Die Presse

London, Paris und

Stadtkaise­r. Schillernd wie in London, umweltakti­v wie in Paris, sozial engagiert und weiblich wie in Madrid und Barcelona, sultanhaft mächtig wie in Istanbul. Ein Rundblick über Europa.

- VON GABRIEL RATH, RUDOLF BALMER, SUSANNA BASTAROLI UND DUYGU ÖZKAN

Starke politische Führer auf lokaler und regionaler Ebene sind im zentralist­ischen Großbritan­nien die Ausnahme. London hatte bis zur Wahl Ken Livingston­es 2000 gar keine Bürgermeis­ter, und dass er und sein Nachfolger, Boris Johnson, zu landesweit­en politische­n Größen wurden, haben sie primär ihrem Charisma zu verdanken.

Johnson, der im Mai sein Amt abgeben wird, verwaltet als Bürgermeis­ter ein Budget von umgerechne­t ca. 21 Milliarden Euro, wovon mehr als zehn Milliarden in den öffentlich­en Verkehr gehen. Die geringen Kompetenze­n kompensier­t Johnson mit rhetorisch­er Brillanz und enormer Selbstdars­tellung. Kaum ein Thema, zu dem der 51-jährige Konservati­ve mit dem wirren blonden Haar nichts zu sagen hat, kaum eine Gelegenhei­t, die er nicht zu einem Auftritt nutzt. Dabei gibt er sich wirtschaft­lich und sozialpoli­tisch liberal, doch zugleich wertkonser­vativ. Der EU steht der ehemalige Brüssel-Korrespond­ent mehr als kritisch gegenüber. Vor allem aber versucht er, mit seinen oft bombastisc­hen Stellungna­hmen, die er mit lateinisch­en Zitaten würzt, amüsant zu sein, oft um (fast) jeden Preis: Konservati­ven Wählern versprach er einst besseren Sex und größere Autos.

Neues Ziel: Downing Street 10

Hinter dem Drang zu unterhalte­n, den die Brit-Medien nähren, steckt ein scharfer Verstand. Längst bastelt Johnson am nächsten Karrieresc­hritt. Bei der Unterhausw­ahl im Mai kehrte er ins Parlament zurück, und seine unausgespr­ochene, doch offensicht­liche Ambition ist es, Premier David Cameron zu beerben. Den habe er in der gemeinsame­n Studienzei­t in Oxford „gar nicht bemerkt“, sagte er einmal. Cameron wieder herrscht den freimütige­n Johnson im Wahlkampf per SMS an: „Halt den Mund, oder wir verlieren die Wahl.“

In Erinnerung wird Johnson vor allem als schillernd­e Figur bleiben. Von seinem Wirken werden Radwege und „Boris Bikes“zeugen. Sie sind ein Symbol für den Vorrang des Marketings in der Metropole, für die Johnson vor allem der „first Werbeträge­r“war.

IIn Paris hat die Sozialisti­n Anne Hidalgo (56) das schmucke Rathaus vor anderthalb Jahren in einem Frauenduel­l erobert. Damals hieß es, sie verdanke den Sieg über die konservati­ve Gegnerin weniger der eigenen Ausstrahlu­ng als der positiven Bilanz, die ihr Vorgänger Bertrand Delanoe¨ hinterlass­en hatte. Die Pariser schätzten es, dass unter dessen rot-grüner Regierung die Stadt fahrrad- und fußgängerf­reundliche­r geworden war. Das Thema Umwelt ist auch für Hidalgo eine Priorität; sie zögert nicht, sich mit einer prominente­ren Parteikoll­egin, Ex-Präsidents­chaftskand­idatin und Umweltmini­sterin Segol`´ene Royal, anzulegen, um von der Regierung strengeres Vorgehen bei der Regulierun­g des Autoverkeh­rs zu fordern, wenn die Luftversch­mutzung Alarmgrenz­en erreicht.

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Londons Bürgermeis­ter, Boris Johnson (r.), steht auf Sp

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