London, Paris und
Stadtkaiser. Schillernd wie in London, umweltaktiv wie in Paris, sozial engagiert und weiblich wie in Madrid und Barcelona, sultanhaft mächtig wie in Istanbul. Ein Rundblick über Europa.
Starke politische Führer auf lokaler und regionaler Ebene sind im zentralistischen Großbritannien die Ausnahme. London hatte bis zur Wahl Ken Livingstones 2000 gar keine Bürgermeister, und dass er und sein Nachfolger, Boris Johnson, zu landesweiten politischen Größen wurden, haben sie primär ihrem Charisma zu verdanken.
Johnson, der im Mai sein Amt abgeben wird, verwaltet als Bürgermeister ein Budget von umgerechnet ca. 21 Milliarden Euro, wovon mehr als zehn Milliarden in den öffentlichen Verkehr gehen. Die geringen Kompetenzen kompensiert Johnson mit rhetorischer Brillanz und enormer Selbstdarstellung. Kaum ein Thema, zu dem der 51-jährige Konservative mit dem wirren blonden Haar nichts zu sagen hat, kaum eine Gelegenheit, die er nicht zu einem Auftritt nutzt. Dabei gibt er sich wirtschaftlich und sozialpolitisch liberal, doch zugleich wertkonservativ. Der EU steht der ehemalige Brüssel-Korrespondent mehr als kritisch gegenüber. Vor allem aber versucht er, mit seinen oft bombastischen Stellungnahmen, die er mit lateinischen Zitaten würzt, amüsant zu sein, oft um (fast) jeden Preis: Konservativen Wählern versprach er einst besseren Sex und größere Autos.
Neues Ziel: Downing Street 10
Hinter dem Drang zu unterhalten, den die Brit-Medien nähren, steckt ein scharfer Verstand. Längst bastelt Johnson am nächsten Karriereschritt. Bei der Unterhauswahl im Mai kehrte er ins Parlament zurück, und seine unausgesprochene, doch offensichtliche Ambition ist es, Premier David Cameron zu beerben. Den habe er in der gemeinsamen Studienzeit in Oxford „gar nicht bemerkt“, sagte er einmal. Cameron wieder herrscht den freimütigen Johnson im Wahlkampf per SMS an: „Halt den Mund, oder wir verlieren die Wahl.“
In Erinnerung wird Johnson vor allem als schillernde Figur bleiben. Von seinem Wirken werden Radwege und „Boris Bikes“zeugen. Sie sind ein Symbol für den Vorrang des Marketings in der Metropole, für die Johnson vor allem der „first Werbeträger“war.
IIn Paris hat die Sozialistin Anne Hidalgo (56) das schmucke Rathaus vor anderthalb Jahren in einem Frauenduell erobert. Damals hieß es, sie verdanke den Sieg über die konservative Gegnerin weniger der eigenen Ausstrahlung als der positiven Bilanz, die ihr Vorgänger Bertrand Delanoe¨ hinterlassen hatte. Die Pariser schätzten es, dass unter dessen rot-grüner Regierung die Stadt fahrrad- und fußgängerfreundlicher geworden war. Das Thema Umwelt ist auch für Hidalgo eine Priorität; sie zögert nicht, sich mit einer prominenteren Parteikollegin, Ex-Präsidentschaftskandidatin und Umweltministerin Segol`´ene Royal, anzulegen, um von der Regierung strengeres Vorgehen bei der Regulierung des Autoverkehrs zu fordern, wenn die Luftverschmutzung Alarmgrenzen erreicht.