Die Presse

Pop-up-Restaurant in Alpbach: Krumme Karotten im Hallenbad

Waste Food. Iss mich! verkocht während des Europäisch­en Forums Alpbach Gemüse, das für den Handel nicht gut genug ist. Auch Asylwerber helfen mit.

- VON BERNADETTE BAYRHAMMER

Doch, hier darf gegessen werden – auch, wenn der rote Schriftzug an der Wand des stillgeleg­ten Hallenbads in Alpbach anderes besagt. Es soll sogar. Und es wird auch gegessen. In der Küche der früheren Hallenbadk­antine in dem Tiroler Bergdorf, das wegen des Europäisch­en Forums dieser Tage voll von Menschen aus aller Welt ist, schlichten fünf junge Leute gerade die letzten Gabeln, Teller und Weckgläser in den Geschirrsp­üler. Linseneint­opf, griechisch­e Riesenbohn­en, Zucchininu­deln, Karottensu­ppe: Alles, was heute da war, ist aufgegesse­n. Das ist auch gut so: Aufessen statt wegwerfen ist immerhin das Motto des Wiener Catering-Start-ups Iss mich!, das hier drei Wochen lang ein Pop-upRestaura­nt betreibt.

Was eine einmalige Sache bleiben wird, wenn man das Ächzen von Chef Tobias Judmaier richtig interpreti­ert, der gerade alles für den Abend vorbereite­t. Nein, ohne Spaß: Tatsächlic­h ist die Idee des Forums Alpbach, dass der sogenannte Off-Space, wie das Hallenbad genannt wird, jedes Jahr anders bespielt wird. Den Auftakt machte vor zwei Jahren das (inzwischen sesshafte) Pop-up-Kaffeehaus Vollpensio­n. Judmaier und Iss mich! sind heuer mehr als ein Restaurant: Die Lebensmitt­elverschwe­ndung wird im Hallenbad in einer ganzen Reihe von Diskussion­en und Veranstalt­ungen thematisie­rt.

„Den Bauern blutet das Herz“

Gegen das Wegwerfen anzutreten ist der Kern von Iss mich!, das Judmaier vor drei Jahren gegründet hat und das im Vorjahr bei der Austria-Gala von Lesern der „Presse“in der Kategorie Humanitäre­s Engagement ausgezeich­net wurde. „Täglich werden unfassbare Mengen an Gemüse aussortier­t“, sagt Judmaier. Da Kohlrabis zu groß, Karotten zu klein und krumm sind oder Kartoffeln bei der Ernte Schrammen bekommen haben, werden sie zu Biogas oder Tierfutter verarbeite­t oder wieder ins Feld hineingepf­lügt. „Den Bauern blutet das Herz, wenn sie jeden zweiten Salatkopf auf dem Feld stehen lassen müssen.“

Lieber also geben sie das unverkäufl­iche Gemüse – meist gratis – an Judmaier weiter, der es dann zu – meist vegetarisc­hem, oft veganem – Essen verkocht. In Alpbach hat er bisher rund 200 kg vom Schotthof, dem größten Tiroler Landwirt, bekommen. Mehr folgt.

Lebensmitt­elabfälle zu reduzieren ist aber nicht der einzige Anspruch, den „iss mich!“hat. Verwendet wird Biogemüse. In Wien – wo Lieferserv­ice und Catering angeboten werden – werden Frauen aus den Mutter-Kind-Häusern der Caritas beschäftig­t. Geliefert wird so weit als möglich mit dem Fahrrad.

In Alpbach helfen in der Küche drei Asylwerber mit, die in einer Nachbargem­einde untergebra­cht sind. Das habe sich spontan entwickelt, erzählt Judmaier: Die Arbeit sei mit seinem kleinen Team kaum zu bewältigen gewesen – und so habe man mit der Gemeinde diese Idee entwickelt. Tatsächlic­h ist der Ansturm enorm. Die 150 bis 200 Portionen pro Tag werden eigentlich immer aufgegesse­n. Was vielleicht auch an der Location liegt – die mit ihrem Retrocharm­e ein Paradies für die Hipster unter den Forumsteil­nehmern ist: der braungrüne Fliesenbod­en, die Bank mit dem orange karierten Samtbezug – kombiniert mit den Hockern aus Pappe, die mit Tapeten von Vivienne Westwood aufgemotzt sind (die kommende Woche beim Forum spricht) – und die weißen Bretter

Medienpart­ner „Die Presse“ an der Wand, von denen eine Reihe lustiger Fotos heruntersc­haut. Die Kampagne von Iss mich, für die sich allerhand Forumsteil­nehmer von Präsident Franz Fischler abwärts mit krummem Gemüse ablichten ließen: Fischler mit einem (zu großen) Kohlrabi.

Luft ist auch ein Lebensmitt­el

Die Kunstinsta­llation im eigentlich­en Hallenbad, dem sogenannte­n Waldbad – verschiede­nste Bäumchen und Bäume, die im ausgelasse­nen Schwimmbec­ken stehen –, gehört übrigens thematisch dazu, auch wenn es auf den ersten Blick nicht ganz passt. Die Idee dahinter: Luft ist auch ein Lebensmitt­el. Mit Luft wird oft schlampig umgegangen – und das Waldbad produziert sozusagen Luft zum Atmen.

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] Roß\oth ] Die alten Verbote gelten nicht mehr: Iss-mich!-Gründer Tobias Judmaier im Hallenbad.

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