Wie aus Kriegern Bauern werden
Im südostafrikanischen Mosambik tobte ein langer, blutiger Bürgerkrieg. Nachdem im Vorjahr die letzte Militärbasis der Rebellen geschlossen wurde, sollen frühere Kämpfer wieder ihren Platz in der Gesellschaft finden. Unterstützung kommt auch aus Österreic
Er spricht langsam und leise. Wenn Justino Jaime Canda von seinem alten Leben erzählt, schaut er zu Boden. Jahrzehntelang hat sich der heute 66-Jährige mit einem Maschinengewehr bewaffnet in den dichten Wäldern versteckt gehalten. Jahrzehntelang hat er aufseiten der Rebellenorganisation in einem blutigen Bürgerkrieg gegen die Regierung des südostafrikanischen Landes Mosambik gekämpft. Justino Jaime Canda war mehr als 40 Jahre lang ein Soldat im Untergrund. Heute hat er den Weg zurück in das Leben gefunden, das er sich so lang gewünscht hat.
Justino Jaime Canda ist in einem Dörfchen in der mosambikanischen Provinz Sofala zu Hause. Heute zeigt er vor, wie er aus Knoblauch und Seife Biospritzmittel für seine Maispflanzen mischt. Er marschiert zwischen den Reihen an Tomaten, die an Schnüren in die Höhe gezogen werden, noch zarten Bohnenpflänzchen und den dünnen Fäden der frisch aus dem Boden geschossenen Zwiebeln. Am Rand des kleinen Feldes, das er gemeinsam mit anderen Bauern bewirtschaftet, sagt er, dass er froh sei, heute nicht mehr ständig auf der Hut sein zu müssen. „Meine einzigen Sorgen gelten dem Feld.“
Vor allem in der Provinz Sofala, die fast so groß wie Österreich ist, tobte seit den späten 1970er-Jahren ein Bürgerkrieg. Kaum hatte das riesige Land mit mehr als 3000 Kilometern Küstenlinie am Indischen Ozean die Unabhängigkeit von der portugiesischen Kolonialmacht erlangt, begannen die Rebellen des Renamo (Nationaler Widerstand Mosambiks) ihren Kampf gegen die marxistisch ausgerichtete Regierung unter der Frelimo (Mosambikanische Befreiungsfront). Die einen bekamen Unterstützung aus Südafrika und aus den USA, die anderen von der Sowjetunion.
Schauplatz der Auseinandersetzungen war vor allem die zentrale Provinz Sofala. Dort zogen sich die Rebellen
nd in die dichten Wälder zurück. Sie versteckten sich in den Gorongosa-Bergen und im riesigen Gorongosa-Nationalpark, den die Portugiesen schon im Jahr 1960 errichtet hatten. Dort schlugen sie ihr Hauptquartier auf, von dort aus operierten die Rebellengruppen gegen die Soldaten der Regierung.
Bis Anfang der 1990er-Jahre waren mehr als fünf Millionen Menschen vertrieben worden. Die meisten blieben in Mosambik selbst, etwa 1,8 Millionen flüchteten in die Nachbarländer. Und bis zu eine Million Menschen starben in diesem Konflikt, der erst 1992 durch den Friedensvertrag von Rom einigermaßen beruhigt werden konnte. Das Kampfgebiet war durch Landminen auf Jahre hinweg unbrauchbar gemacht worden. Einst als artenreichster Nationalpark bekannt, wurde der Tierbestand des Gorongosa-Parks in den 16 Jahren Bürgerkrieg fast völlig dezimiert. Kämpfer und Bevölkerung waren auf das Wildfleisch angewiesen. Außerdem finanzierten die Rebellen den Kauf von Waffen durch den Handel mit Elfenbein. Das Land stand nach den Jahren des Krieges wirtschaftlich am Abgrund.
„Ich hatte keine Chance“, sagt Justino Jaime Canda. „Ich wurde gefangengenommen und musste gehorchen, sonst hätten sie mich hingerichtet.“Mit 23 Jahren wurde er, wie viele andere auch, zwangsrekrutiert. Der Renamo war berüchtigt dafür, auch Kindersoldaten einzusetzen. Seine Gruppe sei im Busch von Unterschlupf zu Unterschlupf gezogen, sie lebten in Hütten aus Ästen und Zweigen. „Ständig musste man aufpassen, auf sich selbst und auf andere.“
Auch nach 1992 flammten die bewaffneten Auseinandersetzungen immer wieder auf. Erst 2019 kam es zur Unterzeichnung des dritten Friedensvertrags, der einerseits die Eingliederung von Renamo-Kämpfern in das Militär des Landes vorsah und andererseits den Übergang der früheren Rebellentruppe zu einer politischen Partei. Diese tritt heute bei Wahlen an und hat in der Provinz Sofala ihre Hochburg. Gleichzeitig wurde ein Prozess in Gang gesetzt, um die Kämpfer zu entwaffnen und wieder in die Gesellschaft einzugliedern – in Mosambik versteht man unter der Abkürzung DDR (Demobilisierung, Demilitarisierung, Reintegration) diesen Friedensprozess.
Ihr Hauptquartier schlugen die Rebellen in den Wäldern von Gorongosa auf.
Schließung der Rebellencamps. „Die Renamo-Kämpfer hatten noch bis zum Vorjahr drei Militärbasen im Bezirk Gorongosa“, erklärt Pedro Mussengue in seinem Besprechungszimmer der Bezirksverwaltung von Gorongosa. Mussengue, der neben der grün-schwarzgelb-roten mosambikanischen Flagge Platz genommen hat, ist der Bezirkshauptmann des Gebiets und noch immer Tag für Tag mit den Folgen des Bürgerkriegs konfrontiert. Erst im Juni 2023 verließen die letzten Rebellen die letzten drei Camps in Gorongosa. 271 Frauen und 4950 Männer gaben ihre Waffen ab, gingen zurück zu ihren Familien oder mussten sich ein neues Zuhause suchen. Einer von ihnen war Justino Jaime Canda.
Die Frage, wie die früheren Kämpfer nach all den Jahren im Busch und in den Militärlagern wieder Bestandteil „des sozialen Gefüges“, wie Mussengue sagt, werden können, beschäftigen den Lokalpolitiker seit Langem. Gemeinsam mit eigenen Komitees ist er durch die Dörfer seines Bezirks getourt und hat Gespräche zwischen ehemaligen Kämpfern und Dorfbewohnern gestartet. „Wir haben darüber gesprochen, was den Menschen wichtig ist, was sie brauchen und was sie sich wünschen.“
Außerdem habe die Bezirksverwaltung Busse in die Dörfer ge
schickt, um allen Einwohnern zu ermöglichen, sich registrieren zu lassen und somit einen offiziellen Ausweis zu beantragen. Ohne diesen Identitätsnachweis in Kreditkartengröße bleiben den Mosambikanern der Zugang zu Behörden, der Kauf von Land, die Beantragung von staatlicher Pension verwehrt.
In allen vom Konflikt betroffenen Gebieten wird Ex-Kämpfern und ihren Familien im Rahmen des Programms „Delpaz“(„Vom Frieden“) Unterstützung angeboten. Sie können sich für eine Ausbildung etwa zur Mechanikerin, zum Maurer, Tischler, zur Elektrikerin oder zum Koch entscheiden. Sie erhalten aber auch Schulungen, um die Anbaumethoden auf ihren Feldern zu verbessern, oder Anleitung für die Gründung von Spargruppen. Auch kommunale Brunnen und Wasserleitungen werden gebaut. Delpaz ist ein EU-Projekt, für das aus Österreich nicht nur Finanzmittel kommen (eine Million Euro des Gesamtbudgets von zwölf Millionen). Österreich ist auch über die Agentur der Österreichischen Entwicklungszusammenarbeit (kurz ADA) direkt an der Umsetzung beteiligt.
Kein Job. „Als Sohn eines Ex-Kämpfers bin ich diskriminiert worden“, sagt João Ezechiel Filipe. „Allein wegen meines Familiennamens wurde ich ausgeschlossen.“2023 hat der 25-Jährige schließlich einen Ausbildungsplatz an der Trainingsakademie „Young Africa“erhalten (im Rahmen des Projekts Delpaz zur Reintegration der Kämpfer und ihrer Familien) und einen mehrmonatigen Kurs absolviert. Heute ist Filipe Tischler in Bezirk Maringué. Gemeinsam mit drei Kollegen betreibt er einen kleinen Betrieb und stellt Möbel, Fenster und Türen her. Als Starthilfe haben die vier einen Werkzeugkoffer mit Sägen, Hammer, Nägeln, Leim und anderen Dingen bekommen. 570 junge Menschen konnten im Vorjahr ihre Ausbildung im Trainingszentrum abschließen. Bewerbungen für die begehrten Plätze gab es dreimal so viele.
„Ich möchte genug verdienen, um mir mein eigenes Werkzeug zu kaufen“, sagt Filipe. Dann will er sich selbstständig machen. Durch die Ausbildung gehe es ihm jetzt besser, schön langsam werde er „Teil der Community“.
Auch Nhacha Luis Manuel kommt aus einer Familie von Renamo-Kriegern. Ihr Onkel habe in Gorongosa gekämpft. Deswegen habe sie einen der begehrten Plätze erhalten und eine Ausbildung zur Köchin gemacht. Ausgrenzung habe sie nicht erfahren, erzählt die 24-Jährige. Mit weißer Mütze und weißem Kasack frittiert sie in der Schulküche kleine, mit Shrimps gefüllte Teigtaschen. Die junge Mutter hat sich mittlerweile selbstständig gemacht und bäckt Kuchen und Kekse auf Bestellung. Die Geschäfte gingen gut, sagt sie, „vor allem meine Spezialität, Ananaskuchen“.
Im Bezirk Gorongosa haben 17
nd
„DDR-Begünstigte“– wie Lokalpolitiker Pedro Mussengue die Ex-Kämpfer und ihre Angehörigen nennt – ihre eigenen Geschäfte eröffnet. Außerdem arbeiten weitere 70 in lokalen Unternehmen. Eine Erfolgsgeschichte in dieser von Kriegen gebeutelten Provinz. Weiters haben in Gorongosa 72 Ex-Kämpfer einen kleinen Acker vom Staat erhalten, um sich dort eine Existenz aufbauen zu können. Der Staat hat – als Teil der Friedensvereinbarungen – finanzielle Pakete zur Wiedereingliederung geschnürt. Derzeit wird über Pensionszahlungen für die heute meist betagten Kämpfer diskutiert.
Leere Staatskassen. Doch mit den Staatsfinanzen sieht es düster aus. Die Kassen sind leer. Zwar ist Mosambik reich an Bodenschätzen, verfügt über Erdgas, Kohle, seltene Rohstoffe wie Gold und Edelsteine sowie Industriemineralien. Die größten Vorkommen sind in der nördlichsten Provinz, Cabo Delgado. Doch dort terrorisieren islamistische Gruppierungen die Bevölkerung und destabilisieren den Staat. Dieser undurchsichtige Konflikt hat Hunderttausende Menschen vertrieben.
Zudem haben sich große Konzerne Abbaulizenzen für die Bodenschätze gesichert und fördern vor allem Erdgas und Kohle. Von den Gewinnen bleibt nichts im bitterarmen Land. Von einem riesigen Korruptionsskandal, in den zahlreiche amtierende und ehemalige Regierungsmitglieder bis hinauf zum Präsidenten verwickelt waren, erholt sich das Land, das wirtschaftlich stark vom großen Nachbarn Südafrika abhängig ist, nur langsam. Ohne Entwicklungshilfegelder von internationalen Gebern wäre die Staatskasse völlig leer. Der Großteil der knapp 33 Millionen Mosambikaner ist damit beschäftigt, den Alltag zwischen Armut und Hunger zu stemmen.
Seine Frau lernte Justino kennen, als er im Untergrund lebte. Sie brachte ihm Essen. {{ Ich wurde zwangsrekrutiert und musste gehorchen, sonst hätten sie mich hingerichtet. JUSTINO JAIME CANDA Kleinbauer und früherer Rebellenkämpfer
Konzerne beuten im Norden Bodenschätze aus. Mosambik blieben keine Einnahmen.
Auf dem Human Development Index, dem Wohlstandsindikator der Vereinten Nationen, findet sich Mosambik unter den Schlusslichtern. 58 Prozent der Bevölkerung haben weniger als einen US-Dollar pro Tag zur Verfügung. Fast ein Viertel hat nicht genug zu essen. Noch dazu leidet das Land immer mehr unter dem Klimawandel. In den vergangenen vier Jahren setzten insgesamt 13 Zyklone dem Land zu. Die Spuren von Freddy, der im Februar und im März des Vorjahres gleich zweimal in Mosambik mit voller Wucht auf Land traf, sind noch nicht beseitigt. Gleichzeitig ist Südostafrika immer häufiger von schweren Dürren, aber auch von Überflutungen bedroht.
Lebenselixier Wasser. Neben dem Feld, das Justino Jaime Canda bewirtschaftet, ist eben erst eine solarbetriebene Pumpe installiert worden. Aus dem nahegelegenen Fluss entnehmen die Bauern Wasser und pumpen es direkt zu den kleinen Kohlpflänzchen, den Bohnen und dem Mais. In wenigen Monaten hoffen sie so eine reiche Ernte einbringen zu können.
Das Feld und die Familie sind Justinos Lebensinhalt geworden. Nachdem er vor knapp einem Jahr die Militärbasis verlassen und seine Waffe abgegeben hatte, ist er zu seiner Frau gezogen. „Wir haben uns im Busch kennengelernt“, sagt er. „Sie brachte immer Essen, und wir sind in Kontakt geblieben.“Jetzt bauen sie gemeinsam das Haus seiner Frau aus. Sechs Kinder haben sie bekommen, zwei sind jedoch gestorben. „Es dauerte sehr lang, bis ich eine Familie hatte.“Und dieses Leben möchte er nun nicht mehr eintauschen.