Die Presse am Sonntag

Die Schöne, die ihre dunkle Seite erobert

Poetisch und vielschich­tig bringt Henry Mason die Geschichte von der Schönen und dem Biest auf die Bühne. Einen Prinzen und eine Hochzeit gibt es bei ihm nicht.

- VON DANIELA TOMASOVSKY

er an „Die Schöne und das Biest“denkt, hat wahrschein­lich den Disney-Film vor Augen: Um ihren Vater zu retten, begibt sich Belle in das Schloss des Biestes, erkennt als Einzige das wahre Wesen des Ungeheuers, das Biest wird dadurch von seinem Fluch befreit und verwandelt sich zurück in einen Prinzen. Das Theater der Jugend zeigt eine andere Fassung des Märchens. „Meine Fassung spielt um 1920, aber geht auf die französisc­he Novelle von Madame de Villeneuve aus dem Jahr 1740 zurück. Ich habe Dutzende weitere Versionen des Märchens gelesen und mir die Dinge herausgezo­gen, die ich mag“, erzählt Henry Mason, der sein Stück auch auf die Bühne bringt. Er mag Märchen, mythologis­che und fantastisc­he Stoffe. „Ich wollte aber weniger Betonung auf die Ehe und die Romantik. Muss das Biest ein Prinz sein? Braucht man zum Glück ein Schloss? Da lügt man Kindern etwas vor“, sagt er.

WDie dunkle Seite erobern. In seiner Theaterfas­sung verliert die Familie der Schönen bei einem Brand das Haus. Belle und ihre Schwester, die sehr an materielle­n Dingen hängen, sind der Überzeugun­g, dass Glück mit Besitz verbunden ist. Erst im Lauf des Stücks gelingt es ihr, hinter die Fassade zu schauen, zu sehen, dass auch Unkraut blühen kann, die Schönheit der Seele zu entdecken.

„Es geht um die Emanzipati­on von Belle. Sie muss ihre Wildheit, ihre Wut, ihre dunkle Seite erobern“, so Mason. Auch im Märchen

von Madame Villeneuve ist Emanzipati­on ein Aspekt. „Es wurde von Frauen für Frauen geschriebe­n. Belle wurde in ihrer Familie ausgenutzt, sie musste für alle sorgen. Bis sie lernt, sich auf die Hinterfüße zu stellen, einen Schritt nach außen zu machen.“

Die weibliche Perspektiv­e versucht Mason aufzugreif­en, er gibt der Geschichte einen Nebenaspek­t: Mütter fehlen oft im Märchen, die verschwund­ene Mutter begleitet Belle im Kopf.

Die Kostüme sind an die Zeit um 1920 angelehnt, auch die Musik stammt aus der Epoche: Ragtime und Charleston verkörpern die dekadente Welt der reichen Familie, französisc­he Volksmusik ist zu hören, und Kammermusi­k von Francis Poulenc steht für das Biest.

Gibt es ein Happy End? „Ja, es gibt einen hoffnungsv­ollen Optimismus. Mehr möchte ich nicht verraten.“Moralapost­el will Mason keiner sein. „Märchen funktionie­ren ähnlich wie ein Spiel, es findet ein Akt der Entwicklun­g, des Begreifens, des Durchdenke­ns statt. Moralisier­end ist das nur, wenn es eindimensi­onal ist. Ich versuche mehrdeutig­e, vielschich­tige, poetische Geschichte­n auf die Bühne zu bringen. Und habe ein tolles Team!“

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Rita Newman Belle (Shirina Granmayeh) erkennt, dass Glück nichts mit Besitz zu tun hat.

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