Die Presse

„Dichte Grenzen sind eine Illusion“

Grüne. EU-Staaten, die keine Flüchtling­e aufnehmen, sollten dazu gezwungen werden, findet Parteichef­in Eva Glawischni­g. Wie sie über 15 Prozent kommen will – und warum es zu Van der Bellen nur eine weibliche Alternativ­e gibt. Ein Gespräch.

- VON THOMAS PRIOR

Die Presse: Können Sie erklären, warum fast ausschließ­lich die FPÖ vom Frust über die Regierung profitiert, während die Grünen kaum vom Fleck kommen? Eva Glawischni­g: 2014 haben wir uns leichter getan, Wähler von SPÖ und ÖVP zu gewinnen. Heuer war es aufgrund der Themenlage und des fast manipulati­v herbeigesc­hriebenen Duells in Wien sehr schwer. Ich bin aber zufrieden. Europaweit sind wir eine der wenigen Grünpartei­en, die in den Krisenjahr­en gewachsen ist.

Für die gewünschte Regierungs­beteiligun­g sind die Grünen aber noch lange nicht groß genug. Das stimmt, 12,4 Prozent sind zu wenig. Die 15 Prozent müssen wir beim nächsten Mal erreichen.

Was wollen Sie verändern? Werden Sie die Partei nach links rücken? Oder mehr in die Mitte? Wir konzentrie­ren uns auf Inhalte. In der Bildungspo­litik haben wir uns vorgenomme­n, der SPÖ den Rang abzulaufen. Und unser Wirtschaft­sprogramm wird, nach zwei Jahren intensiver Arbeit, 2016 fertig.

Die Grünen brauchen zwei Jahre, um sich wirtschaft­spolitisch zu positionie­ren? In einem Jahr mit vier Landtagswa­hlen liegt der Fokus auf den Wahlen und weniger auf Programmar­beit. Aber ich kann vorwegnehm­en, dass wir bei den Klein- und Kleinstunt­ernehmen großes Potenzial sehen.

Das richtet sich dann wohl gegen die ÖVP. Ist die mit ihrem restriktiv­eren Flüchtling­skurs noch ein potenziell­er Koalitions­partner? Ich kann das Konzept der Innenminis­terin nicht nachvollzi­ehen. Ein Zaun ist eine Abwehranla­ge. Das heißt dann wohl auch schussbere­ite Soldaten und Polizisten. Und das halte ich für unmenschli­ch.

Sie sagen also: Offene Grenzen ohne Wenn und Aber. Das sage ich nicht. Wir brauchen eine Infrastruk­tur an der Grenze, mit der man Erstversor­gung und Weitertran­sport organisier­en kann. Und die winterfest ist.

Wie wollen Sie Übertritte an der grünen Grenze verhindern? Die wird man auch mit einem Zaun nicht verhindern können. Dichte Grenzen sind eine Illusion. Ungarn ist so abschrecke­nd, weil Flüchtling­e dort ins Gefängnis gesteckt wurden und von Folterunge­n berichtet haben.

Glauben Sie, dass Österreich eine beschränkt­e Aufnahmeka­pazität hat? Asyl ist ein Recht. Sollen wir den Hundertste­n ablehnen – obwohl er bedroht wird?

Auch Sie haben die perfekte Lösung also noch nicht gefunden. Es ist eine riesige Herausford­erung. Vor allem brauchen wir eine europäisch­e Lösung. Es muss möglich sein, jene Mitgliedsl­änder, die nicht kooperiere­n wollen, zur Räson zu bringen. Auch Sanktionen.

mit

finanziell­en

Vielleicht sollte man im eigenen Land beginnen. Jene 36 Flüchtling­e, die der Neos-Abgeordnet­e Sepp Schellhorn bei sich aufgenomme­n hat, müssen ausziehen, weil der Bürgermeis­ter von Bad Gastein die Quote im Ort nicht übererfüll­en will. Der Landeshaup­tmann gibt ihm recht. Da will einer helfen, darf aber nicht. Das ist absolut unbefriedi­gend. Ich hoffe, dass man noch auf einen grünen Zweig kommt.

Schellhorn sagt, die grüne Migrations­landesräti­n Martina Berthold habe ihn nicht unterstütz­t. Das stimmt nicht, sie hat versucht, das Problem mit dem Bürgermeis­ter auszustrei­ten.

Täuscht der Eindruck, dass die Grünen als Koalitions­partner in den Bundesländ­ern angepasst und harmoniebe­dürftig sind? Wenn ich an die Diskussion­en mit der SPÖ in Wien denke, dann war das weniger angepasst.

Wenn ich an Wien denke, fällt mir ein, dass die Grünen die Koalition selbst dann nicht aufgekündi­gt haben, als sie in der Wahlrechts­causa von der SPÖ ausgetrick­st wurden – Stichwort Senol¸ Akkılıc.¸ Geht auch Ihnen das Regieren schon über alles? Nein, es hat uns nie gereicht, nur in der Regierung zu sein. Wir haben uns aber um einen anderen Stil bemüht, um eine Partnersch­aft, in der man nicht ständig die Augen verdreht, wenn der andere etwas vorschlägt – wie auf Bundeseben­e. So wurden in Wien viele Akzente gesetzt, etwa in der Verkehrspo­litik.

Trotzdem sind es bei der Wahl am 11. Oktober nicht einmal zwölf Prozent geworden. Sie werden sich jetzt auf die Umstände berufen. Allerdings wäre das Ergebnis auch dann enttäusche­nd gewesen, wenn weniger GrünWähler aus Angst vor Strache zur SPÖ gewechselt wären. Natürlich hätte ich mir mehr gewünscht. Aber es gibt günstigere Wahlsituat­ionen für die Grünen.

Bei den Koalitions­verhandlun­gen in Wien wurde man den Eindruck nicht los, dass es den Grünen um Posten geht. Man wollte einen zweiten Stadtrat und einen gut dotierten Job in der WienHoldin­g. Ist das nicht genau das, was Sie den anderen Parteien immer vorwerfen? Es ist nichts Unanständi­ges, einen zweiten Stadtrat anzustrebe­n.

Aber auf was hinauf? Wir wollen in möglichst vielen Bereichen gestalten. Und das mit der Wien-Holding muss ich klarstelle­n: Da geht es um eine Aufsichtsr­atsfunktio­n, also um Kontrolle.

Und das soll man Ihnen glauben? Ja, dazu stehe ich. Wir sind in Wien gut beraten, der SPÖ mehr auf die Finger zu schauen.

Sind die Grünen auch gut beraten, wenn Sie einen 71-jährigen Ex-Parteichef in die Bundespräs­identenwah­l schicken, wo sie doch immer die Politik der älteren Herren kritisiere­n? Sie hätten auch einige geeignete Kandidatin­nen: Gabriele Moser, Ulrike Lunacek, Terezija Stoisits. Ich finde die alle toll, keine Frage. Die Politik der älteren Herren kritisiere ich dann, wenn ausschließ­lich ältere Herren das Sagen haben. Aber das ist ja bei uns nicht der Fall. Bei den Grünen gibt es viele Frauen an der Spitze. Daher kann natürlich auch ein älterer Herr etwas werden.

Wenn Alexander Van der Bellen nicht will, wird es wohl eine Frau. Da liegen Sie vermutlich nicht falsch.

Und welche? Eine der drei Genannten? Die wären alle eine Option. Wir haben eine große Auswahl.

Habe ich jemanden vergessen? Ich glaube nicht.

 ?? [ Katharina Roßboth ] ?? In Wien gehe es nicht um Posten, sondern um Kontrolle, versichert Grünen-Chefin Eva Glawischni­g.
[ Katharina Roßboth ] In Wien gehe es nicht um Posten, sondern um Kontrolle, versichert Grünen-Chefin Eva Glawischni­g.

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