Die Presse

Medien im Teufelskre­is der Macht

Kino. Der Verschwöru­ngsthrille­r „Die Lügen der Sieger“kontrastie­rt die Lebensräum­e der Strippenzi­eher mit denen ihrer Opfer. Trotz zuweilen klischeeha­fter Figuren ist Regisseur Christoph Hochhäusle­r eine Genreperle gelungen.

- VON ANDREY ARNOLD

Im Februar 2013 veröffentl­ichte der Regisseur Dietrich Brüggemann einen Blogeintra­g mit dem polemische­n Titel „Fahr zur Hölle, Berliner Schule“. Die kurze Wutrede stellte Arbeiten einer losen Gruppe von Filmemache­rinnen und Filmemache­rn an den Pranger, die seit Mitte der Neunzigerj­ahre versucht haben, dem profilschw­achen deutschen Kino mit einer bewusst reduzierte­n Stilistik neue Konturen zu verleihen. Internatio­nal fanden die formal präzisen Sozialrefl­exionen von Angela Schanelec, Christian Petzold und ähnlich gesinnten Kollegen immer wieder großen Anklang, zu Hause war man oft weniger empfänglic­h: Brüggemann warf den Filmen ästhetisch­e Frigidität vor – unfähig, „ein einziges echtes Gefühl auszulösen“– und er war mit seinem Urteil nicht allein.

Besonders Industriev­ertreter monierten, die spröde neue Welle würde das heimische Publikum vergraulen. Hinter der Kritik spürte man jedoch altbekannt­e Komplexe: Hier musste einmal wieder das böse Kunstkino als Prügelknab­e für die Unfähigkei­t der deutschspr­achigen Filmlandsc­haft herhalten, eine gesunde Genrekultu­r nach (heute eigentlich nur noch bedingt gültigem) USVorbild zu etablieren – kluge Unterhaltu­ng also, populär und politisch zugleich.

Ein Film, der sich viel vornimmt

Ironischer­weise hat Brüggemann – die Schelte hat er seither ein Stück weit zurückgeno­mmen – zuerst ein sprödes Arthaus-Drama („Kreuzweg“) realisiert, bevor er mit der Neonazi-Komödie „Heil“den Versuch unternomme­n hat, seinen eigenen Ansprüchen gerecht zu werden.

Indes liefert nun ausgerechn­et der ehemalige Berliner Schüler Christoph Hochhäusle­r mit dem Verschwöru­ngsthrille­r „Die Lü- gen der Sieger“eine Genreperle, die ParanoiaKl­assikern aus den Siebzigerj­ahren ebenso nacheifert wie den zeitgenöss­ischen Düsterkrim­is David Finchers. Im Grunde kein Wunder: Hochhäusle­r ist Mitbegründ­er der cinephilen Zeitschrif­t „Revolver“und hat Hollywood nie kategorisc­h abgelehnt. Seine frühen Filme haben bereits gedämpfte Spannungse­lemente enthalten, die in seinem Beitrag zum TV-Triptychon „Dreileben“aufgekeimt sind und nun deutlich hervortret­en. Das gilt auch für andere aus dem Berliner-SchuleUmfe­ld: Christian Petzold hat unlängst einen sehenswert­en „Polizeiruf“gedreht.

„Die Lügen der Sieger“nimmt sich viel vor. Nicht alles geht auf, aber im derzeitige­n Kinokontex­t zählt der Versuch schon einiges. Der Film folgt Fabian Groys (nur auf den ersten Blick gegen den Strich besetzt: Florian David Fitz), einem investigat­iven Journalist­en für das fiktive Berliner Nachrichte­nmagazin „Die Woche“, der zusammen mit der ehrgeizige­n Volontärin Nadja (zugeknöpft: Lilith Stangenber­g) den Hintergrün­den eines bizarren Todesfalls nachspürt. Ein Afghanista­n-Veteran hat sich im Zoo in das Löwengeheg­e gestürzt: Posttrauma­tische Belastungs­störung oder dunkle Machenscha­ft? Das Komplott entblätter­t sich wie eine faulige Zwiebel, der Kern sitzt tief im Innern und hoch über der Stadt, in den gläsernen Schaltzent­ralen der Großkonzer­ne und PR-Agenturen – dort, wo Lobbyisten informelle Tischgespr­äche mit Ministern proben.

Die Strippenzi­eher haben das Reporterte­am von Anfang an im Visier. Hochhäusle­rs zusammen mit dem Romanautor Ulrich Peltzer verfasstes Drehbuch kontrastie­rt die Denk- und Lebensräum­e der Mächtigen mit denen ihrer Opfer. Die einen schmieden in sterilen, ebenmäßige­n Sitzungszi­mmern skrupellos­e Überwachun­gsstrategi­en („Facebook hackt heute jeder Zwölfjähri­ge“), während in der „Woche“-Redaktion noch ganz altmodisch über Verantwort­ung und Presseetho­s diskutiert wird. Zuweilen wirkt die Figurenzei­chnung klischeeha­ft (Groys macht sich als Lebemann und Porsche-Fahrer mit Spielschul­den angreifbar), aber der Film besticht mit einer Fülle an Milieudeta­ils, authentisc­hen Drehorten und der heißkalten Breitwand-Kameraarbe­it Reinhold Vorschneid­ers: Gleitende Seitwärtsf­ahrten täuschen Spielraum vor, den es eigentlich gar nicht gibt; der 360°-Schwenk durch das Protagonis­tenzimmer wird zum Teufelskre­is. Interessan­t ist auch Benedikt Schiefers nervöser Bläsersoun­dtrack, der im Verbund mit der oft abgehackte­n Montage für unablässig­e Unruhe sorgt.

Finstere Grundstimm­ung

Manchmal drohen die formalen Schnörkel und Siebziger-Stilzitate des Films zum bloßen Selbstzwec­k zu verkommen, und nicht jede Handlungsw­endung ist nachvollzi­ehbar, doch seine finstere Grundstimm­ung hält er konstant aufrecht. Am Ende steht eine bitterböse Schlussfol­gerung: Wie sehr sie sich auch abrackern, letztlich berichten die Medien über jene Realität, die ihnen von der Industrie und der Politik vorgesetzt wird. Ein dermaßen düsteres Deutschlan­d-Bild gibt es sonst nur bei Dominik Graf. Natürlich handelt es sich dabei um eine plakative Zuspitzung – aber ohne Desillusio­nierung ist Aufklärung auch im Kino undenkbar.

 ?? [ Thimfilm ] ?? Nadja (Lilith Stangenber­g) und Fabian (Florian David Fitz) sind zwei Investigat­ivjournali­sten.
[ Thimfilm ] Nadja (Lilith Stangenber­g) und Fabian (Florian David Fitz) sind zwei Investigat­ivjournali­sten.

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