Die Presse

Deutschlan­d schwimmt im Geld

Analyse. Auf fallende Kurse folgen die Rufe nach billigem Geld. Aber die Macht von Zentralban­ken wird massiv überschätz­t. Sie können zwar die Börsen heben, aber nicht die Realwirtsc­haft retten.

- VON NIKOLAUS JILCH

Deutschlan­d hat im ersten Halbjahr dank guter Konjunktur 21,1 Mrd. Euro Budgetüber­schuss erwirtscha­ftet, den höchsten seit 15 Jahren.

Wien. Seit der Finanzkris­e sind die Taten der Zentralban­ken für viele Anleger und Analysten zu einer Obsession geworden. Diese Reaktion entspricht dem heute wohl am meisten verbreitet­en ökonomisch­en Weltbild, das in etwa so lautet: Da gibt es etwas, das Wirtschaft oder Markt genannt wird. Wenn dieses Ding funktionie­rt, ist das toll. Und wenn dieses etwas nicht so tut, wie es soll, dann springen eben Zentralban­ken (und Staaten) ein, um es wieder zu richten.

Im kommunisti­schen China mag das sogar verständli­ch sein. Aber nirgends ist es heute sichtbarer als an der Wall Street, dem angebliche­n „Herz des Kapitalism­us“. Vom Riesen-Hedgefonds bis zum Kleinanleg­er starren alle stur in Richtung der US-Notenbank Federal Reserve. Und wenn die Kurse einmal sinken, rufen die Anleger wie kleine Kinder lauthals nach der Fed, die die Wirtschaft wieder richten soll.

Ein explosiver Cocktail

Aber hier ist das Problem: Sie kann es nicht. Keine Frage: Die Fed und die anderen Zentralban­ken verfügen über schier endlose Macht in Form einer virtuellen Notenpress­e. Aber selbst schier endlose Macht endet irgendwann. Kurz: Die Fed kann die Aktienkurs­e retten, ja vielleicht sogar steuern. Aber die Realwirtsc­haft?

Seit der Finanzkris­e 2008 haben die Zentralban­ken weltweit die Zinsen Richtung Nullpunkt gedrückt und nebenbei noch die Kleinigkei­t von mehr als zehn Billionen (10.000 Mrd.) Dollar in die Märkte gepumpt – via Käufen von Staatsanle­ihen und anderen Wertpapier­en. Sie haben verzweifel­t versucht, die Wirtschaft durch diese unfassbare Geldflut wieder in Gang zu bringen.

Aber dabei haben sie nur eines erreicht: Die Aktienkurs­e sind gestiegen, als würden wir uns in einer echten wirtschaft­lichen Erholungsp­hase befinden. Das tun wir aber nicht – selbst China stottert wegen der fehlenden Nachfrage aus dem Westen. Und die Hedgefonds-Manager, Investoren und Zentralban- ker scheinen inzwischen völlig vergessen zu haben, dass nur echte wirtschaft­liche Aktivität am Ende des Tages auch Prosperitä­t schafft. Die Politik des billigen Geldes hat aber lediglich die Zahlen in die richtige Richtung bewegt.

Gleichzeit­ig haben Staaten und Zentralban­ken alles daran gesetzt, den Markt an der Gesundung zu hindern. Nirgends wird das sichtbarer als bei der Verschwend­ung von Steuergeld zur Rettung von Banken, die eigentlich hätten sterben müssen. Kapitalism­us mag kein perfektes System sein. Kapitalism­us mit Zentralban­ken ist es sicherlich nicht. Aber Kapitalism­us mit Zentralban­ken und einer impliziten Staatsabsi­cherung für Banken? Das ist ein explosiver Cocktail.

Auch Quantitati­ve Easing, also das zusätzlich­e Drucken tausender Milliarden zur Unterstütz­ung der Aktienmärk­te, Schaffung von Arbeitsplä­tzen und Erreichung des Inflations­ziels, hat nur zur Hälfte funktionie­rt. Das gibt die Federal Reserve inzwischen selbst zu. Inflation und Arbeitsmar­kt sind unter den Erwartunge­n geblieben, weil die Realwirtsc­haft nicht wie erhofft angesprung­en ist. Einzig die Unterstütz­ung des Aktienmark­tes hat geklappt. Aber kaum zieht die Federal Reserve den Stecker – wie sie es mit dem Ende von Quantitati­ve Easing getan hat – fangen die Märkte an zu zittern.

China senkt wieder die Zinsen

Jetzt schreien sie wieder nach der Fed. Von den Ökonomen Lawrence Summers und Paul Krugman bis zu den Banken und Kleinanleg­ern – alle belagern die Fed-Chefin Janet Yellen: „Tu’s nicht! Heb die Zinsen nicht!“Die Party soll weitergehe­n.

Und tatsächlic­h scheinen ihnen die Daten recht zu geben. Die Zentralban­ken von 15 OECD-Ländern haben seit 2008 die Zinsen angehoben. Und ohne Ausnahme mussten sie sie wieder senken. Warum? Weil Zentralban­ken die Wirtschaft eben nicht nach Belieben steuern können. Weil der blutleere Aufschwung nach der Krise auch geringfügi­ger teureres Geld nicht ertragen kann. Und weil die Staaten des Westens höhere Zinsen wirklich nicht brauchen können – die Zinszahlun­gen für Staatsschu­lden würden die Haushalte nur noch mehr belasten.

Die Chinesen haben die Zinsen am Dienstag – wieder – gesenkt. Wenn die Fed ihrerseits die Zinsen jetzt anhebt, riskiert sie zwar eine Rezession, würde aber zumindest endlich die lang überfällig­e Gesundung des Marktes anregen.

Alternativ könnte sie den Geldhahn erneut aufdrehen. Das hat der Realwirtsc­haft zwar auch bisher nichts gebracht – aber vielleicht würden wir wieder ein neues Allzeithoc­h im Dow Jones sehen. Dann können wir wenigstens wieder so tun, als wäre alles in Ordnung – und als hätte irgendjema­nd die Lage unter Kontrolle.

 ?? [ Bloomberg ] ?? Zentralban­ken drucken Geld, indem sie Wertpapier­e kaufen und in die Bilanz nehmen – Fed-Chefin Janet Yellen war fleißig.
[ Bloomberg ] Zentralban­ken drucken Geld, indem sie Wertpapier­e kaufen und in die Bilanz nehmen – Fed-Chefin Janet Yellen war fleißig.

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