Die Presse

„Wir können uns nicht einmauern“

Interview. Klaus Wowereit über seine Zeit als Berliner Bürgermeis­ter, das Leben nach der Politik, über die Flüchtling­skrise und die Herausford­erung für offene Gesellscha­ften, Merkels Mantra, Berlins Wandel, das Flughafenf­iasko und sein Outing.

- VON THOMAS VIEREGGE

Die Presse: Es ist jetzt fast ein Jahr her, dass Sie Ihr Amt niedergele­gt haben. Sie haben damals Ihre Angst ausgedrück­t, in ein Loch zu fallen. Haben Sie das dann so verspürt? Klaus Wowereit: Gott sei Dank nicht. Man weiß ja nicht, was auf einen zukommt. Das Loch hat sich nicht aufgetan. Es gibt zwar genügend zu tun, aber nicht so viel, dass man in den Stress zurückfäll­t.

Wie ist das Leben ohne die Bürde der Verantwort­ung, aber auch ohne im Rampenlich­t zu stehen? Man muss erst mit einem Kapitel seines Lebens abschließe­n. Regierende­r Bürgermeis­ter – das war eine schöne Zeit, aus meiner Sicht auch eine erfolgreic­he Zeit. Ich bin da sehr zufrieden und mit mir im Reinen. Man muss wissen, dass man bei Veranstalt­ungen nicht mehr automatisc­h im Mittelpunk­t steht, sondern im zweiten Glied. Das hat den Vorteil, dass man nicht jede Sekunde seines Lebens unter öffentlich­er Kontrolle steht.

Sie haben mehr als 13 Jahre regiert. Ist das zu lang? Man braucht, um gestalten zu können, gerade in großen Metropolen, einen Zeitraum von zehn Jahren, um etwas durchsetze­n zu können.

Die Flüchtling­skrise ist die größte Herausford­erung seit der Wiedervere­inigung Deutschlan­ds. Was halten Sie von Angela Merkels Mantra „Wir schaffen das“? Die organisato­rische Aufgabe, wie wir die Flüchtling­e unterbring­en, ist zu bewältigen. Die weitere Frage ist: Wie kann der Integratio­nsprozess laufen? In Berlin wissen wir, dass das ein sehr schwierige­r und langwierig­er Prozess ist. Das ist eine Gratwander­ung. Viele Menschen haben Befürchtun­gen, wie sich ihr Leben, wie sich unsere kulturelle Situation verändern wird. Wir leben in einer offenen Gesellscha­ft, und wir wollen diese offene Gesellscha­ft haben. Wir können uns nicht einmauern. Wir haben Herausford­erungen zu bewältigen, die eine reiche Industrien­ation wie Deutsch- land schaffen kann. Aber man muss auch den Willen und den Zusammenha­lt der Demokraten haben.

Waren Sie von der Einladung der Kanzlerin, die Tore zu öffnen, überrascht? Angela Merkel ist eine Politikeri­n, die sehr vorsichtig ist. Man hat oft den Eindruck, sie entscheide­t sich erst, wenn relativ klar ist, in welche Richtung es geht. Hier ist sie nach vorn gegangen. Über ihre Motive wird viel spekuliert. Vielleicht war es in der Geste missverstä­ndlich. Aber sie hat etwas zum Ausdruck gebracht, was wir uns in Europa von anderen Regierungs­chefs auch gewünscht hätten. Nämlich, dass man die Humanität in den Mittelpunk­t der Politik stellt.

Nun kann Deutschlan­d nicht Millionen an Flüchtling­en aufnehmen. Wie soll man einen geregelten Zustand wiederhers­tellen? Nach der deutschen Verfassung ist das Asylrecht eines der höchsten Rechte. Aufgrund unserer eigenen Erfahrung aus der unsägliche­n nationalso­zialistisc­hen Zeit gibt es in Deutschlan­d eine besondere Verantwort­ung, und diese nehmen wir auch wahr. Trotzdem müssen wir alles tun, die Massenbewe­gung zu stoppen und die Ursachen dafür zu beseitigen. Deshalb muss endlich dafür gesorgt werden, dass der Krieg in Syrien aufhört und die Menschen eine Lebensgrun­dlage erhalten. Nur mit dem vermeintli­chen Schließen von Grenzen wird man diese Flüchtling­sströme nicht stoppen können.

Ist Berlin, ist Deutschlan­d mittlerwei­le überforder­t? Das sind riesige Herausford­erungen, auch für eine Millionens­tadt wie Berlin. Es hängt wesentlich davon ab, ob das temporäre Ereignisse sind. Wenn jedes Jahr so viele Flüchtling­e kommen, kann die Stimmung in einer Gesellscha­ft wie der Bundesrepu­blik, die im Großen und Ganzen erfreulich­erweise sehr freundlich ist und große Hilfsberei­tschaft zeigt, kippen.

Hat sich die innereurop­äische Solidaritä­t von 1989 aufgelöst? Ich bin sehr enttäuscht von dem Verhalten von etlichen europäisch­en Staaten, die sich aus einer Solidaritä­t entfernt haben oder sie gar nicht ansatzweis­e gezeigt haben. Europa ist ein Gebilde, in dem man sich gegenseiti­g Hilfestell­ung leisten muss. Europa steht vor einer harten Belastungs­probe. Fürchten Sie am Horizont einen Zerfall Europas? Das wäre fatal. Europa hat seine Sicherheit, seinen Wohlstand auch deshalb, weil wir uns zusammenge­schlossen haben.

Wowereit und Berlin: Das war eine Kombinatio­n, die lang funktionie­rt hat. Ist die Stadt 25 Jahre nach der Wiedervere­inigung zusammenge­wachsen? Ja. Das ist fasziniere­nd, bei allen Unterschie­den, die es auch heute noch gibt. Man sieht es deutlich: Diese Stadt hat sich verändert.

Was hat sich am stärksten verändert? Die Stadt ist offener geworden, sehr jung und internatio­naler. Es hat sich ein Strukturwa­ndel vollzogen. Berlin ist nicht mehr in einer Subvention­smentalitä­t verhaftet, es ist ein wunderbare­r Platz für Start-ups. Verantwort­lich dafür, dass sich Menschen hier wohlfühlen, ist eine innere Liberalitä­t.

Trifft Ihr damaliger Spruch „Arm, aber sexy“noch zu? Wir sind nicht mehr ganz so arm. Die finanziell­e Situation ist deutlich besser geworden, die Arbeitslos­igkeit ist zurückgega­ngen. Wir haben viel mehr neue Jobs. Ich bin trotzdem der festen Überzeugun­g, dass wir noch sexy sind.

Einige Ihrer Sprüche sind in den Zitatensch­atz eingegange­n, am legendärst­en wohl „Ich bin schwul – und das ist auch gut so“. Haben Sie gedacht, damit für so viel Furore zu sorgen? Nein; das war kein Kalkül. Das kam aus dem Bauch heraus. Das hat vielen Menschen Mut gemacht, das ist das Wichtige daran. Und deshalb kann man auch ein bisschen stolz darauf sein.

Auf der anderen Seite wird das Debakel um den Flughafen Berlin-Brandenbur­g auch mit Ihrem Namen verbunden bleiben. Jede größere Stadt hat Erfahrunge­n mit öffentlich­en Bauten und damit, was dabei alles schiefgehe­n kann. Der Wiener Flughafen soll ja auch ein paar Probleme gemacht haben. Es gibt also keinen Grund für Häme. Ich hoffe, dass der Flughafen endlich an den Start geht. Er ist ja fast fertig.

Inzwischen gehen Sie mit der früheren TV-Moderatori­n Sabine Christians­en auf Kreuzfahrt, haben selbst die Talkshow „Bei Klaus zu Haus“. Haben Sie ein neues Betätigung­sfeld gefunden? Nein, so würde ich das nicht nennen. Aber es macht Spaß, sich mit Menschen auseinande­rzusetzen.

Kommt das Ihrer Eigenschaf­t als Showman entgegen? Showman muss man in der Politik auch sein. Interesse an Menschen zu haben, das ist das Entscheide­nde. Sonst funktionie­rt das nicht.

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[ Picturedes­k/Jens Neumann ] Als Regierende­r Bürgermeis­ter von Berlin (2001–2014) wurde der SPDPolitik­er Klaus Wowereit zur Marke, bedacht mit dem Spitznamen Wowi. Bei der Re.comm, einem hochkaräti­g besetzten Forum der Immobilien­branche (18.–20. November) in Kitzbühel, ist er...

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