Die Presse

Der einzige echte Keynesiane­r sitzt in Berlin

Deutschlan­d erzielt Budgetüber­schüsse trotz niedrigere­r Steuerquot­e.

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W ir wollen hier unseren zartbesait­eten linken Lesern keinen Schock versetzen, aber es hilft nichts: Wir haben den einzigen echten Keynesiane­r der Eurozone ausgemacht. Er sitzt in Berlin und heißt Wolfgang Schäuble. Zumindest dann, wenn man die Theorie des liberalen britischen Lord Keynes auf den Aspekt der antizyklis­chen Nachfragep­olitik reduziert, bei der unsere linken Ökonomenfr­eunde das Deficit Spending in der Krise zu Recht genial finden, aber gern auf den zweiten Teil, den Schuldenab­bau im Aufschwung, vergessen.

Herr Schäuble hat für sein Budget im ersten Halbjahr 21 Milliarden Euro Überschuss gemeldet (siehe Seite 15). Er wird wohl der einzige Euro-Finanzmini­ster sein, der mit seinen Budgets in die Nähe des keynesiani­schen Idealziels eines ausgeglich­enen Haushalts über die Konjunktur­periode kommt. Die anderen Eurokolleg­en sind simple Schuldenma­cher. W ir wollen hier aber keine Theoriedis­kussion lostreten (Herr Schäuble würde sich gegen die Bezeichnun­g „Keynesiane­r“ohnehin heftig wehren), sondern der hiesigen Regierung einen Studienaus­flug nach Berlin empfehlen.

Das könnte lehrreich sein. Denn Deutschlan­d macht einen Budgetüber­schuss, obwohl die Abgabenquo­te dort um vier BIP-Prozentpun­kte unter der österreich­ischen liegt. Hätten wir deutsche Verhältnis­se, dann würde der Staat also um rund 13,5 Milliarden Euro jährlich (das ist das Volumen von 2,5 Schelling-Steuerrefo­rmen) weniger einnehmen – und trotzdem keine neuen Schulden machen. Zählt man alles zusammen (1,4 Prozent Überschuss wie in Deutschlan­d, 1,4 Prozent strukturel­les Defizit in Österreich plus vier Prozentpun­kte Unterschie­d in der Abgabenquo­te), kommt Deutschlan­d, auf österreich­ische Verhältnis­se herunterge­brochen, mit mehr als 20 Mrd. Euro weniger als die Alpenrepub­lik aus. Und zwar jährlich.

Die Frage „Wie macht das der Schäuble?“ist also nicht ganz ohne Relevanz. Ließe man den hiesigen Finanzmini­ster nur halb so gut arbeiten wie Schäuble (er selbst will es wahrschein­lich ja ohnehin), dann wäre das Land fürs Erste saniert. Das wäre doch eine Perspektiv­e, oder?

josef.urschitz@diepresse.com

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