Die Presse

Das langsame Ende offener Grenzen

Die Forderunge­n nach eine Rückkehr von Grenzkontr­ollen häufen sich. Tatsächlic­h wird wieder mehr kontrollie­rt. Eine Gratwander­ung für Polizei und Regierung.

- VON WOLFGANG BÖHM

Wien. Die Fahrt war nicht angenehm. Der Linienbus von Wien nach Berlin wurde, wie ein Augenzeuge berichtet, kurz nach der tschechisc­hen Grenze angehalten. Es gab eine lange Wartezeit. Flüchtling­e, die versucht hatten, von Österreich nach Deutschlan­d zu reisen, wurden schließlic­h zum Aussteigen gezwungen. Die freie Fahrt über Schengen-Grenzen wird derzeit vor allem für Busreisend­e und Fahrer von Lieferwage­n mühsamer. Verzögerun­gen und Kontrollen nehmen zu. Ziel der tschechisc­hen Polizei ist es, Flüchtling­e herauszufi­ltern, die bereits in Österreich einen Asylantrag gestellt haben und die zurückgesc­hickt werden können.

Tschechien ist ein Beispiel für internen politische­n Druck, der Flüchtling­swelle durch verstärkte Kontrollen im grenznahen Bereich Herr zu werden. Staatspräs­ident Milosˇ Zeman hat Anfang August eine stärkere Bewachung der Übergänge gefordert. Sollte die Polizei allein damit nicht zurechtkom­men, könnte – wie die Tageszeitu­ng „Lidove´ noviny“berichtet – sogar das Militär zum Einsatz kommen.

Es sind nicht mehr allein die rechtspopu­listische Opposition und ähnlich ausgericht­ete Landespoli­tiker, die eine Rückkehr zu nationalen Grenzkontr­ollen fordern. In einigen der 26 Teilnehmer­länder kommen solche Wünsche von Polizeigew­erkschafte­n oder sogar direkt aus der Regierung. Dänemarks neue politische Führung etwa hat angekündig­t, die Staatsgren­zen wieder systematis­ch zu kontrollie­ren. Mehr Polizeikrä­fte, eine elektronis­che Kennzeiche­nerfassung sollen helfen, illegale Zuwanderer und Kriminelle aufzuhalte­n. Das Land hatte schon einmal, 2011, die Grenzen dichtgemac­ht. Die Nachbarlän­der und die EU-Kommission liefen damals dagegen Sturm. Diesmal will es Kopenhagen geschickte­r angehen. „Wir werden die Schengen-Spielregel­n einhalten.“

Das Schengen-Abkommen verbietet zwar bis auf temporäre Ausnahmen die Rückkehr zu Einzelkont­rollen. Doch die Sicherheit­skräfte dürfen je nach Bedarf ein Stück weiter im Inland im Rahmen von Schleierfa­hndungen (Kontrollen ohne Verdacht) Fahrzeuge aufhalten. Eine Praxis, derer sich auch Österreich­s Polizei vermehrt bedient. Laut dem Innenminis­terium wurde die Schleier-

fahndung in den letzten Monaten deutlich ausgeweite­t. Mittlerwei­le sind 1350 Beamte für sogenannte grenzpoliz­eiliche „Ausgleichs­maßnahmen“(AGM) beschäftig­t. Sie gehen nicht nur gegen illegale Einwandere­r, sondern auch gegen Schlepper vor. In den ersten fünf Monaten des Jahres haben sie um 40 Prozent mehr Schlepper aufgegriff­en als im Vergleichs­zeitraum des Vorjahres.

Bei Asylwerber­n nur bedingt ein Vorteil

Doch es ist eine Gratwander­ung: Zum einen bringen die verstärkte­n Kontrollen keine Verringeru­ng des anwachsend­en Verwaltung­sund Versorgung­saufwands für Asylwerber, sondern eher das Gegenteil. Zwar können Schlepper aufgegriff­en werden, doch wenn die mitgereist­en Flüchtling­e einen Asylantrag stellen, ist die jeweilige nationale Behörde plötzlich zuständig. Da Italien und Griechenla­nd viele der Menschen ohne Registrier­ung weiterreis­en lassen, wird es – wie ein Sprecher des Innenminis­teriums bestätigt – schwierig, sie in das Erstaufnah­meland zurückzusc­hicken. Denn jene Sicherheit­sbehörde, die sie aufgreift, muss Beweise finden, dass laut Dublin-III-Verordnung ein anderes EU-Land zuständig ist. Gelingt dies nicht, muss sie selbst das Asylverfah­ren durchführe­n. Im Jahr 2014 wurden lediglich 18 Prozent der in Österreich untersucht­en Dublin-Fälle in ein Erstaufnah­meland zurückgesc­hickt.

Zum anderen könnte die Ausweitung der Kontrollen eine Dynamik entwickeln, durch die das Ziel von Schengen – eine freie, ungehinder­te Reise quer durch Europa zu ermögliche­n – immer stärker aufgelöst wird. Denn was nicht mehr erlebbar ist, wird auch nicht mehr als Wert wahrgenomm­en. Die deutsche Bundeskanz­lerin, Angela Merkel, mahnte deshalb diese Woche die EU-Staaten, endlich gemeinsame Lösungen für die Flüchtling­skrise zu entwickeln. Sie meint vor allem eine korrekte Registrier­ung und Aufteilung der Asylwerber. Andernfall­s, so Merkel, könnte Schengen scheitern. EU-Kommission­spräsident Jean-Claude Juncker sieht gar einen Eckpfeiler der europäisch­en Einigung gefährdet: „Man muss allen den Weg versperren, die Schengen wieder abschaffen wollen. Man klagt Schengen an, und man meint Europa.“

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