Wenn der Römerstein mit seinem Latein am Ende ist
I rgendwie kann er einem richtig leidtun, wie er so dasteht, eingezäunt, als müsste man Angst haben, er könnte davonlaufen. Dabei steht er ja schon so lang da, ohne sich vom Fleck zu rühren, und er hat bestimmt noch niemandem auch nur das geringste Leid getan, dass man sich schützen müsste vor ihm: vor dem römischen Meilenstein, der im äußersten Westen von Penzing, an der Grenze zu Niederösterreich, aus dem Waldboden wächst, als hätt’ er Wurzeln geschlagen.
Wär’ kein Wunder: Gut 1700 Jahre hat er hier, nächst der Straße Richtung Tulln, schon ausgeharrt, in der zweiten Hälfte des vierten Jahrhunderts sei er aufgestellt worden, vermutet man, unter der Kaiserdynastie der Valentiniane, zu einer Zeit also, da man römischerseits längst mehr mit sich selbst als mit „veni, vidi, vici“beschäftigt war. Freilich: So ganz sicher ist die zeitliche Einordnung ohnehin nicht, der Meilenstein ist schriftlos, quasi stumm geblieben, erzählt uns nichts von seinem Wann und Warum, wie er auch das Von-wo-wohin verschweigt. Nicht einmal eine richtige Römerstraße hat man in seiner Nähe bisher finden können, wiewohl man schon danach gegraben hat. Egal: Bereits Anfang des 14. Jahrhunderts wird schriftlich von ihm Notiz genommen, in einem Urbar der Passauer, und im Übrigen glaubt man, er habe, im Mittelalter als der „Scheiblige“geläufig, sogar dem nahen Scheiblingstein den Namen gegeben haben.
Heute brausen die Biker an den Wochenenden ein paar Meter neben ihm vorbei, der er doch, im Wald zurückgezogen, nur jenen kenntlich wird, die sich zu Fuß durchs wienerisch-niederösterreichische Grenzland bewegen. So lange Geschichte – und nicht das kleinste Schild, das den Weg zum ihm wiese. Den Stein wird’s nicht weiter grämen: Der hat schon so viel gesehen – Völkerwanderung, Magyarensturm –, da wird ihn die Ignoranz des beginnenden 21. Jahrhunderts auch nicht mehr aus der Römerruhe bringen können. O tempora, o mores? Ach was, mittlerweile ist wahrscheinlich sogar er schon am Ende mit seinem Latein.
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