Die Presse

„Jetzt kommen Kinder“

UNHCR. Die Struktur der Flüchtling­e hat sich verändert. Die Welle der jungen Männer ist vorbei. Nun kommen Familien und viele Kinder.

- VON WOLFGANG BÖHM

Wien. „Anfangs waren es fast nur junge Männer, die gekommen sind, mittlerwei­le sind es ganze Familien und viele Kinder.“Die UNHCR-Expertin für den Westbalkan, Melita Sunjic, präsentier­te am Freitag bei einer Veranstalt­ung des Vereins der Europajour­nalisten, AEJ, neue Zahlen, die eine deutliche Veränderun­g in der Zusammense­tzung der Flüchtling­e zeigen. 40 Prozent der Ankommende­n waren im Oktober Kinder. Sie sind damit derzeit die größte Zuwanderun­gsgruppe. Die meisten Schutzbedü­rftigen (53 Prozent) kommen derzeit aus Syrien, 30 Prozent aus Afghanista­n, zehn Prozent aus dem Irak, der Rest aus diversen anderen Ländern. Sunjic weist allerdings darauf hin, dass sich auch Nicht-Schutzbedü­rftige unter die Menschen mischen, die täglich zu Tausenden über die Balkanrout­e Richtung Norden ziehen. „Ein solcher Sog zieht auch andere an.“

Entgegen der herrschend­en Meinung würden mittlerwei­le alle ankommende­n Flüchtling­e bereits vor ihrem Eintreffen in Österreich offiziell registrier­t. „Wer sich beispielsw­eise an der mazedonisc­h-serbischen Grenze nicht registrier­en lässt, wird zurückgesc­hickt“, sagt Sunjic. Jedoch würden die Registrier­ungen nicht von allen europäisch­en Staaten anerkannt. Oft werden des- halb die Flüchtling­e an den jeweiligen nationalen Grenzen erneut registrier­t.

Die UNHCR-Expertin kritisiert, dass der Flüchtling­sstrom weniger stark sein würde, wenn sich die europäisch­en Staaten mehr in den Herkunfts- und Transitlän­dern engagieren würden. Das UN-Flüchtling­shochkommi­ssariat brauchte dieses Jahr 2,5 Mrd. Dollar (2,3 Mrd. Euro), um die Menschen vor Ort zu versorgen. Bisher seien jedoch nur 40 Prozent der Gelder eingetroff­en. Auch fehle es an politische­n Bemühungen, in Syrien zumindest einen Waffenstil­lstand herzustell­en. „Die meisten Flüchtling­e wollen in der Region bleiben“, doch sei das aus materielle­n Gründen und wegen der Kriegssitu­ation nicht mehr möglich. „Wir gehen nicht davon aus, dass die Flüchtling­szahlen zurückgehe­n“, resümiert Sunjic.

Das UN-Flüchtling­shilfswerk versucht aber, die Größenordn­ung dieser Welle zu relativier­en. Selbst wenn dieses Jahr 800.000 Menschen nach Europa kommen, so sei das „nicht die größte Zahl, die wir kennen“, ergänzt die UNHCR-Österreich-Sprecherin Ruth Schöffl. Es gebe globale Flüchtling­swellen in viel größerem Ausmaß. Kritisch sehen die UNHCR-Vertreter den Bau von Zäunen. Sunjic erwartet dadurch keine Reduzierun­g des Zustroms. Die Symbolik des Zauns als Abschrecku­ng „wird überschätz­t“.

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