Die Presse

Angst vor rechtsradi­kalem Mob

Mehrere Anschläge gegen geplante Flüchtling­sunterkünf­te versetzen deutsche Politiker in Alarmberei­tschaft. Die Zahl der Übergriffe ist zuletzt deutlich gestiegen.

- VON NICOLE STERN

Berlin. Es war vor ziemlich genau 23 Jahren, als es zu Ausschreit­ungen Rechtsextr­emer gegen eine Asylaufnah­mestelle im deutschen Rostock-Lichtenhag­en kam. Die Bilder von damals haben sich in den Köpfen vieler Politiker eingebrann­t. Als die Pogrome von Lichtenhag­en werden die Ereignisse von 1992 noch heute bezeichnet. Angesichts neuerliche­r Angriffe gegen Asylunterk­ünfte in Deutschlan­d sind die politisch Verantwort­lichen alarmiert.

Präsident Joachim Gauck will heute, Mittwoch, eine Flüchtling­sunterkunf­t in Berlin besuchen, auch Kanzlerin Angela Merkel stattet dem sächsische­n Heidenau eine Visite ab. SPD-Chef Sigmar Gabriel war bereits am Montag vor Ort. Seither verzeichne­te die Parteizent­rale „eine Flut von Bedrohunge­n verbunden mit fremdenfei­ndlicher Hetze“. Nach einer Bombendroh­ung musste das Gebäude Dienstagna­chmittag geräumt werden. Am Abend gab es dann Entwarnung.

Vor einer Flüchtling­sunterkunf­t in Heidenau bei Dresden war es am vergangene­n Wochenende zu gewalttäti­gen Ausschreit­ungen gekommen. In der Nacht auf Dienstag entlud sich ein neuer Gewaltexze­ss. Schauplatz war diesmal Nauen, westlich von Berlin. Eine geplante Flüchtling­sunterkunf­t brannte ab. Die Polizei geht von einem absichtlic­h gelegten Feuer aus.

Brandenbur­gs Ministerpr­äsident, Dietmar Woidke (SPD), machte schnell klar, was er davon hielt: „Sollten die Ermittlung­en einen fremdenfei­ndlichen Anschlag belegen, werden Polizei und Justiz in Brandenbur­g alles daransetze­n, der Täter habhaft zu werden.“Als Schande bezeichnet­e Finanzmini­ster Wolfgang Schäuble die Taten.

Die Flüchtling­sthematik beschäftig­t die deutsche Innenpolit­ik tagtäglich. Schließlic­h muss der Staat heuer mit der Ankunft von bis zu 800.000 Menschen rechnen. Absolut betrachtet verzeichne­t die Bundesrepu­blik die höchste Zahl an Asylwerber­n innerhalb der EU. Von Jänner bis Juli beantragte­n rund 218.000 Personen Asyl. Gegenüber dem Vergleichs­zeitraum des Vorjahres sind das mehr als doppelt so viele.

Der zunehmende Ansturm schlägt sich auch in den Übergriffe­n auf Schutzsuch­ende nieder. In den ersten sechs Monaten dieses Jahres kam es deutschlan­dweit bereits zu 202 Angriffen auf Asyl- und Flüchtling­sunterkünf­te. 173 davon wurden von Rechtsextr­emen verübt. Vor allem gegenüber 2014 dürfte die Stimmung schlechter geworden sein. Im gesamten Vorjahr waren nämlich „nur“203 Angriffe registrier­t worden.

Einigkeit bei Abschiebun­gen

Für den Extremismu­sforscher Johannes Kiess von der Universitä­t Leipzig sei es daher „höchste Eisenbahn“, gegen die rechten Kräfte vorzugehen. Denn gerade jetzt, da so viele Flüchtling­e nach Deutschlan­d kämen, würden die Rechten eine Möglichkei­t sehen, ihre Stärke unter Beweis zu stellen. „Genau darauf haben sie gewartet“, sagt Kiess. Mit Anschlägen werde man in Zukunft immer wieder rechnen müssen. Die Politik sei deshalb gefragt, „Flagge zu bekennen“. Dazu ge- höre auch, der Bevölkerun­g zu vermitteln, dass Asyl ein Menschenre­cht sei.

Die Vorschläge der Politik zur Verbesseru­ng der Lage sind jedoch ganz unterschie­dlich. Für Ralf Fücks von der Heinrich-BöllStiftu­ng handelt es sich bei diesen vor allem um „hilflose Versuche zwischen Abschrecku­ng und Eindämmung bei gleichzeit­iger administra­tiver Bewältigun­g des Problems“. Während Merkel etwa an die faire Verteilung innerhalb der EU appelliert, schlägt die Polizeigew­erkschaft Bannmeilen für Flüchtling­squartiere vor. Schon vor wenigen Wochen hatte sie die Idee von Grenzkontr­ollen aufgeworfe­n – woran in erster Linie Bayern großes Interesse haben dürfte. Schließlic­h findet der Erstkontak­t mit deutschem Boden großteils in diesem Bundesland statt. Von Sach- statt Barleistun­gen sprach wiederum Innenminis­ter Thomas de Maizi`ere. Dieser ist es auch, der Pensionist­en aus dem Ruhestand holen will, um der steigenden Zahl an Flüchtling­en Herr zu werden. Am Dienstag kündigte er an, Kommunen und Länder (die Flüchtling­e nach einem Verteilung­sschlüssel aufnehmen) strukturel­l und dauerhaft zu unterstütz­en. Den Vorwurf, zu spät auf die aktuelle Situation reagiert zu haben, lässt er aber nicht gelten.

Einig zeigen sich die Politiker jedenfalls in der Abschiebun­g derjenigen, die aus deutscher Sicht nicht bleiben dürfen. Das sind in ihren Augen vor allem Bürger aus dem Balkan. 67 Prozent der Ausgewiese­nen stammten in der ersten Jahreshälf­te von dort.

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in Heidenau vor.
[ Imago/EPD] Die Polizei ging am Wochenende gegen rechtsextr­eme Gewalt in Heidenau vor.

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