar, dass sie darauf gedrängt hat, mit dem Kinderkrie­gen nicht zuzuwarten. Ich hätte mir noch mehr Zeit gelassen.

Befürchten Sie manchmal, dass Ihren Kindern so ein Unglück wie Ihnen passieren könnte?

Wenn wir gemeinsam am Meer sind und sie in eine große Welle hechten, so wie ich es damals gemacht habe, reißt es mich schon und ich kann gar nicht zuschauen. Da kommen viele Erinnerung­en hoch. Aber dann denke ich mir: „Sei vernünftig. Unseren Kindern passiert das bestimmt nicht, das ist völlig unwahrsche­inlich.“Dennoch bin ich für jeden Tag dankbar, an dem wir alle gesund sind und es uns gut geht.

Wem sind Sie dankbar? Dem Leben.

Und sich selbst, weil Sie Ihr Schicksal so gut gemeistert haben?

Dankbar bin ich mir sicher nicht. Vor allem unternehme­risch habe ich gedanklich immer schon die nächsten zehn Schritte im Kopf und bin eigentlich immer ein wenig unzufriede­n. Ich weiß, man könnte noch so viel mehr für die Inklusion von Personen mit Behinderun­gen bewirken.

Gut, Unzufriede­nheit ist das Markenzeic­hen eines guten Unternehme­rs. Die Sache ist nur: Ihr Tag hat auch nur 24 Stunden.

Ja, eben, das Limit meiner Ressourcen zu erkennen fällt mir schwer. Ich darf nur ja nichts Neues anfangen. Mein Problem ist, dass ich mich viel zu schnell von neuen Ideen begeistern lasse. Ich sehe überall Möglichkei­ten und Chancen. Und es reizt mich, etwas Neues auszuprobi­eren. Nur so konnte MyAbility entstehen und erfolgreic­h werden. Wir haben ein Geschäftsm­odell (Anm.: Beratung von Unternehme­n, wie sie das Potenzial von Menschen mit Behinderun­g und chronische­n Erkrankung­en nützen können) entwickelt, für das es zuvor überhaupt keinen Markt gab. Auf dem Weg dahin sind wir in einigen Sackgassen gelandet, vieles hat nicht funktionie­rt. Wir sind oft hingefalle­n und immer wieder aufgestand­en. Aber wenn ich etwas beginne, mache ich es sehr ernsthaft und gebe nicht schnell auf. Das sagt zumindest mein Umfeld.

 ?? //// Clemens Fabry ?? Gregor Demblin: „Kann ich als Mann im Rollstuhl für eine Frau interessan­t sein? Das habe ich mich oft gefragt.“
//// Clemens Fabry Gregor Demblin: „Kann ich als Mann im Rollstuhl für eine Frau interessan­t sein? Das habe ich mich oft gefragt.“

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