Die Schöne, die ihre dunkle Seite erobert
Poetisch und vielschichtig bringt Henry Mason die Geschichte von der Schönen und dem Biest auf die Bühne. Einen Prinzen und eine Hochzeit gibt es bei ihm nicht.
er an „Die Schöne und das Biest“denkt, hat wahrscheinlich den Disney-Film vor Augen: Um ihren Vater zu retten, begibt sich Belle in das Schloss des Biestes, erkennt als Einzige das wahre Wesen des Ungeheuers, das Biest wird dadurch von seinem Fluch befreit und verwandelt sich zurück in einen Prinzen. Das Theater der Jugend zeigt eine andere Fassung des Märchens. „Meine Fassung spielt um 1920, aber geht auf die französische Novelle von Madame de Villeneuve aus dem Jahr 1740 zurück. Ich habe Dutzende weitere Versionen des Märchens gelesen und mir die Dinge herausgezogen, die ich mag“, erzählt Henry Mason, der sein Stück auch auf die Bühne bringt. Er mag Märchen, mythologische und fantastische Stoffe. „Ich wollte aber weniger Betonung auf die Ehe und die Romantik. Muss das Biest ein Prinz sein? Braucht man zum Glück ein Schloss? Da lügt man Kindern etwas vor“, sagt er.
WDie dunkle Seite erobern. In seiner Theaterfassung verliert die Familie der Schönen bei einem Brand das Haus. Belle und ihre Schwester, die sehr an materiellen Dingen hängen, sind der Überzeugung, dass Glück mit Besitz verbunden ist. Erst im Lauf des Stücks gelingt es ihr, hinter die Fassade zu schauen, zu sehen, dass auch Unkraut blühen kann, die Schönheit der Seele zu entdecken.
„Es geht um die Emanzipation von Belle. Sie muss ihre Wildheit, ihre Wut, ihre dunkle Seite erobern“, so Mason. Auch im Märchen
von Madame Villeneuve ist Emanzipation ein Aspekt. „Es wurde von Frauen für Frauen geschrieben. Belle wurde in ihrer Familie ausgenutzt, sie musste für alle sorgen. Bis sie lernt, sich auf die Hinterfüße zu stellen, einen Schritt nach außen zu machen.“
Die weibliche Perspektive versucht Mason aufzugreifen, er gibt der Geschichte einen Nebenaspekt: Mütter fehlen oft im Märchen, die verschwundene Mutter begleitet Belle im Kopf.
Die Kostüme sind an die Zeit um 1920 angelehnt, auch die Musik stammt aus der Epoche: Ragtime und Charleston verkörpern die dekadente Welt der reichen Familie, französische Volksmusik ist zu hören, und Kammermusik von Francis Poulenc steht für das Biest.
Gibt es ein Happy End? „Ja, es gibt einen hoffnungsvollen Optimismus. Mehr möchte ich nicht verraten.“Moralapostel will Mason keiner sein. „Märchen funktionieren ähnlich wie ein Spiel, es findet ein Akt der Entwicklung, des Begreifens, des Durchdenkens statt. Moralisierend ist das nur, wenn es eindimensional ist. Ich versuche mehrdeutige, vielschichtige, poetische Geschichten auf die Bühne zu bringen. Und habe ein tolles Team!“