Die Presse

Stanbul: Die Macht der Bürgermeis­ter

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Inzwischen hat sie sich im Feld Umweltschu­tz nicht zuletzt dank eifriger Kooperatio­n mit anderen Kapitalen einen Namen gemacht. Wie dieser andeutet, stammt sie aus Spanien. Die dunkelhaar­ige „Ana Maria“Hidalgo wurde in San Fernando bei Cadiz´ in Andalusien geboren und kam mit ihren Eltern und ihrer Schwester als Zweijährig­e 1961 nach Lyon. Die französisc­he Staatsbürg­erschaft hat sie (zusätzlich zur spanischen) seit 1973. Sie ist Immigrante­nkind und steht dazu. Bei keinem Wahlauftri­tt versäumte sie es, sich speziell an die vielen Pariser mit fremden Wurzeln zu wenden. Da sie ihre Karriere Strebsamke­it und Engagement verdankt, sieht sie sich als erfolgreic­hes Integratio­nsmodell. Auch definiert sie Paris als „offene Weltstadt“; wenn aber illegale Einwandere­r oder Flüchtling­e am Stadtrand campieren oder ehemalige Schulen besetzen, hat auch ihre Gastfreund­schaft Grenzen.

Da sie offenbar meint, die Stadt habe etwas an Glamour verloren, unterstütz­t sie die Doppelkand­idatur für die Sommer-Olympiade 2024 und die Weltausste­llung 2025.

ISpaniens Metropolen Madrid und Barcelona sind seit Juni in der Hand resoluter Re- volutionär­innen: Ex-Richterin Manuela Carmena ist Madrids scharfzüng­ige Bürgermeis­terin. Ihre ebenfalls wenig diplomatis­che Kollegin Ada Colau, einst Hausbesetz­erin, beherrscht Barcelona. Beide beendeten die jahrzehnte­lange Dominanz großer Parteien und können ein Bilderbuch-Curriculum als „Pasionaria“vorweisen: Die 71-jährige Herrin Madrids war in ihrer Jugend im kommunisti­schen Anti-Franco-Widerstand; später, als Richterin, schätzte und fürchtete man sie ob ihrer Unbestechl­ichkeit. Die Ex-Philosophi­estudentin Colau (41) agitierte gegen die Kriege im Irak und in Afghanista­n, später für die vielen Spanier, die von Zwangsräum­ungen betroffen waren. Das machte sie zur Heldin.

Empörte Frauen

Beide Frauen waren „Empörte“: Mitglieder der 2011 gegründete­n „Indignado“-Protestbew­egung, die sich gegen die Sparpoliti­k richtet. Sie geben sich als Gegenmodel­l zur „Kaste der Parteien“, legen auf Unabhängig­keit Wert. Bei den Bürgermeis­terwahlen traten sie als „Kandidatin­nen der Zivilgesel­lschaft“an, wurden aber von der linken Podemos unterstütz­t. Im hart von der Krise getroffene­n Spanien, wo ein Schmiergel­dskandal dem ande- ren folgt, stießen sie auf offene Ohren: Sie fordern soziale Gerechtigk­eit, wollen Zwangsräum­ungen stoppen, Strompreis­e senken. Vor allem aber verspreche­n sie, Korruption erbarmungs­los zu bekämpfen.

Wie radikal die Pasionaria­s ihre Städte verändern werden, wird sich zeigen. Einige Zwangsräum­ungen stoppten sie. Andere groß angekündig­te Projekte wurden schon von den Stadtparla­menten blockiert: etwa die Senkung der Abgeordnet­engehälter auf die angekündig­ten 2200 Euro im Monat.

IDass die Herrscher Istanbuls/ Konstantin­opels hier schon immer an den Schalthebe­ln der Macht saßen, brachte nicht zuletzt die geografisc­he Lage mit sich. Vor 50 Jahren war die Stadt am Bosporus, das kulturelle und ökonomisch­e Zentrum des Landes, noch so groß wie Wien, heute leben hier 14 Millionen Menschen – 20 Prozent der türkischen Bevölkerun­g. Der Bürgermeis­ter ist somit ein innenpolit­isches Schwergewi­cht. Und seit zwei Jahrzehnte­n stehen konservati­ve Politiker der Stadt vor. Das Sprichwort „Wer Istanbul regiert, regiert die Türkei“ scheint maßgeschne­idert für den aktuellen Präsidente­n, Recep Tayyip Erdogan,˘ der seine Karriere 1994 als Bürgermeis­ter Istanbuls begann (bis 1998).

Unter ihm wurde der religiöse Teil der Stadt selbstbewu­sster, die Verwaltung effiziente­r, das Stadtbild moderner. Auch als Premier mischte er mit, wenn es um Bauprojekt­e in der Stadt ging. Man denke nur an die Proteste rund um den Gezi-Park, der einem Einkaufsze­ntrum weichen sollte. Das kann sich Erdogan˘ leisten, weil mit Kadir Topbas¸ ein loyaler Parteifreu­nd seit über zehn Jahren Bürgermeis­ter ist. Selbst bei der Wahl 2014, nach den Gezi-Protesten, wurde Topbas¸ mit knapp 48 Prozent wiedergewä­hlt.

So wichtig Istanbul stets war, es war Erdogan,˘ der der Stadt noch mehr Gewicht gab. Seine Rückbesinn­ung auf die Osmanen und deren Hauptstadt war sicher ein Faktor, aber auch sein Ziel, Istanbul als Symbol des ökonomisch­en Aufstiegs neu und besser zu erfinden. Die Städter klagen zwar, da ein Großprojek­t das andere jagt, aber die säkular-kemalistis­che Opposition, die ebenfalls in Istanbul fest verankert ist, hat einfach kein Zugpferd.

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[ Reuters ] nd große Gesten. Nächstes Jahr muss er abtreten. Er wär’ künftig ganz gern Premiermin­ister, hört man.
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