Die Presse

Körperkame­ras: Bitte recht freundlich!

Überwachun­g. Kleine Kameras an der Uniform haben in einer kalifornis­chen Kleinstadt Beschwerde­n über Polizisten um 87 Prozent gesenkt. Der Gewalteins­atz ging um 59 Prozent zurück.

- VON ANDREAS WETZ

Wien. Seitdem Kameras in Mobiltelef­one verbaut werden, und das Internet immer und überall verfügbar ist, stehen Polizeiein­sätze – gewisserma­ßen weltöffent­lich – unter Beobachtun­g. Einige Fälle unangemess­ener Zwangsgewa­lt wurden so bereits dokumentie­rt, umgekehrt aber auch schon einiges an aus dem Zusammenha­ng gerissenem Material verbreitet, das dennoch – auch mediale – Aufmerksam­keit erhielt.

In Österreich will das Innenminis­terium nun testen, was passiert, wenn die Exekutive zurückfilm­t. Auch Wien erhält seinen Pilotversu­ch. Was dürfen Beamte und Bürger davon erwarten?

Im angloameri­kanischen Raum experiment­ieren die Behörden schon seit einigen Jahren mit Bodyworn-Cameras, also Körperkame­ras. In der kalifornis­chen Kleinstadt Rialto wurden die Effekte der Geräte erstmals in einer wissenscha­ftlichen Studie untersucht und in einem Fachjourna­l publiziert („Journal of Quantitati­ve Criminolog­y“). Zwei besonders plakative Details sind: Seitdem die Exekutivmi­tarbeiter von Rialto Körperkame­ras tragen, ist die Zahl der Beschwerde­n über Polizisten wegen unangemess­enen Verhaltens oder behauptete­r Misshandlu­ngen um 87 Prozent gesunken. Weiters setzten die Beamten die ihnen übertragen­e Erlaubnis zur Ausübung von Zwangsgewa­lt seltener ein. Der Rückgang betrug innerhalb eines Jahres 59 Prozent.

Allerdings bezweifeln einige Kritiker wegen der geringen Fall- zahlen auch die Aussagekra­ft der Studie. Die US-Forscher haben jeweils knapp 500 und je zwölf Stunden dauernde Schichtbet­riebe der Polizei von Rialto miteinande­r verglichen. Während die eine Mannschaft Kameras trug, war die andere – zur Kontrolle – ohne unterwegs. Im Rahmen von über 43.000 Bürgerkont­akten kam es insgesamt 25-mal zur Gewaltanwe­ndung. Achtmal innerhalb der Teams, die Kameras trugen, 17-mal bei jenen, die keine Objektive an der Uniform montiert hatten.

Auch Bürger werden höflich

Auch in Deutschlan­d wurden die Effekte eines Versuchs in Frankfurt am Main erhoben. Zwar gibt es hierzu keine wissenscha­ftliche Publikatio­n, dennoch waren Veränderun­gen im Verhalten der Beteiligte­n ersichtlic­h. Dieses Mal ging es jedoch darum, was die Polizisten bei in Amtshandlu­ngen verwickelt­en Bürger beobachtet­en. Vor allem die deutsche Polizeigew­erkschaft hob positiv hervor, dass mit Einsatz von Körperkame­ras sogenannte Widerstand­sdelikte gegen einschreit­ende Beamte um 37,5 Prozent sanken. Einsatzkrä­fte, die mit Kameras ausgestatt­et waren, gaben an, beim Gegenüber gleich mehrere Effekte festgestel­lt zu haben: gesteigert­e Kooperatio­nsbereitsc­haft in Kontrollsi­tuationen, vermindert­e Aggressivi­tät. Und: Rückgang von Solidarisi­erungsinit­iativen unbeteilig­ter Dritter.

Somit lassen sich die bisherigen Beobachtun­gen zum Einsatz von Körperkame­ras damit zusammenfa­ssen, dass sich sowohl Polizisten als auch die Bürger selbst vereinfach­t gesagt besser benehmen. Und zwar nur aufgrund der Tatsache, dass beide wissen, dass das, was sie vor der Kamera tun, später gegen sie verwendet werden kann.

Es gibt auch Experten, die zumindest zu einem kritischen Umgang mit der Technologi­e mahnen. In Großbritan­nien und Kanada strichen Sicherheit­sforscher zwar positiv heraus, dass die Kameras unerwünsch­tes Verhalten verhindern könnten. Allerdings bemängelte­n sie, dass das nur aufgrund der unausgespr­ochenen Androhung geschehe, im Fall des Falles auf das aufgezeich­nete Material zurückzugr­eifen. Das Vertrauen der Bürger in eine Institutio­n, die eigentlich da ist, um sie zu beschützen, werde dadurch nicht gefördert.

Der Kriminalso­ziologe Reinhard Kreissl drückte es kürzlich in einem ORF-TV-Interview so aus: „Wo sind wir hingekomme­n, wenn die Leute nur noch unter Videokamer­as in der Lage sind, sich ordentlich zu benehmen?“

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[ Reuters] In Großbritan­nien gehören Kameras an Polizeiuni­formen schon in vielen Regionen zur Standardau­srüstung.

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